Der Golem. Gustav Meyrink. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gustav Meyrink
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783843804424
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Boden.

      Das Augenlicht verlieren, heißt alles verlieren.

      Und wenn der wiederum übliche Moment eintrat, wo das arme Opfer die Knie Dr. Wassorys umklammerte und flehte, ob es denn auf Gottes Erde gar keine Hilfe mehr gäbe, da tat die Bestie den zweiten Schachzug und verwandelte sich selbst in jenen – Gott, der helfen konnte!

      Alles, alles in der Welt ist wie ein Schachzug, Meister Pernath!

      Schleunigste Operation, sagte Dr. Wassory dann nachdenklich, sei das einzige, was vielleicht Rettung bringen könne, und mit einer wilden, gierigen Eitelkeit, die plötzlich über ihn kam, erging er sich mit einem Redeschwall in weitschweifigem Ausmalen dieses und jenes Falles, die alle mit dem vorliegenden eine ungemein große Ähnlichkeit gehabt hätten – wie unzählige Kranke ihm allein die Erhaltung des Augenlichts verdankten und dergleichen mehr.

      Er schwelgte förmlich in dem Gefühl, für eine Art höheren Wesens gehalten zu werden, in dessen Hände das Wohl und Wehe seines Mitmenschen gelegt ist.

      Das hilflose Opfer aber saß, das Herz voll brennender Fragen, gebrochen vor ihm, Angstschweiß auf der Stirne, und wagte ihm nicht einmal in die Rede zu fallen, aus Furcht: ihn – den einzigen, der noch Hilfe bringen konnte – zu erzürnen.

      Und mit den Worten, daß er zur Operation leider erst in einigen Monaten schreiten könne, wenn er von seiner Reise wieder zurück sei, schloß Dr. Wassory seine Rede. Hoffentlich – man solle in solchen Fällen immer das Beste hoffen – sei es dann nicht zu spät, sagte er. Natürlich sprangen dann die Kranken entsetzt auf, erklärten, daß sie unter gar keinen Umständen auch nur einen Tag länger warten wollten, und baten flehentlich um Rat, wer von den andern Augenärzten in der Stadt sonst wohl als Operateur in Betracht käme. – Da war der Augenblick gekommen, wo Dr. Wassory den entscheidenden Schlag führte.

      Er ging in tiefem Nachdenken auf und ab, legte seine Stirn in Falten des Grams und lispelte schließlich bekümmert, ein Eingriff seitens eines andern Arztes bedinge leider eine abermalige Bespiegelung des Auges mit elektrischem Licht, und das müsse – der Patient wisse ja selbst, wie schmerzhaft es sei – wegen der blendenden Strahlen geradezu verhängnisvoll wirken.

      Ein andrer Arzt also – ganz abgesehen davon, daß so manchem von ihnen gerade in der Iridektomie die nötige Übung fehle – dürfe, eben weil er wiederum von neuem untersuchen müsse, gar nicht vor Ablauf längerer Zeit, bis sich die Sehnerven wieder erholt hätten, zu einem chirurgischen Eingriff schreiten.«

      Charousek ballte die Fäuste.

      »Das nennen wir in der Schachsprache ›Zugzwang‹, lieber Meister Pernath! – – Was weiter folgte, war wiederum Zugzwang – ein erzwungener Zug nach dem andern.

      Halb wahnsinnig vor Verzweiflung beschwor nun der Patient den Dr. Wassory, er möge doch Erbarmen haben, einen Tag nur seine Abreise verschieben und die Operation selber vornehmen. – Es handle sich doch um mehr als um schnellen Tod, die grauenhafte, folternde Angst, jeden Augenblick erblinden zu müssen, sei ja das Schrecklichste, was es geben könne.

      Und je mehr das Scheusal sich sträubte und jammerte: ein Aufschub seiner Reise könne ihm unabsehbaren Schaden bringen, desto höhere Summen boten freiwillig die Kranken.

      Schien schließlich die Summe Dr. Wassory hoch genug, gab er nach und fügte bereits am selben Tage, ehe noch ein Zufall seinen Plan aufdecken konnte, den Bedauernswerten an beiden gesunden Augen jenen unheilbaren Schaden zu, jenes immerwährende Gefühl des Geblendetseins, das das Leben zu stetiger Qual gestalten mußte, die Spuren des Schurkenstreiches aber ein für allemal verwischte.

      Durch solche Operationen an gesunden Augen vermehrte Dr. Wassory nicht nur seinen Ruhm und seinen Ruf als unvergleichlicher Arzt, dem es noch jedesmal gelungen sei, die drohende Erblindung aufzuhalten – es befriedigte gleichzeitig seine maßlose Geldgier und frönte seiner Eitelkeit, wenn die ahnungslosen, an Körper und Vermögen geschädigten Opfer zu ihm wie zu einem Helfer aufsahen und ihn als Retter priesen.

      Nur ein Mensch, der mit allen Fasern im Getto und seinen zahllosen, unscheinbaren, jedoch unüberwindlichen Hilfsquellen wurzelte und von Kindheit an gelernt hat, auf der Lauer zu liegen wie eine Spinne, der jeden Menschen in der Stadt kannte und bis ins kleinste seine Beziehungen und Vermögensverhältnisse erriet und durchschaute –, nur ein solcher – ›Halbhellseher‹ möchte man es beinahe nennen – konnte jahrelang derartige Scheußlichkeiten verüben.

      Und wäre ich nicht gewesen, bis heute triebe er sein Handwerk noch, würde es bis ins hohe Alter weiterbetrieben haben, um schließlich als ehrwürdiger Patriarch im Kreise seiner Lieben, angetan mit hohen Ehren, künftigen Geschlechtern ein leuchtendes Vorbild, seinen Lebensabend zu genießen, bis – bis endlich auch über ihn das große Verrecken hinweggezogen wäre.

      Ich aber wuchs ebenfalls im Getto auf, und auch mein Blut ist mit jener Atmosphäre höllischer List gesättigt, und so vermochte ich ihn zu Fall zu bringen – so wie die Unsichtbaren einen Menschen zu Fall bringen, wie aus heiterm Himmel heraus ein Blitz trifft.

      Dr. Savioli, ein junger deutscher Arzt, hat das Verdienst der Entlarvung – ihn schob ich vor und häufte Beweis auf Beweis, bis der Tag anbrach, wo der Staatsanwalt seine Hand nach Dr. Wassory ausstreckte.

      Da beging die Bestie Selbstmord! – Gesegnet sei die Stunde!

      Als hätte mein Doppelgänger neben ihm gestanden und ihm die Hand geführt, nahm er sich das Leben mit jener Phiole Amylnitrit, die ich absichtlich in seinem Ordinationszimmer bei der Gelegenheit hatte stehenlassen, als ich selbst ihn einmal verleitet, auch an mir die falsche Diagnose des grünen Stars zu stellen – absichtlich und mit dem glühenden Wunsche, daß es dieses Amylnitrit sein möchte, das ihm den letzten Stoß geben sollte.

      Der Gehirnschlag hätte ihn getroffen, hieß es in der Stadt.

      Amylnitrit tötet, eingeatmet, wie Gehirnschlag. Aber lange konnte das Gerücht nicht aufrechterhalten werden.«

      Charousek starrte plötzlich geistesabwesend, als habe er sich in ein tiefes Problem verloren, vor sich hin, dann zuckte er mit der Achsel nach der Richtung, wo Aaron Wassertrums Trödlerladen lag.

      »Jetzt ist er allein«, murmelte er, »ganz allein mit seiner Gier und – und – und mit der Wachspuppe!«

      Mir schlug das Herz bis zum Hals.

      Ich sah Charousek voll Entsetzen an.

      War er wahnsinnig? Es mußten Fieberphantasien sein, die ihn diese Dinge erfinden ließen.

      Gewiß, gewiß! Er hat alles erfunden, geträumt!

      Es kann nicht wahr sein, was er da über den Augenarzt Grauenhaftes erzählt hat. Er ist schwindsüchtig, und die Fieber des Todes kreisen in seinem Hirn.

      Und ich wollte ihn mit ein paar scherzenden Worten beruhigen, seine Gedanken in eine freundliche Richtung lenken.

      Da fuhr, noch ehe ich die Worte fand, wie ein Blitz in meine Erinnerung das Gesicht Wassertrums mit der gespaltenen Oberlippe, wie es damals in mein Zimmer mit runden Fischaugen durch die aufgerissene Tür hereingeschaut hatte.

      Dr. Savioli! Dr. Savioli! – ja – ja, so war auch der Name des jungen Mannes gewesen, den mir der Marionettenspieler Zwakh flüsternd anvertraut als den des vornehmen Zimmerherrn, der von ihm das Atelier gemietet hatte.

      Dr. Savioli! – Wie ein Schrei tauchte es in meinem Innern auf. Eine Reihe nebelhafter Bilder zuckte durch meinen Geist, jagte sich mit schreckhaften Vermutungen, die auf mich einstürmten.

      Ich wollte Charousek fragen, ihm voll Angst rasch alles erzählen, was ich damals erlebt, da sah ich, daß ein heftiger Hustenanfall sich seiner bemächtigt hatte und ihn fast umwarf. Ich konnte nur noch unterscheiden, wie er, sich mühsam mit den Händen an der Mauer stützend, in den Regen hinaustappte und mir einen flüchtigen Gruß zunickte.

      Ja, ja, er hat recht, er sprach nicht im Fieber, fühlte ich – das unfaßbare Gespenst des Verbrechens ist es, das durch diese Gassen schleicht Tag und Nacht und sich zu verkörpern sucht.

      Es