Der König und sein Spiel. Dietrich Schulze-Marmeling. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dietrich Schulze-Marmeling
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783895338465
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der Komödie „Antonias Welt“ (1995) und dem Filmdrama „Das Haus am See“ (2006) zu besichtigen, stammen ebenfalls aus Betondorp.

      Nachbar Ajax

      Vom Ajax-Stadion De Meer trennt Betondorp nur der Middenweg, der aus Richtung Diemen ins Herz der Stadt führt. Das Haus der Cruyffs in der Akkerstraat 32 befindet sich nur wenige hundert Meter Luftlinie vom Anstoßpunkt im De Meer entfernt. Im Herbst 1959 zieht die Familie innerhalb Betondorps in die Weidestraat 37 um und rückt damit noch näher an die Ajax-Spielstätte.

      Bereits 1907 war Ajax aus dem Norden der Stadt in den Osten nach Watergraafsmeer umgezogen. Für den neuen Standort sprach, dass er sich vom Stadtzentrum aus gut mit der Straßenbahn erreichen ließ. Am Middenweg entstand nun das „Holzstadion“, dass aber mit der Zeit zu klein wurde. Die Zuschauer standen häufig bis an die Außenlinien und beeinträchtigten den Spielbetrieb.

      Am 9. Dezember 1934 nahm Ajax am Middenweg das vereinseigene Stadion De Meer in Betrieb. Architekt des Stadions ist der Ajaciede Dan Rodenburgh. Der Stadionbau kostet Ajax 100.000 Gulden. Für einen Amateurverein war das damals eine enorme Summe und eine mit erheblichen Risiken verbundene Investition. Zur Eröffnung der zunächst 22.000 Zuschauer fassenden Spielstätte kam Stade Francais Paris und wurde mit 5:1 abgefertigt.

      Es gibt eine Karte, auf der die Stammvereine der Amsterdamer Fußballprofis verzeichnet sind. Diese Amateurklubs sind über die gesamte Stadt verteilt, aber um das mittlerweile abgerissene ehemalige Ajax-Stadion De Meer ballen sie sich. Die Ajax-Scouts konnten einen großen Teil ihrer Arbeit zu Fuß erledigen. Einschließlich Ajax sind 14 der 39 aufgeführten Klubs in Amsterdam Oost bzw. Watergraafsmeer beheimatet, wo die Sportparks Middenmeer, Voorland und Drieburg zahlreiche Fußballplätze beherbergen. In keiner anderen Gegend Amsterdams gibt es eine derartig große Ansammlung von Fußballplätzen.

      Bei Ajax begann nur Cruyff mit dem Fußballspielen. Ruud Gullit, Europas Fußballer des Jahres 1987, startete bei den Meerboys, Wim Kieft bei Madjoe, Louis van Gaal bei De Meer, Sjaak Swart und Rob Rensenbrink beim 1994 aufgelösten OVVD, Bennie Muller bei TDW, der Keeper Stanley Menzo und neun andere bei Zeerburgia, Dennis Bergkamp bei Wilkskracht SNL, der heutige Hoffenheimer Ryan Babel bei Fortius, Piet Keizer bei Amstel, Mbark Boussoufa bei Middenmeer. Seit den 1950ern absolvierten fast 40 namhafte Profis ihre ersten fußballerischen Gehversuche in einem Radius von gut 500 Metern.

      Bei Ajax

      Johan Cruyffs Vater Manus betreibt einen kleinen Gemüsehandel und nennt sich „Hofleverancier van Ajax“ (Hoflieferant von Ajax). Er arbeitet hart und verdient wenig. In Betondorp gibt es zwei Schulen, eine öffentliche und eine protestantische. Johan Cruyff besucht bis zum zwölften Lebensjahr die Groen van Prinstererschool am Zaaiersweg. Die Schule ist ähnlich bibelfest wie ihr Namensgeber, und wenn es später um Cruyffs angeblichen „Geiz“ und „Geldgier“ geht, wird man diese häufig auf seine (angeblich) kalvinistische Erziehung zurückführen.

      Guillaume Groen van Prinsterer (1801-1876), der Namensgeber von Johans Schule, war ein Staatsmann, Geschichtsschreiber und Publizist und erklärter Gegner des Liberalismus. Van Prinsterer beeinflusste stark den protestantischen Theologen und Politiker Abraham Kuyper, der 1879 die Anti-Revolutionaire Partij (ARP) gründete. Das „antirevolutionär“ bezog sich auf die Ablehnung der Ideen der Französischen Revolution. Van Prinsterer wie Kuyper wollten die niederländische Gesellschaft zu einer kalvinistischen, am Ideal des 17. Jahrhunderts orientierten Nation unter Führung des Hauses Oranien formen, die aber Fremde und Minderheiten respektierte.

      In der Zeit der Besetzung durch Nazi-Deutschland spielte die orthodoxe Strömung der Niederländischen Reformierten Kirche eine eher positive Rolle. Viele „Antirevolutionäre“ beteiligten sich am Widerstand und versteckten jüdische Mitbürger. Für den britischen Holocaust-Forscher Bob Moore ragten „die Leistungen der Orthodoxen weit über die anderer Glaubensgemeinschaften hinaus“. Der niederländische Schriftsteller und Chronist seines Landes, Geert Mak, vermutet, dass die Orthodoxen zur Hilfe bereit waren, „weil sie im Schicksal der Juden ihr eigenes Selbstbild als verfolgtes Volk Gottes wiedererkannten. Trotz des Misstrauens gegenüber den jüdischen ‚Fremden‘ empfand man es fast als religiöse Pflicht, in diesen Zeiten höchster Not an der Seite des alten Volkes Abrahams, Isaaks und Jakobs zu stehen.“ Außerdem hätten die Orthodoxen „ganz und gar allergisch auf jede staatliche Einmischung und überhaupt auf Eingriffe von oben reagiert. Sie hatten ja nicht ohne Grund den sicheren Hafen der Staatskirche verlassen, um überall ihre eigenen Gemeinden zu gründen, und das Gleiche galt für die eigenen Schulen, die eigenen Zeitungen und all die anderen Einrichtungen, die sie unter großen Opfern ins Leben gerufen hatten. Das totalitäre Nazi-Regime verletzte diese Autonomie schon bald auf rücksichtslose Art, und auch hierauf reagierten sie ungewöhnlich heftig.“

      Nach der Schule kickt Cruyff auf den Straßen Betondorps und den Bolzplätzen rund um das Ajax-Stadion. Oder er geht dem Ajax-Platzwart Henk Angel zur Hand. 1996 erzählt Cruyff den Journalisten Frits Barend und Henk van Dorp: „Als ich in der Ersten debütierte, hatte ich bereits ein ganzes Fußballleben in De Meer hinter mir. Ich habe nur gute Erinnerungen an De Meer. Ich kannte jeden Winkel. Ich war siebzehn, als ich debütierte, aber damals lief ich dort bereits seit zehn Jahren herum. Ich habe Eckfahnen gesetzt, Schuhe geputzt, Stollen eingeschraubt, Gänge gestrichen, Sand in die Tore gestreut; bei allem half ich Onkel Henk, soweit ich das als Kind konnte. Wir haben Schnee geräumt, Rasen gemäht, haben Netze aufgehängt, Linien gezogen, am Sonntag auf dem Tribünendach die Flaggen aufgehängt. Ich war Tag und Nacht da.“

      Am 25. April 1957, seinem zehnten Geburtstag, wird Cruyff in die Jugendmannschaft von Ajax aufgenommen. Als Mitglied hat ihn sein Vater bereits 1952 einschreiben lassen. Cruyff muss kein Probetraining absolvieren. Der Jugendtrainer Jany van der Veen, der später u. a. auch Clerence Seedorf für Ajax entdeckt, hat das Talent häufig genug auf den Straßen Betondorps spielen sehen. Jany van der Veen widmet sich dem Nachwuchs mit einer Intensität, als trainiere er eine Profielf. Cruyff hat das große Glück, dass der Klub bereits zu dieser Zeit mit den Jugendlichen auch individuell trainiert.

      Schulabbrecher, Autodidakt und erstes Gehalt

      1959 ereilt den zwölfjährigen Johan Cruyff ein schwerer Schicksalsschlag. Manus Cruyff stirbt nur 45-jährig an einem Herzleiden. Der frühe Tod des Vaters, mit dem der Sohn viele intensive Gespräche geführt hat, ist von prägender Bedeutung für Johan und erklärt vielleicht auch die spätere starke Hinwendung zu seinem Schwiegervater Cor Coster und dessen Familie. Simon Kuper zitiert den ehemaligen Ajax-Psychologen Dolf Grunwald: „Cruyff lehnt jegliche Autorität ab, weil er – unbewusst – jeden mit seinem Vater vergleicht.“ Als Roelf Zeven die psychologische Betreuung des Ajax-Teams übernimmt, soll Cruyff mit ihm permanent über seinen Schwiegervater Cor Coster gesprochen haben.

      Die Familie Coster ist wohl auch der wesentliche Grund für das extrem schlechte Verhältnis zwischen Johan Cruyff und seinem zweieinhalb Jahre älteren Bruder Henny. Auch Henny spielte in der Jugend für Ajax, verfügt aber bei Weitem nicht über das Talent seines Bruders. Für Henny Cruyff, der 1968 in der Elandsgracht im Jordaan ein Sportgeschäft eröffnete und sich heute in einer lokalen Bürgerinitiative für die Belange seines Viertels engagiert, hat der Bruder seine eigene Herkunft gewissermaßen verraten. Dafür macht er Johans Hinwendung zur Coster-Familie verantwortlich, wie ein naher Bekannter vermutet: „Henny Cruyff glaubt, dass Cor Coster und die Familie Coster ihm den Bruder geraubt haben.“

      Vor einigen Jahren behauptete Henny Cruyff, Johans Schwiegervater Cor Coster sei im Zweiten Weltkrieg SS-Mann und stellvertretender Lagerführer in Lettland gewesen. Er kontrastierte dies mit der Geschichte seines Vaters Manus, der sich in der Zeit der deutschen Besatzung im Widerstand engagiert und dabei sein Leben riskiert habe – ein Vater also, auf den Johan, im Gegensatz zum Schwiegervater Cor Coster, stolz sein könnte. Seither kommunizieren die Brüder überhaupt nicht mehr miteinander. Stattdessen leiteten Johan und seine Frau Danny juristische Schritte ein, und Henny Cruyff musste die Behauptungen über Cor Costers Vergangenheit von seiner Homepage entfernen. Das Nederlandse Institut voor Oorlogsdocumentatie (NIOD), das von Henny Cruyff zunächst als Zeuge aufgeführt wurde, widersprach