Illustration: Swen Papenbrock
Der Annäherungssensor ihrer Wohnkabine erkannte sie und öffnete automatisch. Giuna trat ein, und nachdem sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte, fiel sie förmlich in sich zusammen.
Sie schleppte sich in die Hygienezelle und duschte. Sie wollte die Temperatur nach unten regeln, aber die Servosteuerung versagte, und so versuchte sie den lauwarmen Schauer zu genießen, der alles andere als erfrischte.
Kein kaltes Wasser, obwohl dich nur knapp hundert Meter von der Eiseskälte des Weltraums trennen! Willkommen in deinem Leben, Giuna Linh!
*
Sie lag auf der Seite, die Beine angezogen, die Decke zwischen die Knie geklemmt. Eine Haarsträhne fiel ihr über die Nase. Sie hasste das Kitzeln. Lanko hatte es geliebt, wenn sie sich das Haar vom Gesicht strich. Er war ein Schmeichler gewesen.
Giuna verkrampfte sich.
Nein! Er ist es immer noch!
Lanko mochte seit drei Wochen ein Gefangener der Cairaner sein und vor den tausend Gefahren der Ausweglosen Straße fliehen, aber er lebte! Drei Wochen würde er gewiss überleben. Oder?
Giuna rückte ihr Kopfkissen zurecht, zupfte die Bettdecke über die Hüfte und schloss die Augen. Sie brauchte Schlaf.
Lanko schnarchte oft leise beim Einschlafen. Ich atme lauter, nannte er es üblicherweise, wenn sie ihn zur Rede stellte. Sie versuchte sich das Geräusch vorzustellen, denn sie wollte es nicht vergessen. Ebenso wenig die Art, wie er sie ansah, wenn sie miteinander schliefen. Oder die Ausdauer, mit der er im Trivid die verrücktesten Schlachten gegen blödsinnig gestaltete Außerirdische schlug, als gäbe es in der Wirklichkeit dort draußen nicht genug feindliche Völker.
Die Cairaner hatten alle Hände voll zu tun, für Frieden zu sorgen. Sie waren die Friedensmacher in der Milchstraße, geliebt und bewundert von Milliarden.
Alle Hände voll.
Selbstverständlich kannten die Cairaner diese alte Redewendung nicht, und was würden sie wohl davon halten? Immerhin konnten sie auf gleich vier Hände zurückgreifen, und auf die Fähigkeiten ihrer Gespürhände bildeten sie sich zu Recht einiges ein.
Irgendwann schlief Giuna ein, und die Bedrückung wich besseren Erinnerungen an ihr Leben mit Lanko. An die Zeit, in der sie gemeinsam als Berater eine gefühlte Million Kleinigkeiten im Rohbau des akonischen Etappentransmitters überprüften.
Im Traum sah sie, wie sie mit ihm am Rand der obersten Plattform saß, die später als Sammelpunkt für die Reisenden dienen sollte, nur durch ein Energiefeld vom Weltraum getrennt, und die Beine ins Nichts baumeln ließ. Seine Finger berührten ihre Hand, es war wie ein Stromschlag, ehe er sie an sich zog.
Sie entspannte sich.
Als sie aufwachte, verpufften die angenehmen Traumgedanken, und sie erinnerte sich, wie Lanko eine Dummheit begangen hatte, zumindest in den Augen der Cairaner. Wie sie ihn verhaftet und zur Wahrung des Friedens auf die Ausweglose Straße geschickt hatten.
Sie musste ihn befreien, solange er trotz der ständigen Flucht und des Vital-Suppressors noch überleben konnte. Allerdings sollte sie es schlauer angehen als bei ihrem ersten Versuch, in die Transmitterdatenbank einzudringen. Sie bezweifelte ohnehin, dass die Gerüchte stimmten und es in der Ausweglosen Straße eine Empfangsstation gab.
Ihr fiel jedoch kein Plan ein. Wie auch? Sie war Beraterin für ein akonisches Bauvorhaben, keine Agentin. Sie hatte Kosmologistik studiert, nicht Kriminologie. Ihr mangelte es an jeder Erfahrung in abenteuerlichen Befreiungsaktionen, was sich am Vortag überdeutlich erwiesen hatte. Nur pure Verzweiflung trieb sie an. Sie war den Cairanern entkommen, aber es hätte genauso gut übel enden können.
Also entschied sie sich, weiterzuleben.
Abzuwarten.
Und darauf zu vertrauen, dass ihr das Leben früher oder später eine Idee zuspielte.
Sie überlegte, erneut zu duschen – vielleicht hatte sie mit dem Wasser diesmal mehr Glück. Aber noch ehe sie aufstand, gellte Alarm.
Die Restmüdigkeit verpuffte, und sie schlüpfte in Unterwäsche und Kleidung.
Der Alarm heulte durchdringend, erst klang der Ton langsam, dann schneller, und begann den Rhythmus von Neuem. Also drohte keine unmittelbare Gefahr, obwohl die Lage durchaus ernst war. Da die Hauptpositronik es in ihr Privatquartier durchstellte, musste es mindestens zu einem Zwischenfall der Kategorie Drei gekommen sein.
Vielleicht hatte jemand einen Anschlag verübt. Es wurde von Drohungen des Barniter-Konsortiums gemunkelt, von Plänen, den Terror in die Station zu tragen. Sie wusste nicht, was davon stimmte. Barniter waren Händler, keine Terroristen.
Giuna hetzte aus dem Raum, in Richtung des Laufbands, das sie rasch zur Zentrale bringen konnte, dann entdeckte sie eine freie Ein-Personen-Plattform. Besser.
Mit einem hastigen Sprung stieg sie auf und umklammerte die Haltestange. Sie identifizierte sich mit einem knappen »Giuna Linh« und wartete das positive Signal gar nicht erst ab, ehe sie das Ziel nannte. Das angefügte »Und zwar schnell!« änderte die festgelegte Höchstgeschwindigkeit nicht, gab ihr aber ein gutes Gefühl.
Die Plattform sauste den Korridor entlang, passierte einige Arbeitsroboter und erhob sich über eine Reinigungsdrohne, die den Alltagsdreck der an tausend Stellen laufenden Arbeit beseitigte.
Ein Antigravschacht brachte sie neun Decks höher, bis in unmittelbare Nähe der Zentrale ... oder dem seit Beginn der Bauarbeiten improvisierten Glaskasten, der direkt vor der Öffnung inmitten der kreisrunden Scheibe des Etappenhofs hing. Dieser angeflanschte, durchsichtige Kubus würde zugunsten der echten Zentrale bald abgebaut werden.
Giuna sprang von der Schwebeplattform und betrat den Glaswürfel. Durch die Wand sah sie für einige Sekunden den Transmitter, der bereits in der Mittelöffnung des Hofs schwebte, ehe Etappenkommandant Shad tan Haruul die Scheiben undurchsichtig schaltete.
»Nun, da Linh auch eingetroffen ist, können wir ja beginnen.« Die Stimme des Akonen klang kühl und förmlich.
Linh. So sprach tan Haruul sie stets an. Sie fragte sich seit Monaten, ob er bewusst unhöflich oder sich einfach zu gut war, um sich mit den terranischen Gepflogenheiten auseinanderzusetzen. Es war nicht gerade ein Geheimnis, dass sich Terraner üblicherweise beim Vornamen ansprachen. Was sprach gegen ein einfaches Giuna?
»Es tut mir leid, ich bin sofort ...«
»Geschenkt«, unterbrach tan Haruul. »Offenbar hat wirklich das Konsortium zugeschlagen. Die Sicherheitskräfte ermitteln derzeit. Kein Schaden am eigentlichen Transmitter, aber der Hotelkomplex ist völlig zerstört.«
»Warum haben sie gerade dort angegriffen?« Giuna spürte die Blicke der sechs versammelten Akonen auf sich. Sie waren allesamt Leiter eines Baubereichs, vom obersten Techniker bis zum Roboterwart.
Sie musste kein Telepath sein, um die unausgesprochenen Gedanken zu hören: Kommt als Letzte und stellt die erste Frage, ohne ihn ausreden zu lassen. Sollten sie denken, was sie wollten, Giuna ließ sich nicht entmutigen. Es gab eine Menge anderer Dinge, die sie weitaus mehr belasteten.
Der Kommandant beugte sich vor. Auf seinem samtbraunen Nasenrücken glänzte ein Schweißtropfen. »Das Hotel war der am schlechtesten gesicherte Ort im gesamten Etappenhof. Die Sicherheitskräfte konzentrieren sich auf den Einbau des Transmitters und die Justierung der Schaltfelder, weil unsere Gegner dort momentan den größten Schaden anrichten könnten.«
»Ihr habt das Hotel ungeschützt gelassen.«
»Wir, Linh! Ich kann mich nicht erinnern, dass du Widerspruch eingelegt hättest!«
Dafür gab es einen einfachen Grund, den sie allerdings nicht nennen konnte: Sie hatte die Wachpläne abgenickt, ohne sie auch nur einmal