Sellier, Philippe, Introduction, in: Pascal, Pensées, a.a.O., 5–102.
GRÖSSE
Wenn ein Tier durch Geisteskraft das vollbrächte, was es aufgrund von Instinkt tut, und wenn es durch Geisteskraft das laut von sich gäbe, was es aufgrund des Jagdinstinkts von sich gibt und um seinen Jagdgefährten zu signalisieren, ob die Beute gestellt oder verloren ist, dann spräche es auch ebenso in Angelegenheiten, die es innerlich mehr betreffen, etwa um zu sagen: »Zernagt diesen Strick, der mich wund macht und den ich nicht zu fassen kriege.« (137)
Größe
Die Ursache der Wirkungen zeigt die Größe des Menschen an: dass er aus der Begierde eine so schöne Ordnung hervorgebracht hat. (138)
Was in uns ist es eigentlich, das Vergnügen empfindet? Die Hand? Der Arm? Das Fleisch? Das Blut? Es wird sich zeigen, dass es sich um etwas Immaterielles handeln muss. (140)
Ich kann mir sehr wohl einen Menschen ohne Hände, ohne Füße und ohne Kopf ausdenken, denn wir wissen lediglich aus Erfahrung, dass der Kopf notwendiger ist als die Füße. Doch ich kann mir keinen Menschen ohne Gedanken ausdenken. Das wäre ja dann ein Stein oder ein stumpfsinniges Tier. (143)
Instinkt und Vernunft: Kennzeichen zweier Naturen. (144)
Denkendes Schilfrohr
Es ist nicht der Raum, worin ich meine Würde suchen muss, es ist vielmehr der geordnete Ablauf meines Denkens. Ich hätte überhaupt nichts davon, Ländereien zu besitzen. Durch den Raum umfasst und verschlingt mich das Universum. Ich hingegen erfasse das Universum im Gedanken. (145)
Die Größe des Menschen besteht darin, dass er sich in seinem Elend erkennt. Ein Baum erkennt sich selbst nicht in seinem Elend. Es bedeutet also elend zu sein, wenn man sich in seinem Elend erkennt, doch es bedeutet zugleich groß sein, wenn man erkennt, dass man elend ist. (146)
Immaterialität der Seele. Die Philosophen, die ihre Leidenschaften bezähmten: Welche Materie war es, die das bewirken konnte? (147)
All dieses Elend ist gerade der Beweis seiner Größe. Es ist das Elend eines großen Herrn, das Elend eines seines Throns beraubten Königs. (148)
Die Größe des Menschen
Die Größe des Menschen tritt so offensichtlich zutage, dass man sie selbst aus seinem Elend erkennen kann. Denn das, was bei den Tieren Natur heißt, nennen wir in Bezug auf den Menschen Elend. Damit anerkennen wir, dass er, dessen Natur heute der der Tiere entspricht, eine bessere Natur, die ihm einst eigen war, bei seinem Fall verloren hat.
Denn wer ist darüber unglücklich, nicht König zu sein, wenn nicht ein entthronter König? Hat man erlebt, dass
Aemilius Paulus unglücklich darüber war, kein Konsul zu sein? Im Gegenteil! Alle fanden, er sei glücklich, dass er Konsul gewesen war, denn es entsprach ihm nicht, dies für immer zu sein. Perseus hingegen erlebte man unglücklich darüber, kein König zu sein, denn ihm hätte es entsprochen, für immer König zu sein, und man wunderte sich darüber, dass er das Leben weiter ertragen konnte. Wer ist glücklich darüber, nur einen Mund zu haben? Und wer wäre nicht unglücklich darüber, nur ein Auge zu haben? Man ist wohl noch nie auf den Gedanken gekommen, traurig darüber zu sein, dass man keine drei Augen hat, aber man ist untröstlich, wenn man gar keines hat. (149)
Größe des Menschen selbst in seiner Begierde, weil er es verstanden hat, daraus eine bewundernswerte Ordnung hervorzubringen und ein Gemälde der Nächstenliebe zu schaffen. (150)
Größe des Menschen
Wir haben eine so hohe Meinung von der Seele des Menschen, dass wir es nicht ertragen können, von ihr verachtet zu werden und uns der Wertschätzung einer Seele nicht zu erfreuen. Und diese Wertschätzung macht das ganze Glück des Menschen aus. (30)
Größe, Elend
Je größer das Maß an Einsicht ist, über das man verfügt, umso mehr entdeckt man die Größe, umso mehr aber auch die Niedrigkeit des Menschen.
Die gewöhnlichen Menschen.
Die höheren Ranges.
Die Philosophen.
Sie versetzen die gewöhnlichen Menschen in Staunen. Wer mag sich also wundern, wenn er sieht, dass die Religion nur das von Grund auf zu erkennen lehrt, was man umso eher anerkennt, je mehr Einsicht man hat? (506)
Der institutionell geschaffenen Größe entspricht der institutionell geschaffene Respekt. (650)
ELEND
Niedrigkeit des Menschen: Sie geht so weit, dass er sich den Tieren unterwirft; so weit, dass er diese anbetet. (86)
Unbeständigkeit
Die Dinge weisen mehrere Eigenschaften auf, und die Seele kennt mehrere Neigungen, denn nichts, was sich der Seele darbietet, ist einfach, und auch die Seele erweist sich keinem Gegenstand gegenüber als einfach. Darauf ist es zurückzuführen, dass man über ein und dieselbe Sache zugleich weint und lacht. (87)
Unbeständigkeit
Man glaubt, wenn man den Menschen berührt, schlüge man die Tasten eines einfachen Orgelmanuals an. Und tatsächlich sind es Orgelmanuale, aber höchst sonderbare, sich verändernde und wechselhafte. Die Orgelpfeifen sind nicht auf diese abgestimmt. Diejenigen, die nur mit einem gewöhnlichen Manual umgehen können, würden nicht mit ihnen in Einklang kommen. Man muss wissen, wo sich die Tasten befinden. (88)
So unglücklich sind wir, dass wir nur unter der Voraussetzung Gefallen an einer Sache finden können, dass wir uns ärgern, wenn sie einen schlechten Ausgang nimmt. Das kann durch Tausenderlei Dinge passieren und passiert tatsächlich ständig. Wer das Geheimnis entdeckt hätte, sich am Guten zu freuen, ohne sich über das entsprechende Übel zu ärgern, der hätte den entscheidenden Punkt getroffen. Dies ist das Perpetuum mobile. (89)
Es ist nicht gut, allzu frei zu sein.
Es ist nicht gut, alles, was nötig ist, auch zu haben. (90)
Tyrannei
Das Wesen der Tyrannei besteht darin, das auf einem bestimmten Weg haben zu wollen, was man nur auf einem anderen haben kann. Unterschiedlichen Pflichten ordnet man unterschiedliche Verdienste zu: der Pflicht zur Liebe den Liebreiz, der Pflicht zur Furcht die Stärke, der Pflicht zur Verlässlichkeit die Wissenschaft.
Diese Pflichten muss man erfüllen, man setzt sich ins Unrecht, wenn man sie von sich weist, und man setzt sich ins Unrecht, wenn man andere Pflichten fordert.
Deshalb sind die folgenden Aussagen falsch und tyrannisch: »Ich bin schön, also muss man mich fürchten. Ich bin stark, also muss man mich lieben. Ich bin … Und genauso falsch und tyrannisch ist es zu sagen: »Er ist nicht stark, also bringe ich ihm keine Wertschätzung entgegen. Er ist nicht geschickt, also werde ich ihn nicht fürchten.« (91)
Die Tyrannei besteht im Verlangen nach allumfassender Herrschaft außerhalb deren eigener Ordnung
Verschiedene Zimmer, in denen sich Starke, Schöne, Gescheite, Fromme befinden; ein jeder von ihnen herrscht bei sich zu Hause und nicht woanders. Und manchmal treffen sie sich. Und der Starke führt einen dummen Streit mit dem Schönen darüber, wer jeweils der Herr des anderen sein soll. Dabei ist doch ihre Meisterschaft von je unterschiedlicher Art. Sie verstehen einander nicht. Und ihr Fehler besteht darin, dass sie überall die Herrschaft ausüben