Perry Rhodan: Pan-Thau-Ra (Sammelband). Andreas Brandhorst. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andreas Brandhorst
Издательство: Bookwire
Серия: Perry Rhodan-Taschenbuch
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783845331966
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Abbruchkante, kam zum Liegen. Ihr verletzter Fuß baumelte kraftlos über dem Abgrund.

       »Nein!« Talina krallte die Finger in den Boden und zog sich vom Abgrund weg. »Nein, nein, nein!« Hilflos verfolgte sie, wie ihre Konkurrenten sich nacheinander die Klippen herunterstürzten, sich an den Tauen abseilten, die sie vor Wochen angebracht hatten. Niemand kam auf den Gedanken, wegen ihr anzuhalten oder sogar das Rennen insgesamt zu unterbrechen. Talina bewegte sich, kroch vom Abgrund weg. Der Beleg dafür, dass sie am Leben war, bei Bewusstsein. Man würde sich später um sie kümmern. Die Kletterer fielen aus ihrem Blickfeld.

       »Verdammt!« Ausgerutscht! Nicht hingesehen, wo sie hinsprang! Einen dümmeren Anfängerfehler gab es nicht. Scham überkam sie, blendete den Schmerz aus, verdrängte jeden Gedanken. Dann kam die Wut. Auf sich selbst, für ihre Dummheit, auf die anderen, die einfach weitermachten, als wäre nichts geschehen, auf die Ungerechtigkeit der Welt. Wochenlang hatte sie ausgehalten – und nun das?

       Talina kroch weiter, zu der Stelle, an der sie ausgerutscht war. Den verletzten Fuß, der jetzt wie taub war, zog sie nach. Der Boden hatte sich glitschig angefühlt. Weich und fest zugleich. Worauf war sie ausgerutscht? Vielleicht ein Tier? Sie würde ihm den Hals umdrehen. Falls es einen Hals besaß, falls noch etwas zum Umdrehen übrig war. Oder war es ein Stück Abfall gewesen? Sie hatten seit Wochen auf der Klippe campiert, einiges war angefallen. Sie würde das Miststück finden. Das Stück und den, der gegen die guten Sitten verstoßen und es weggeworfen hatte, und dann würde sie ihm den Hals umdrehen ...

       Da war es. Ein zusammengekrümmtes Bündel. Doch ein Tier? Talina arbeitete sich heran. Ein junger Okrill? Von der Größe kam es hin. Aber Okrills waren nicht so dumm, im Weg herumzuliegen, sie waren vom Tag der Geburt an nicht zu halten, stets aufmerksam, stets auf dem Sprung. Talina erreichte den Körper, legte vorsichtig eine Hand auf. Ihre Wut war verraucht. Sie hatte sich ein paar Bänder gerissen. Ärgerlich, aber sie würden wieder zusammenwachsen. Diese Kreatur hier wirkte wie tot.

       Die Haut fühlte sich seltsam an. Wie Leder. Wie Plastik. Kühl und warm zugleich. Sie zog an dem Körper. Er fiel zur Seite, ihr entgegen. Es war ein Mensch. Was sie für die Haut eines Tiers gehalten hatte, war das Material seiner Kleidung. Sein Kopf steckte in einem runden, durchsichtigen Helm, schloss ihn hermetisch von seiner Umwelt ab. Ein Schutzanzug. Wozu? Schutzanzüge brauchte man im Vakuum, auf Welten mit Giftgasatmosphäre. Aber auf Oxtorne ...?

       Sie arbeitete sich zum Kopf des Menschen vor. Es war ein Mann. Ein merkwürdiger Mann. Seine Haut war ungesund fahl. Tiefe Linien durchzogen sein Gesicht, seine Augenbrauen waren dünn und ungepflegt. Dafür hatte er überall sonst Haare. Kinn und Teile des Halses und der Backen wurden von einem Stoppelteppich bedeckt, der nahtlos in krauses Lockenhaar überging. Talina war angewidert. Überall Haare! Und sie war fasziniert. Der Mann erinnerte sie an ein wildes Tier. Der Mann war kein Oxtorner. Und er war verletzt, möglicherweise schwer. Talina betastete seinen Körper. Als sie seine linke Hüfte erreichte, zuckte er. Sofort zog sie die Hand zurück. Der Mann stöhnte, seine Augen öffneten sich, die Pupillen rollten, blicklos.

       »Wach auf!«

      Das Stöhnen wurde leiser. Sie wollte den Mann wachrütteln, als ein Tropfen auf ihre Stirn klatschte. Ein Tropfen! Sie riss den Kopf hoch. Weitere Tropfen prasselten auf ihr Gesicht. Sie stammten aus einer Sturmfront, die mit der Geschwindigkeit eines Gleiters auf sie zukam. Aus dem Landesinnern. Talina schüttelte unwillig den Kopf. Nein. Unmöglich. Die Winde wehten immer von der See. Immer. Es ...

       Eine Bö, die sie einige Zentimeter anhob und drohte, sie gegen die Abbruchkante zu tragen, fegte ihre mentale Verweigerung davon. Der Sturm kam von landeinwärts – und wenn sie und dieser seltsame haarige Mann nicht zusahen, dass sie wegkamen, würde er auch sie wegfegen.

      »Energieausstoß bei 258 Prozentpunkten!«

      Eine Lichtsekunde trennte die BANDIKOT noch von den ersten Einheiten der Fremden. Wie albtraumhafte Schatten hingen sie im Zentraleholo, düstere Schemen vor der Schwärze des Alls.

      »344 Prozent!«

      Lichter flammten bei den fremden Schiffen auf. Grelle Stichflammen stachen in das Vakuum. Viele hunderte.

      Der Feuerschlag! Die Fremden eröffneten das Feuer!

      Die Hand Lifkoms klammerte sich so heftig um die ihre, das die Oxtornerin beinahe so etwas wie Schmerz verspürte.

      Talina wartete auf das Dröhnen der Kugelzelle, das Bersten von Metall – die letzten Töne, die sie wahrnehmen würde, bevor die gebündelte Gewalt von hunderten Geschützen sie in glühendes Plasma verwandeln würde.

      Stattdessen hallte die Stimme des Orters durch die Zentrale. »Es sind ihre Triebwerke! Sie nehmen Fahrt auf ... sie ... sie machen uns den Weg frei!«

      Sekunden später stieß die BANDIKOT in den fremden Verband vor.

      Modesto lächelte ihr zu. Triumphierend. Wieder einmal hatte sich ihm das Universum gebeugt. Später, wusste sie, würde er sie in seine Kabine rufen, um den Sieg zu feiern. Später, wenn sie wieder heraus waren.

      Ihre Gedanken kehrten wieder zu den Klippen von Bengschon zurück.

       Sie beugte sich vor, packte den Mann an den Schultern, schüttelte ihn. Sein Kopf flog hin und her. »Los, wach auf! Wir müssen weg von hier!«

       Ein Beben durchlief den Körper. Die Pupillen des Manns kamen zur Ruhe, fixierten Talina.

       »Was ... was ist los? Was ist passiert?«

       »Du Idiot bist wie ein hirnloser Fels im Weg gehockt! Das ist passiert.«

       »Im Weg – hier? Im Weg von was?«

      »Des Rennens. In meinem Weg.«

       »Rennen? Was für ein Rennen?«

       »Stell dich nicht dümmer als ein Felsblock! Das Klippenrennen von Bengschon natürlich!«

       »Ich weiß nichts von einem Rennen.«

       »Nein? Alle wissen von dem Rennen von Bengschon. Wozu sollte sonst jemand auf die verrückte Idee kommen, auf der Klippe herumzuhocken?«

       »Ich wollte die Aussicht genießen. Der Tag ist so wunderbar klar ...«

      »Gewesen.« Der Regen kam jetzt von der Seite, stach wie die Spitzen tausender Pfeile in Talinas Haut. Die Aussicht genießen. Der Mann war verrückt! War es entweder schon gewesen, oder der Zusammenstoß hatte nicht nur seiner Hüfte einen Knacks versetzt. Mit den Haaren und der bleichen Haut. Kein Oxtorner sah so aus ... kein Oxtorner. Das war es. Talina klatschte sich mit der flachen Hand gegen den Schädel. Der Zusammenstoß musste auch ihr ein Stück ihres Verstands gekostet haben. Der Mann war kein Oxtorner!

       »Wer bist du?«, fragte sie.

       »Lifkom Tremter, Botschafter der Terranischen Residenz ...«

       Ein Terraner! Natürlich, das erklärte alles. Die absurde Idee, die Aussicht zu genießen, den Schutzanzug – und seinen Zustand.

       »Bist du schwer verletzt?«

       »Ich weiß nicht. Meine Hüfte brennt wie Feuer. Und ich bin so schwach. Ich kann kaum den Kopf heben.«

       »Das wird nicht nötig sein.« Sie nahm seinen Helm zwischen die Hände. »Lifkom Tremter, hör mir gut zu. Du hast eine große Dummheit begangen. Eine riesengroße. Du hast mir das Rennen versaut, du hast dir möglicherweise böse innere Verletzungen eingehandelt, und wenn wir nicht schnell machen, erlebst du gerade deine letzten Augenblicke.«

       »Wieso?« Sein Augen weiteten sich. »Der Regen? Der Anzug schützt mich davor.«

      »Nicht der Regen. Der Sturm. Er