YUN: Schön wär's. Euer Kahn ist uncold abtörnend, Mann. Ist aber besser so, wär' ja eh keine Flakie hier zum ... du weißt schon. Und um es mit Terranern ... na ja, man soll nie nie sagen, aber ist hoffentlich noch lang hin, bis ich so ausgehungert bin.
Ist auch egal. Sie ist drauf und dran, mich zu vernaschen, da sieht sie Shon und schreit wie 'ne aufgespießte Robbe. Kann gerade noch verhindern, dass sie sich auf Shon stürzt, um ganz andere Sachen mit ihm anzustellen.
»Was macht der Terraner hier?«, brüllt sie.
»Er ist ein Freund!«, brüll' ich zurück. »Ein Freund.«
Sie windet sich wie blöd, um aus meinem Griff zu kommen, aber ich geb' nicht nach. Ruf' immer nur »Ein Freund! Ein Freund!« Irgendwann wirkt's. Vielleicht fehlt ihr auch nur die Kraft. Jedenfalls gibt sie nach. »Cold«, sag' ich. »Cold bleiben.« Inzwischen ist der Rest der Schläfer aufgewacht, glotzen mich und das Mädel an. Und Shon. Ein halbes Dutzend Vierte. Wenn sie sich auf Shon stürzen ... null Chance für mich und ihn. Sie glotzen blöde, reiben sich den Schlaf aus den Augen. Ich kapier', dass ich was tun muss, sonst ...
Mir kommt 'ne Idee. »Er ist kein Terraner!«, brüll' ich. »Er ist ... er ist Xeno-Ethnologe!« Bin stolz wie ein Eisschnitzer auf seine erste Skulptur, dass ich das Wort hingekriegt hab'. Weiß immer noch nicht, was es bedeutet, aber es klingt fremd, anders. Nicht nach Terraner. Und das ist, was ich gebraucht hab'.
»Xeno... was?«, sagt das Mädel. Guckt immer noch skeptisch, aber immerhin brüllt sie nicht mehr.
»Xeno-Ethnologe«, hilft Shon aus.
»Nie von gehört. Was für ein Volk soll das sein?«
»Ein ... ein kleines Volk. Wir Xeno-Ethnologen sind unscheinbar, wir leben sozusagen an den Rändern. Dort, wo sonst keiner hin will. In den abgelegenen Gebieten von abgelegenen Welten von abgelegenen Systemen. Meistens nehmen die Leute keine große Notiz von uns, und das ist uns recht. Denn, wenn sie uns bemerken, bedeutet das meistens Ärger. Die Leute verstehen uns nicht. Sie misstrauen uns. Manchmal schlägt ihr Misstrauen in Angst um, dann müssen wir Xeno-Ethnologen sehen, dass wir wegkommen. Dabei wollen wir nur dabei sein. Ihnen zuhören, an ihrem Leben teilhaben, so gut es geht. Aber nie ganz, denn unsere Freiheit geht uns über alles. Und manchmal, nach Jahren oft, kommen wir zusammen. So ähnlich wie ihr in den Katakomben, nur, dass wir unsere Treffen Tagungen nennen. Dann tauschen wir uns aus, genießen es, von unsereins verstanden zu werden, bevor wir wieder weiterziehen. Denn das ist das Einzige, was wir nicht können – bleiben und Wurzeln schlagen.«
Mann, was ein Vortrag! So ist Shon. Steht da wie 'n Häufchen Elend, der gute Mann, und du hast Angst, dass er gleich umkippt, und plötzlich quatscht er los und hört nicht mehr auf, bis dir die Ohren überhitzen. Und wenn du Glück hast, kapierst du sogar die Hälfte. Aber nie alles. Was, verflucht noch mal, sind Wurzeln? Und das ganze andere Zeug, von dem er erzählt. Niemand hat ihn danach gefragt ... aber irgendwie, ich weiß nicht. Bin richtig gerührt. Mir wird warm im Magen. Würd' am liebsten zu ihm gehen und ihn umarmen.
Geht nicht nur mir so. Die frisch Aufgewachten glotzen plötzlich so verträumt durch die Gegend, als würden sie noch tief schlafen. Und das Mädel – sie heißt Arcelia, wie sich später rausstellt –, hat plötzlich ganz feuchte Augen. Sie schluckt. »Das ... das klingt fast wie das Leben, das wir Vierten führen.«
Und in dem Moment kapier' ich. Klar, deshalb ist mir so komisch. Deshalb kann ich so gut mit Shon. Ist als Terraner geboren, ist aber keiner mehr, auch wenn er so hässlich wie einer ist. Cleveres Mädel, Arcelia. Hat bei Shon von Anfang an durchgeblickt, nicht so wie ich. Und als Shon schlafen musste – muss er ja ständig mit seinen Terranergenen – haben wir keine Zeit verloren und unsere Häute aneinander gerieben. Colde Sache gewesen. Die coldste überhaupt, die ich je mit einem Mädel hatte. Schade, dass nichts Größeres draus geworden ist.
DOLSON: Ihr habt euch gestritten?
YUN: [Schüttelt den Kopf.] Nein, hatten wir keine Zeit zu. Wenn Shon wach war, waren wir alle mit Erzählen beschäftigt, und wenn er schlief ... das weißt du ja schon. Und als wir mit dem Erzählen fertig waren, mussten wir schon los. Uncold, aber was soll's.
DOLSON: Wie war noch einmal ihr Name?
YUN: Arcelia. Wieso fragst du?
DOLSON: Nun, vielleicht kann ich dir helfen. Ich kann dafür sorgen, dass du Zugriff auf die Daten der Evakuierungsflotte bekommst. Im Augenblick ist die Lage noch unübersichtlich, die Schiffe sind über eine Vielzahl von Sektoren verstreut, aber sobald sich die Dinge beruhigt haben, bin ich sicher, dass du ...
YUN: Mach' dir keine Mühe, Spezialist.
DOLSON: Das ist doch keine Mühe. Ich helfe dir gern.
YUN: Das glaub' ich dir. Ehrlich. Ob du's mir glaubst oder nicht. Aber es hat keinen Zweck, nach Arcelia zu suchen.
DOLSON: Ich glaube, das siehst du zu schwarz. Ich habe nicht viel von ihr gehört, aber sie scheint mir eine äußerst aufgeweckte junge Frau zu sein. Sie hat die Gelegenheit, Flake rechtzeitig zu verlassen, sicher nicht verstreichen ...
YUN: Sie hat. Arcelias Schlaf hatte erst vor ein paar Tagen angefangen, als ich sie geweckt hab'. Sie hat sich wieder schlafen gelegt, kaum, dass Shon und ich gegangen waren. Sie hat nichts von dem mitgekriegt, was danach passiert ist. Hat so fest geschlafen, dass die Welt hätte untergehen können, ohne dass sie's mitkriegt. Ging nicht anders, so'n Dauerhautreiben kostet dich 'ne Menge Kraft. Und ich hab's nicht gepackt, sie zu retten. Hatt' keine Zeit für sie, war ja damit beschäftigt, ganz Flake zu retten.
DOLSON: Das ... das ist furchtbar, Yun. Ich ...
YUN: Schon gut. Uncolde Sache. Aber ich sag' dir eins: Gibt Schlimmeres, als im Schlaf zu sterben, nachdem du noch mal richtig die Häute aneinander gerieben hast. Wenn ich da an Felton denk' ... hätt' fieser kommen können für Arcelia. Viel fieser.
DOLSON: Und viel besser. Sie könnte ...
YUN: Spezialist, das weiß ich. Okay? Kann ich jetzt weiter erzählen? Oder glaubst du, dass, was zwischen Arcelia und mir passiert ist, Shon oder Rhodan hilft?
DOLSON: Nein ... entschuldige bitte. Erzähl weiter.
YUN: Also, Shon hält seinen Vortrag und überzeugt Arcelia. Damit hatte er alle dran. Arcelia war so was wie die Anführerin in der Katakombe.
Und dann geht's los. Die Schläfer fallen über die Robbe her und schlingen sie runter. Ich geb' Shon 'nen Wink, sich dazuzusetzen. Dauert' nicht lang, und von der Robbe sind nur 'n paar Gräten übrig. Gibt kurz Streit, wer sie haben darf, dann setzt sich Arcelia durch. Sie putzt sie knirschend runter – und testet Shon. Kuppler sind blöd, weiß jeder. Lassen das Beste von den Robben übrig, die Gräten. Schmeißen sie einfach aus den Kuppeln. Deshalb drücken sich auch viele Vierte in der Nähe der Kuppeln rum. Können die Kuppeln nicht ausstehen, aber leichter kommst du auf dem Eis nicht zu 'ner Mahlzeit. Und Terraner ... sind ja noch blöder als Kuppler. Ein Terraner würd' nie 'ne Gräte auch nur anfassen, würd' lieber draufgehen vorher.
Arcelia hält also Shon die Gräte hin. Der bedankt sich und beißt so beiläufig rein, als hätt' er sein Leben nie was anderes gefuttert. Knirscht extra laut und schluckt runter. Mir bleibt die Spucke weg. Der frostige Wahnsinn, der Typ. Später hat er mir erzählt, dass seine Speiseröhre schon seit zehn Jahren oder so aus 'nem Spezialgummi ist. Hat sich die echte bei 'nem Essen auf 'ner anderen Welt ruiniert. Irgend so'n Säuredrink ...
Egal, Shon hatte die Jungs und Mädels geknackt. Vor allem Arcelia, das zählte.
'ne terranische Woche sind wir in der Katakombe geblieben. Am Ende hatten wir fast alle Robben aus der Vorratskammer gefressen. Shon schlief viel, Arcelia und ich rieben viel unsere Häute aneinander, und zwischendrin hockten wir alle zusammen und erzählten uns Geschichten. Shon hat die meiste Zeit zugehört. Er hat sein Notizbuch aufgeklappt, vor sich gelegt und die Augen zugemacht. Das Notizbuch hat alles aufgezeichnet, was wir quatschten. War viel Scheiß dabei, eigentlich fast nur. Wie's halt ist, wenn man hundert Meter tief im Eis hockt