Shon schüttelt den Kopf. »Ganz einfach, Yun. Er ist freiwillig in den Kälteschlaf gegangen. Der Ara hat mir die Logdaten gezeigt. Felton ist der Einzige, der sich dazu entschlossen hat, seit es diese Kryokombe gibt.«
Das bläst mich weg wie 'n Schneesturm. Freiwillig? Quatsch. Robbenschiss. Kupplerfurz. Ich kann mir nicht vorstellen, wie irgendwer so blöd sein kann und sich freiwillig eindosen lässt. Ich mein, wenn du genug vom Leben hast und 'n eisiges Ende suchst, mach dir keinen unnötigen Stress. Latsch' einfach aus der nächsten Schleuse aufs Eis. Frostie schickt dir 'nen Schneesturm oder 'n Killerrobbenrudel. Garantiert. Oder wenn dir das nicht gefällt, reiß dir die Klamotten runter. Mit 'ner Schneeschippe Glück bist du erfroren, bevor die Robben dich kriegen.
Aber es stimmt, Felton hat sich freiwillig eingedost. Shon hat einen Haufen Ausdrucke mitbekommen. War im Preis drin. Felton hat sich vor dreiundsechzig Terrajahren einfrieren lassen, als einer der Ersten überhaupt. Als hätte er's kaum erwarten können. Und hatte sogar cold vorgesorgt. Hatte seine gesamte Kohle in einen Fonds gesteckt. Bombensichere Anlage, hat es Shon genannt. Kenn' mich nicht aus mit so was, aber Shon meinte, eigentlich hätte nichts schief gehen dürfen. Felton hatte Anteile an einem Dutzend Frachtflotten.
Hatte sich also richtig kuschlig eingerichtet. Konnte nur nicht ahnen, dass eines Tages die Hyperimp... die Hyperimetanz ... du weißt schon ... dass eben eines Tages erstmal gut ist mit Raumschiffen durch die Gegend kutschieren. Pffft! Weg war die Kohle.
DOLSON: Das ist faszinierend. Ich habe einmal davon gelesen, dass es in der frühen Raumfahrtphase von Terra schon einmal Kryoschlaf gegeben hat. Die ganze Sache war aber nur ein Spuk, der schnell vorüber war. Es stellte sich heraus, dass sich vor allem psychisch Kranke und Menschen, die mit ihrem Leben nicht klar kamen, einfrieren ließen. Sie hatten die wahnwitzige Hoffnung, dass ihre Probleme zurückbleiben würden, wenn sie sich in ein paar Jahrhunderten oder Jahrtausenden wieder auftauen ließen.
YUN: So was Ähnliches hat Felton auch vorgehabt. Deshalb war er auch so sauer gewesen, als wir ihn aus dem Schlaf holten. Waren gerade mal dreiundsechzig Jahre vergangen – und er hatte fünfunddreißigtausend pennen wollen.
DOLSON: Fünfunddreißigtausend Jahre? Das ... hieße, er wäre im planetarischen Frühling Flakes aufgewacht!
YUN: Bist ein cleveres Kerlchen, Spezialist.
Kapitel 33
Der Schutzschirm des Trümmerschiffs gab unter der Vielzahl der Energiefinger nach, die sich in seine Substanz gruben. Er warf riesige Blasen. Sie lösten sich vom Hauptschirm, drifteten einige Augenblicke lang ins All und zerplatzten.
Es war, als steuerte die BANDIKOT direkt in eine Sonne.
»Talina! Du bringst uns um!«, brüllte Lifkom Tremter. Er hob die Arme schützend vor den Kopf. Ein absurder Gedanke kam ihm: Er würde als Letzter sterben. Millisekunden nach der BANDIKOT und den Oxtornern, solange die Funktionen seines Anzugs den entfesselten Energien standhielten.
Dann setzte der Schirm des Trümmerschiffs aus. Er zersprang, eine überdimensionale, mehrere Kilometer durchmessende Seifenblase, geformt aus purer Energie. Die BANDIKOT bäumte sich auf, als die Schockwelle das Schiff erfasste. Ihr geschundener Rumpf kreischte in einem Schrei auf, von dem der Terraner überzeugt war, dass es der letzte sein würde. Oxtorner brüllten wie Tiere vor Schmerz, als sie erneut durch die Zentrale gewirbelt wurden. Ihre vielfach gebrochenen Glieder flogen hin und her, erinnerten an Kleiderfetzen, mit denen der Wind spielte.
Talina gab Vollschub. Sie musste Energie für diesen Moment gehortet haben. Der Kreuzer machte einen Satz, direkt auf den bloß daliegenden, von den furchtbaren Narben früherer Kämpfe zerfurchten Rumpf des Trümmerschiffs.
Sie mussten zerschellen! Zerschellen oder zusammen mit dem Trümmerschiff zu einer Gaswolke eruptieren. Glühend und ... Dunkelheit setzte ein. Die Strahlenfinger der Schlacht verschwanden. Lifkom sah nur Schwärze, unmittelbar vor der BANDIKOT in unergründlicher Dichte, im übrigen Sichtfeld mit fernen Sternen gesprenkelt.
»W-wir leben!«
»So ist es, mein kluger terranischer Freund.« Talina strahlte, als hätte sie eines der großen Spiele auf Oxtorne gewonnen. Als seien die letzten Minuten nur ein Albtraum gewesen, den sie als unnütze Erinnerung abgestreift hatte, um der Welt von Neuem ins Auge zu sehen, wie es einer Oxtornerin gebührte: mit weit geöffneten, neugierigen Augen. Spielerisch. Furchtlos.
Lifkom zitterte. Auf seiner Netzhaut tanzten die verblassten Energiefinger der Schlacht einen Tanz, von dem er wusste, dass er ihn nie wieder vergessen würde. Auch nicht, wenn er, gegen jede Wahrscheinlichkeit, die BANDIKOT lebend verlassen und auf Terra an Altersschwäche sterben sollte.
»Wie kann das sein? Wir waren mitten in der Todeszone ...«
»Sind wir jetzt nicht mehr.«
»Ich ... ich ...«
»Es war ganz einfach.« Talina blieb ganz auf die Steuerung konzentriert. Sie manövrierte den Kreuzer mit minimalen Schubstößen der absoluten Schwärze entgegen, die das Trümmerschiff verkörperte. »Ich musste mich nur in den Kommandanten dieses Trümmerkahns versetzen.«
»Aber wir wissen nichts über diese Fremden!«
»Müssen wir auch nicht. Sie steckten in der Klemme, sie wollten leben, mehr war nicht nötig. Dieser Riesenkasten hatte keine Chance. Ein Oxtorner- oder Terranerraumer hätte jedenfalls keine gehabt. Aber dann ist mir eingefallen, was diese Fremden uns voraus haben: Sie springen aus dem Stand in den Hyperraum. Ich dachte mir, was würde ich an seiner Stelle tun? Ganz einfach. Ich würde den Schirm aufgeben, meine Energie horten und mich dann wegkatapultieren. Genau das hat der Fremde gemacht – und er hat uns, ohne es zu wissen, huckepack mitgenommen.«
»Aber zwischen der Abschaltung des Schirms und dem Sprung sind mehrere Sekunden vergangen.«
»Verdammt lange Sekunden sogar. Dachte schon, es erwischt ihn noch. Auf der anderen Seite« – Talina klopfte auf das Pult – »hatten wir dadurch genug Zeit, mit unserer etwas ramponierten BANDIKOT nahe genug an ihn heranzukommen, um mitzuspringen.«
»Und wenn er ...«
»Wenn, wenn, wenn ... denkt ihr Terraner an überhaupt nichts anderes?« Ein sanfter Stoß setzte sich im Rumpf des Kreuzers fort. Talina sah von den Kontrollen auf. »Willkommen in Trümmerland – auf einen angenehmen Aufenthalt! Einen kurzen!«
Die künstliche Schwerkraft setzte aus, die ohnehin düstere Notbeleuchtung ließ weiter nach.
»Wir müssen Energie sparen«, beschied ihm Talina. »Jedes Watt, das wir nicht vergeuden, könnte uns retten. Und außerdem sollten wir unseren Trümmerfreund nicht durch Leuchtfeuer auf seinen Ortern darauf aufmerksam machen, dass er Besuch hat. Ich schätze, im Augenblick ist man drüben mit Zusammenkehren beschäftigt. Aber das wird nicht ewig andauern. Also los!«
Sie sahen nach den Verletzten, die jetzt überall in der Schwerelosigkeit der Zentrale trieben. Lifkom deaktivierte den Schwerkraftneutralisator seines Anzugs. Es war unumgänglich, wollte er nicht Gefahr laufen, dass seine energetischen Emissionen sie verrieten. Leichtigkeit überkam ihn, und mit ihr ein Gefühl von Stärke, das ihm für kurze Zeit neue Hoffnung einflößte. Sie erhielt einen Dämpfer, als er feststellen musste, dass die Fortbewegung in der Schwerelosigkeit ihren eigenen Gesetzen folgte. Gesetzen, mit denen er nicht vertraut war. Und sie verflog endgültig, als er es endlich geschafft hatte, an einen der verletzten Oxtorner heranzumanövrieren.
Oxtorner waren unscheinbare Recken. Kaum größer als gewöhnliche Terraner, verrieten sie lediglich eine übergroße Schulterbreite samt dazu passendem Brustkorb, sowie übergroße Füße – unauffällige Merkmale in einem Zeitalter, in dem sich Menschen auf tausenden von Welten niedergelassen und sich ihren Umweltbedingungen angepasst hatten. Äußerlich zählten die Oxtorner zu den unscheinbaren Verzweigungen des Menschen. Was Oxtorner auszeichnete, waren ihre »inneren« Qualitäten. Sie waren schwer, wogen ein Vielfaches