Säkulare und religiöse Bausteine einer universellen Friedensordnung. Christian J. Jäggi. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christian J. Jäggi
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783828873438
Скачать книгу
innergesellschaftlicher Friede und Verhinderung von Barbarei, Schutz der Verletzlichkeit der Individuen, Religionsfreiheit und Anerkennung der Mitwirkung des Einzelnen in Staat und Gesellschaft in Form der Staatsbürgerschaft (vgl. Bhargava 2007:29ff.).

      Der Säkularismus schliesst unter anderem Agnostizismus, Atheismus und verschiedene Formen des säkularen Humanismus ein (Hiorth 2009:124). Funktionell gesehen übernimmt der Säkularismus durchaus religiöse Aufgaben. Für Ericson (1988:1f.) ist ethischer (säkularer) Humanismus ein moralischer Glaube, der auf dem Respekt vor der Würde und dem Wert des menschlichen Lebens beruht. Er sei eine „praktische, funktionierende Religion, dem ethischen Leben gewidmet, ohne rituelle Verpflichtungen oder einen Glauben an das Übernatürliche vorzuschreiben“ (Hiorth 2009:129f.).

      Für den Ansatz des Weltethosprojekts bedeutet das, dass dieses im Grunde nur funktionieren kann für Menschen, die sich zu einer säkularen Weltanschauung bekennen – oder anders gesagt: Wenn der Säkularismus als eine über den grossen religiösen Weltanschauung stehende und eigenständige Weltanschauung verstanden wird. Daraus entsteht aber die Frage, ob säkulare Weltanschauungen funktional-weltanschaulich den einzelnen Religionen übergeordnet sind oder als konkurrierende Weltanschauungen sozusagen auf gleicher Ebene neben den grossen Religionen anzusiedeln sind. Anders gesagt: ob der Säkularismus über den Religionen steht oder neben ihnen. Zweifellos gibt es für beide Sichtweisen Argumente. Doch es sollte aus den vorangehenden Ausführungen klar geworden sein, dass eine übergreifende Ethik sowohl säkulare als auch religiöse Sichtweisen und Anliegen aufnehmen muss – und es ist durchaus denkbar, dass auch nicht säkulare Staatsformen die Grundrechte garantieren und demokratische Selbstverwaltung garantieren können.

      Wenn es stimmt, wie Peter Antes (2001:19) meint, dass Religionen „ethische Instanzen der Kritik und des schlechten Gewissens für die Gesellschaft im Zeitalter von Modernisierung und Globalisierung“ darstellen, dann bedeutet das, dass auf der einen Seite Religionen selbst einen transnationalen bzw. transkulturellen Charakter haben, um entsprechende Antworten zu generieren, und auf der anderen Seite die Religionen selbst der traditionellen konfessionellen Sicht abschwören müssen, weil sie sonst weder als glaubhafte Vermittler ethischer Antworten noch als Alternativen zu weltanschaulich enggeführten Akteuren auftreten können. Gleichzeitig darf aber eine entsprechende weltanschauliche Öffnung nicht auf Kosten der Verbindlichkeit religiöser Aussagen gehen – vielmehr muss die Verbindlichkeit wachsen.

      Es stellt sich die Frage, ob der Weltethos-Ansatz tatsächlich eine genügend breite Basis darstellt, um eine gleichzeitig transsäkulare, interreligiöse und globale Ethik zu entwickeln. Barbara Lukoschek (2013:32ff.) hat die Einwände gegen den Weltethos-Ansatz wie folgt zusammengefasst:

      Zu starke Ausrichtung auf eine christliche bzw. westlich-abendländische Sicht. Diese Kritik haben unter anderem Paul Hedges (2008:159ff.) und Sallie B. King (1995:213ff.) vorgebracht. Reinhard Hummel (1993:7) hat diesen Einwand wie folgt formuliert: „Den fundamentalistischen Gegnern wird es nicht verborgen bleiben, dass der Küngsche Text trotz aller Absprachen in seiner Substanz westlich-christlich konzipiert und an der zweiten Tafel der Zehn Gebote orientiert ist. Die anderen Religionen werden prüfen müssen, ob ihre eigene Tradition hergibt, was die Erklärung als gemeinsames Weltethos formuliert hat“.

      Zu hoher Abstraktheitsgrad und zu starke Anbindung an eine makroperspektivische Sicht. Hans J. Münk hat diese (zu?) starke Ausrichtung auf „universale Grundmaximen“ als mögliches Problem bezeichnet, weil „ein gleich liegender Wortlaut vorschnell tiefer liegende Spannungen, Unterschiede und Gegensätze überspringt“ (Münk 2004:108). Dabei entstehe die Gefahr, nicht nur wesentliche Unterschiede zwischen den Religionen, sondern auch innerhalb der einzelnen religiösen Symbolsysteme – also „den jeweiligen Binnenpluralismus“ (Münk 2004:108) – zu unterschätzen.

      Dazu kommt ein noch grundsätzlicherer Einwand, den ich an anderer Stelle ausführlich diskutiert habe (vgl. Jäggi 2016a:273).

      Aus meiner Sicht sind die ersten beiden Kritikpunkte kaum zu vermeiden, aber sie sind auch nicht entscheidend: Erstens geschieht jede wissenschaftliche wie populäre Aussage vor dem Hintergrund eines weltanschaulich-semantischen Rahmens – letztlich ist keine ethisch-moralische Aussage ohne entsprechende anthropologisch-sprachlich-philosophische Einbettung möglich – ausser vielleicht für den lieben Gott. Wichtig ist, dass der eigene semantische Bezugsrahmen mitreflektiert wird und dass versucht wird, diesen Rahmen zu erweitern. Mehr kann man wohl aus einer interkulturellen Perspektive nicht erwarten. Zweitens sind wissenschaftliche Aussagen immer durch eine bestimmte Abstraktheit und Verallgemeinerung gekennzeichnet. Deshalb besteht bei wissenschaftlichen Erkenntnissen immer auch eine gewisse Gefahr des Reduktionismus. Aber auch hier gilt: Die Art der Reduktion und der Verallgemeinerung muss reflektiert, begründet und plausibel sein, und das inhaltliche Ergebnis darf nicht willkürlich oder beliebig sein. Entscheidend bleibt deshalb der dritte Kritikpunkt: Eine globale, universelle Ethik kann nur als permanenter Kommunikationsprozess, nach vorne offen, zugänglich für alle und mit entsprechender institutioneller Abstützung gelingen.

      Aus dieser Sicht erscheint der Versuch von Lukoschek (2013:71ff.) richtig angelegt, zwei Religionsgemeinschaften – in diesem Fall den Buddhismus und das Christentum – aus einer dynamischen Perspektive, nämlich der Befreiungstheologie, zu vergleichen. Dabei geht es darum, einen religions- oder weltanschauungsübergreifenden Diskurs über zentrale Themen zu führen – etwa über die Bedeutung von Frieden, eine demokratische Weltregierung oder eine Weltverfassung mit für alle Menschen verbindlichen Grundrechten.

      Dabei ist im Sinne von Gutiérrez (1992:242) „jeder Kampf gegen Ausbeutung und Entfremdung … im umfassenden Zusammenhang der einen Geschichte ein Versuch, den Egoismus als Negation der Liebe zu bannen. Deshalb wirkt jedes Bemühen um eine gerechte Gesellschaft befreiend … und ist schon Erlösungstat, wenn auch nicht Erlösung im umfassenden Sinn“.