Katharina kann’s besser
Ein Blick auf die Landkarte hat Katharina gezeigt, dass Dänemark nicht auf der Skandinavischen Halbinsel liegt und auf dieser nur Schweden, Norwegen und der nordwestliche Teil Finnlands beheimatet sind. Auch mit einer Kurzfassung der Geschichte Schwedens hat sie sich inzwischen vertraut gemacht und weiß nun um den jahrhundertelangen Zwist mit den Dänen. Es wird ihr kein zweites Mal passieren, dass sie die Schweden mit den dänischen Nachbarn, die durch die beiden Meeresgebiete Kattegat und Skagerrak voneinander getrennt sind, miteinander vergleicht. Am Ende ihres Aufenthalts wird sie ohnehin merken, dass die beiden Länder unterschiedlicher nicht sein könnten.
STOCKHOLM
Die schwedische Hauptstadt, die an der Nahtstelle zwischen dem Mälarsee und der Ostsee liegt, erstreckt sich über 14 Inseln, die durch über 50 Brücken miteinander verbunden sind. Gegründet wurde die Stadt von König Birger Jarl Mitte des 13. Jahrhunderts als Handelsposten auf der Insel Stadsholmen, über die sich die Altstadt, Gamla Stan, erstreckt. Sein Sohn Magnus schloss Verträge mit der deutschen Hanse, die jahrhundertelang den schwedischen Überseehandel kontrollierte, weshalb sich in jenen Tagen zahlreiche Deutsche in Stockholm ansiedelten. Das deutsche Erbe zeigt sich an vielen Orten in Gamla Stan, besonders in den Gassen rings um die Deutsche Kirche (Tyska Kyrkan). Zentrum der überwiegend autofreien Altstadt ist der Stortorget, von dem zahlreiche Gassen in alle Richtungen abgehen. Katharina wohnt während ihres Forschungssemesters auf Norrmalm, Stockholms nördlichstem Stadtteil, der offiziell »Stockholm City« heißt. Die Insel ist mit Gamla Stan durch die Riksgatan auf der Regierungsinsel Helgeandsholmen und der Riksbron (Reichsbrücke) verbunden, die direkt in die Drottninggatan führt. Die belebte Einkaufsstraße endet am Observatorium in Vasastaden. In diesem ruhigen Ortsteil im Westen Norrmalms lebte und schrieb Astrid Lindgren 60 Jahre lang. In der City befinden sich um den Sergels Torg herum der T-Centralen, Herz des Stockholmer U-Bahn-Netzes (das T steht für tunnelbana«, Schwedisch für »U-Bahn«) sowie am Hötorget das Konserthuset, Heimstätte des Stockholmer Philharmonischen Orchesters, wo jährlich am 10. Dezember die Nobelpreise verliehen werden.
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KATHARINA BLEIBT AUF IHREN KRONEN SITZEN
WILLKOMMEN IN DER BARGELDLOSEN GESELLSCHAFT!
Gegen Abend will Katharina ihr neues Umfeld erkunden und schlendert ziellos die Drottninggatan hinunter. In der eineinhalb Kilometer langen Einkaufsstraße im Zentrum, die ihren Namen im 17. Jahrhundert zu Ehren von Königin Christina (drottning = Königin) erhielt, reihen sich kunterbunte Läden, Coffeeshops und Restaurants aneinander. In Nummer 85, gar nicht weit entfernt von dem Haus, in dem die junge Molekularbiologin in den nächsten Monaten zu Hause ist, verbrachte der Schriftsteller August Strindberg seine letzten Lebensjahre. Seine Wohnung im Obergeschoss ist heute das Strindberg-Museum. Das, hat sie sich vorgenommen, möchte sie in den nächsten Tagen unbedingt besuchen – wo sie doch schon mal in der Nähe wohnt. Ihr fällt eine Saftbar ins Auge, die »Joe & The Juice« heißt. Ein Smoothie wäre jetzt nicht schlecht, denkt sie und tritt ein. Sie hat die Qual der Wahl zwischen Green Haven, Joe’s Identity, Green Shield, Clear Vision, Go Away Doc sowie zahlreichen anderen exotischen Smoothie-Kreationen und entscheidet sich letztendlich für Joe’s Green Mile mit Brokkoli, Spinat, Avocado, Apfel und Zitrone. Bevor der Angestellte mit dem Namensschild »Lucas« den Smoothie mixt, bittet er Katharina zur Kasse. Sie zieht einen 100-Kronen-Schein aus ihrem Geldbeutel. In letzter Minute hatte sie in der Reisebank am Frankfurter Flughafen Euro in Kronen umgetauscht. Bei ihrer Hausbank hatte man ihr erklärt, dass diese nur noch die gängigen Währungen Britisches Pfund, Dollar und Schweizer Franken anbiete. Als Lucas den Geldschein sieht, wehrt er ab und sagt: »Sorry, Bezahlung ist nur mit Karte oder mobile Payment möglich.« Katharina wundert sich. Den Taxifahrer bei ihrer Ankunft hatte sie noch mit zweihundert Kronen in bar bezahlt. Nun soll sie einen Kleinbetrag von umgerechnet 7,50 Euro mit Karte zahlen? Sie überlegt, mit welcher Karte weniger Gebühren fällig werden – EC oder Visa? – und entscheidet sich schließlich für ihre Visa-Karte, die ihres Wissens bei Auslandseinsätzen günstiger ist.
Mit ihrem grünen Smoothie in der Hand setzt sie ihren Bummel über die Drottninggatan fort. An der Ecke Klarabergsgatan stößt sie auf das Kaufhaus Åhlens City. Der gigantische, mehrstöckige Einkaufstempel sieht so einladend aus, dass Katharina spontan hineingeht, mit der Rolltreppe in die erste Etage fährt und in den Kleiderständern und Regalen mit schwedischen Modelabels herumstöbert. In den oberen Etagen gibt es Geschenkartikel, Bücher, Wohnaccessoires, Geschirr sowie im Untergeschoss einen Supermarkt. Auf der Etage mit den Wohnaccessoires befinden sich die Toiletten, die Katharina dringend aufsuchen müsste. Entgeistert stellt sie fest, dass die Benutzung derselben nur mit Kreditkartenzahlung möglich ist. »Für fünf Kronen, das sind umgerechnet etwa 50 Cent, soll ich meine Kreditkarte benutzen? Das ist ein Witz!«, flucht sie innerlich. Ihr bleibt jedoch nichts anderes übrig, denn die Blase drückt. Als sie fertig ist, fährt sie ins Untergeschoss zum Supermarkt, um sich ein paar Naschereien zu kaufen. Die langen Schlangen an der Kasse halten sie jedoch davon ab. Feierabendeinkäufe, ganz wie zu Hause, denkt sie, fährt wieder nach oben und nimmt sich vor, auf dem Rückweg in einem der 7-Eleven-Shops vorbeizuschauen, die ihr unterwegs auf der Drottninggatan aufgefallen waren. Sie kennt die Läden der japanischen Einzelhandelskette aus den USA und wusste nicht, dass es sie auch in Schweden an jeder Ecke gibt.
Katharina geht die Straße hinauf und betritt den nächsten 7-Eleven, der in ihr Blickfeld gerät. Sie entscheidet sich für eine Tüte Mandeln und zwei Bananen. Als sie bezahlen will und dem asiatischen Kassierer einen Kronenschein entgegenstreckt, sagt dieser: »Sorry, no cash!« Katharina versteht die Welt nicht mehr: Schon wieder keine Barzahlung möglich? Dass dies in den USA gang und gäbe ist, versteht sie ja, aber im kleinen Schweden?! Sie zieht ihre Kreditkarte aus dem Geldbeutel und steckt sie in das kleine Kartenlesegerät. Wenn das so weitergeht, dass keiner Bargeld akzeptiert, sind am Ende der drei Monate ganz schön viele Gebühren für den Karteneinsatz aufgelaufen, denn gebührenfrei ist der Einsatz der Kreditkarte ja nur zu Hause und in den Euro-Ländern, und dazu gehört Schweden mit seinen Kronen nicht. Mist!, denkt sie und trottet nach Hause.
Was ist schiefgelaufen?
Die Deutschen lieben das Bargeld, die Schweden nicht. Katharina, die sich kaum auf ihren Aufenthalt vorbereitet hat, stellt überrascht fest, dass das Land inzwischen zu einer fast bargeldlosen Gesellschaft geworden ist. Man findet tatsächlich nur noch wenige Geschäfte, die Münzen und Scheine akzeptieren. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich beim Kauf um eine Tasse Kaffee, eine Zeitung am Kiosk oder ein teures Abendessen handelt. Die Stockholmer Nahverkehrsbetriebe SL (Storstockholms Lokaltrafik) akzeptieren keine Barzahlung mehr, selbst öffentliche Toiletten und Parkautomaten wurden auf bargeldloses Zahlen umgerüstet. Die meisten Stockholmer zahlen per Smartphone mit Swish, dem mobilen Zahlungssystem schwedischer Banken, das von knapp sieben Millionen Schweden genutzt wird – das ist eine Menge, wenn man bedenkt, dass das Land nur 10 Millionen Einwohner hat. Swish ist praktisch, kann aber nur von denjenigen genutzt werden, die über ein schwedisches Girokonto, einen Wohnsitz in Schweden und ein nationales Personenkennzeichen, die »Personnummer«, verfügen. Vor der Reise nach Schweden Euro in Kronen umzuwechseln lohnt sich nicht. EC-Karten und alle gängigen Kreditkarten werden überall akzeptiert – auch bei Spenden in der Kirche und auf Floh- und Wochenmärkten.
DIE »PERSONNUMMER«
Was den Amerikanern die »Social Security Number«, ist den Schweden die »Personnummer«. Durch diese Identifikationsnummer, die 1947 eingeführt wurde und von der schwedischen Steuerbehörde Skatteverket ausgestellt wird,