Über die Sitten und Bräuche dieses Volkes, dessen Sprache mir ganz unbekannt war und das ich nur einen einzigen Tag vor Augen hatte, darf ich weiter nichts als bloße Vermutungen wagen; doch konnte ich die Erfahrungen anderer Reisender verwerten, die schon früher dagewesen waren und deren Berichte ich genau studiert hatte. Ich bin also in der Lage, ihre Beobachtungen durch eigene Überlegungen zu ergänzen.
Auf der Insel wird kaum der zehnte Teil des Bodens bearbeitet. Ich bin fest davon überzeugt, dass jeder Indianer nur drei Tage zu arbeiten braucht, um sich alles das zu verschaffen, was er das ganze Jahr hindurch für seinen Lebensunterhalt nötig hat. Die Leichtigkeit, mit der hier jeder seine Bedürfnisse befriedigen kann, lässt mich vermuten, dass die Insulaner die Produkte der Erde unter sich aufteilen, wie ich auch fast mit Gewissheit annehme, dass sie – mindestens in ihrem Dorf oder ihrem Distrikt – in Gemeinschaftshäusern leben. Ich maß eins dieser Häuser aus. Es stand nicht weit von der Stelle entfernt, an der wir Posten gefasst hatten, war dreihundertzehn Fuß lang, zehn Fuß breit und in der Mitte zehn Fuß hoch. Im Aussehen glich es einer umgestülpten Piroge. Es besaß nur zwei Türen, die gerade zwei Fuß hoch waren, sodass man auf Händen und Füßen hineinkriechen musste, aber das Ganze konnte mehr als zweihundert Personen fassen. Dem Oberhaupt dieses Volks konnte das Haus nicht als Aufenthaltsort dienen, denn es enthielt keinerlei Gerätschaften, auch hätte ihm seine riesige Ausdehnung keinen Vorteil gebracht. Es bildete vielmehr mit zwei benachbarten kleineren Hütten ein eigenes Dorf.
Wahrscheinlich verfügt jeder Distrikt auf der Osterinsel über einen eigenen Häuptling, dem die Aufsicht über die Pflanzungen anvertraut ist. Kapitän Cook glaubte, dieser Häuptling sei der Eigentümer. Wenn es aber den berühmten Seefahrer einige Mühe kostete, sich mit einer hinlänglichen Menge Süßkartoffeln und Jamswurzeln zu versorgen, so war dieser Umstand durchaus nicht auf Lebensmittelmangel zurückzuführen, sondern er rührte daher, dass diese Naturprodukte nur mit Zustimmung nahezu aller an Fremde verkauft werden dürfen.
Was die Frauen angeht, so getraue ich mich nicht zu entscheiden, ob sich die Einwohner eines Bezirks derselben gemeinschaftlich bedienen und ob ihre Kinder der Gemeinschaft gehören. So viel ist richtig, dass es ganz so aussah, als ob kein einziger Indianer über irgendeine Frau die Autorität des Ehemanns ausüben dürfe. Sollten die Inselbewohner aber ihre Ehehälften als ihr Privateigentum betrachten, dann gehen sie auf jeden Fall sehr verschwenderisch mit ihm um.
Man findet auf der Insel, wie ich schon gesagt habe, einige unterirdische Wohnungen; andere sind aus Binsen verfertigt, was beweist, dass es im Inneren der Insel sumpfige Gegenden gibt. Diese Binsen sind auf eine sehr künstlerische Art ineinandergeflochten und bieten einen vollkommenen Schutz gegen Regen. Die Binsenhütten ruhen auf einem Sockel von Hausteinen von achtzehn Fuß Dicke, in den man in regelmäßigen Abständen Löcher gebohrt hat. In den Löchern stecken Stangen, die, bogenförmig gekrümmt, das Dach tragen. Es besteht, wie die Seitenwände, aus Binsenmatten.
An der Verwandtschaft der Bewohner der Osterinsel mit den Bewohnern anderer Südseeinseln kann man, wie schon Kapitän Cook festgestellt hat, nicht zweifeln. Sie sprechen dieselbe Sprache und gleichen einander im Aussehen. Ihre Stoffe verfertigen sie aus der Rinde des Maulbeerbaums. Auf der Osterinsel sind diese Bäume sehr selten, weil sie zumeist der Dürre zum Opfer gefallen sind. Diejenigen, die man noch antrifft, sind nie über drei Fuß hoch, und man muss Mauern aufführen, um sie gegen den Wind zu schützen. Merkwürdig ist es, dass die Maulbeerbäume nie höher werden als die Mauern, die ihnen als Schutzwehr dienen.
In älteren Zeiten dürften sich die Insulaner derselben Landesprodukte erfreut haben wie die Bewohner der Gesellschaftsinseln. Die Obstbäume sind infolge der Trockenheit zugrunde gegangen, der auch die Schweine und die Hunde erlagen; diese Tiere können sich ohne viel Wasser schlechterdings nicht behelfen. Der Mensch aber, der in der Hudson Bay Waltran zu sich nimmt, gewöhnt sich an alles. Ich habe auf der Osterinsel Einheimische beobachtet, die, gleich den Albatrossen von Kap Hoorn, Meerwasser tranken. Wir kamen in der feuchten Jahreszeit an; in den Löchern und Vertiefungen am Strand gab es ein wenig Brackwasser, das die Indianer in Kalebassen füllten und uns zum Trinken anboten; aber selbst den Durstigen unter unseren Leuten ekelte davor. Ich bezweifle daher, dass die Schweine, die ich den Insulanern zum Geschenk machte, sich hier fortpflanzen werden, aber ich hoffe, dass die Schafe und die Ziegen gedeihen, die wenig Flüssigkeit zu sich nehmen und gern Salz lecken.
Nachmittags um ein Uhr ging ich wieder zu unserem Zelt zurück, in der Absicht, mich an Bord zu begeben, damit mein Zweiter Schiffsleutnant, Herr de Clonard, auch einmal Landluft schnuppern könne. Bei meiner Rückkehr stellte sich heraus, dass fast alle unsere Leute keine Hüte und keine Schnupftücher mehr besaßen. Unsere Nachsicht hatte die Diebe immer dreister gemacht, die auch mir eins auswischten. Ein Indianer, der mir geholfen hatte, von einer Plattform herabzusteigen, riss mir den Hut vom Kopf und lief aus Leibeskräften davon; der ganze Haufen rannte ihm, wie üblich, nach. Ich ließ ihn entwischen, weil ich nicht als Einziger das Vorrecht haben wollte, mich gegen die Sonnenstrahlen zu schützen, gingen mittlerweile doch alle unsere Leute mit unbedecktem Haupt herum. Stattdessen widmete ich meine Aufmerksamkeit erneut besagter steinerner Erhöhung, um sie noch genauer zu untersuchen. Ich muss gestehen, da mir dieses Monument eine sehr hohe Meinung von der Begabung beigebracht hat, die dieses Volk in älterer Zeit für Bauarbeiten besessen hat. Das pompöse Wort Baukunst wäre hier fehl am Platz. Man ersieht aus allem, dass dieses Volk nie einen Begriff von irgendeiner Art Mörtel hatte, sich aber sehr wohl darauf verstand, Steine nach allen Regeln der Kunst zu spalten, zuzuhauen und aneinanderzufügen.
Um zwei Uhr ging ich an Bord, und Herr de Clonard begab sich an Land. Bald darauf wurde mir von zwei Offizieren der Astrolabe die Nachricht überbracht, die Indianer hätten abermals einen Diebstahl verübt und seien dabei mit der Mannschaft heftiger als bisher aneinandergeraten. Einige Taucher hatten vom Boot, das zur Astrolabe gehört, unterhalb der Wasserfläche das Tau durchgeschnitten und den daranhängenden Anker gestohlen. Man bemerkte es nicht eher als zu einem Zeitpunkt, an dem sich die Diebe schon weit landeinwärts befanden. Da wir diesen Anker nicht entbehren konnten, verfolgten zwei Offiziere und mehrere Soldaten die Übeltäter. Sie wurden von den Indianern mit einem Steinregen empfangen. Ein Gewehrschuss in die Luft blieb ohne Erfolg. Das Kommando sah sich gezwungen, mit Schrot zu feuern; einige Schrotkörner trafen wohl einen der Insulaner, denn die Steinwürfe hörten auf. Unsere Offiziere erreichten unbehelligt unser Zelt. Die Diebe waren nicht mehr einzuholen, und sie werden sich nicht wenig darüber gewundert haben, dass wir sie im ungestörten Besitz ihres Raubes ließen.
Bald darauf näherten sie sich wieder unseren Posten und boten ihnen ihre Frauen an; wir waren also wieder gut Freund wie bei unserer ersten Begegnung. Abends um sechs Uhr war endlich wieder alles eingeschifft, und nachdem man unsere Boote an Bord gehievt hatte, gab ich das Signal zur Vorbereitung der Abfahrt. Bevor wir unter Segel gingen, erstattete mir Herr de Langle einen ausführlichen Bericht über seinen Streifzug durch das Innere der Insel. Er hatte auf seinem ganzen Weg Samen gepflanzt und den Insulanern zahlreiche Beweise seines Wohlwollens gegeben. Nur um das Charakterbild der Inselbewohner abzurunden, sei erwähnt, dass ein Häuptling, den Herr de Langle mit einem Bock und einer Ziege beschenkte,