10 Sri Aurobindo, Autobiographical Notes, CWSA, Band 36, Seite 371.
11 Die Mutter, Questions and Answers 1950-51, CWM, Band 4, Seite 226.
12 Die Mutter, Questions and Answers 1950-51, CWM, Band 4, Seite 34.
13 Die Mutter, Some Answers from The Mother, CWM Band 16, Seite 396.
EINFÜHRUNG
SRI AUROBINDO ÜBER
UNSERE VIELEN INNEREN PERSÖNLICHKEITEN:
EBENEN UND TEILE DES WESENS
„Das Selbst eines Menschen ist eine einzige Person, aber in seinem Selbstausdruck ist er auch eine Multipersönlichkeit.“1 Mit dieser Aussage macht Sri Aurobindo eine Unterscheidung, die für das Verständnis seiner Erklärung der Natur des Menschen grundlegend ist – die Unterscheidung des Selbst und seiner vielen Persönlichkeiten. Diese Unterscheidung ist für unsere normale Wahrnehmung keineswegs offensichtlich.
„Gewöhnlich versteht sich der Mensch nur als ein Ego, in dem alle Abläufe seiner Natur ungeordnet sind und indem er sich mit diesen Bewegungen in seiner Natur identifiziert, denkt er: „Ich tue dies, ich fühle das, ich denke, freue mich oder ich bin in Sorge usw.“ Der Anfang wirklicher Selbsterkenntnis beginnt, wenn du dich selbst von der Natur und ihren Bewegungen in dir gelöst hast, und dann siehst du, dass da in dir viele Teile deines Wesens, viele Persönlichkeiten existieren, die jede für sich selbst und auf ihre eigene Weise handeln.“2
Wir besitzen keine Selbsterkenntnis, weil wir uns selbst nicht als die innere Person sondern als Ego wahrnehmen, das die Identifikation dieser inneren Person mit den vielen Persönlichkeiten darstellt, die die äußere Natur unseres Wesens ausmachen. In Begriffen der Sankhya Philosophie kennen wir uns selbst nicht als die innere Person (den Purusha), weil wir uns mit der Natur (Prakriti) identifizieren. In diesem Zustand der Identifikation mit unserer Natur, bleibt uns die komplexe Beschaffenheit unseres Wesens verborgen.
„Für den durchschnittlichen Menschen, der in seinem persönlichen oberflächlichen Wachbewusstsein lebt, der nicht die Tiefen seines Selbst und die unermesslichen Weiten hinter dem Schleier der äußeren Erscheinungen kennt, ist seine psychologische Verfassung ziemlich einfach. Sie besteht aus einer kleinen aber lärmenden Gesellschaft von Wünschen, einigen unentbehrlichen intellektuellen und ästhetischen Vorlieben, ein paar Geschmacksrichtungen und einigen beherrschenden oder herausragenden Ideen, inmitten eines großen Stroms von unverbundenen oder zusammenhanglosen und meist trivialen Gedanken. Sie besteht zudem aus einer Anzahl von mehr oder weniger dringenden vitalen Bedürfnissen, dem Wechsel von körperlicher Gesundheit und Krankheit sowie aus einer verstreuten und unlogischen Aufeinanderfolge von Freude und Kummer, aus häufigen kleineren Störungen und Wechselfällen des Lebens, aus Unruhe und Aufruhr seines Körpers oder seines Verstandes und selten aus einem starkem Suchen. Durch all das hindurch arrangiert seine Natur diese Dinge, teilweise mit Hilfe seiner Gedanken und seines Willens oder auch ohne sie oder gegen sie und bringt sie auf eine grobe praktische Art und Weise in eine einigermaßen tolerierbare, unregulierte Ordnung – das ist das Material seiner Existenz.“3
Wirkliches Selbstwissen beginnt, wenn zwischen Purusha und Prakriti eine Trennung stattfindet, zwischen dem inneren Selbst und seiner äußeren Natur. Wir erkennen dann „die außerordentliche Komplexität unseres eigenen Wesens, die stimulierende aber gleichzeitig auch verwirrende Vielfalt unserer Persönlichkeit, die reiche, endlose Konfusion der Natur.“4
Wir merken auch, dass die zahlreichen Persönlichkeiten, die an der Oberfläche unseres Wesens vermischt sind, von unserem Inneren aus betrachtet, voneinander unabhängig und eigenständig sind. Jede dieser Persönlichkeiten stellt einen Teil des Wesens dar, das seine eigene komplexe Individualität und unterschiedliche Natur besitzt und seine eigenen Forderungen, die weder mit sich selbst noch mit denen der anderen Teile der Persönlichkeit übereinstimmen. Indem er die „ganz normale Teilbarkeit der verschiedenen Bestandteile des Wesens“ anspricht, sagt Sri Aurobindo:
„An der äußeren Oberfläche unserer Natur sind Verstand, Psyche, Vitalität und körperliches Empfinden alle miteinander vermischt und es bedarf einer starken Kraft der Innenschau, der Selbst-Analyse und genauer Selbstbeobachtung, um die Fäden von Gedanken, Gefühlen und Impulsen, die Zusammensetzung unserer Natur und die Beziehungen und Interaktionen dieser Teile, ihre gegenseitigen Beeinflussungen und ihr Zusammenwirken zu entwirren. Aber wenn wir nach innen gehen... finden wir den Ursprung all dieser Aktivitäten an der Oberfläche unseres Wesens und dort, tief in uns, sind die Teile unseres Wesens ganz separat und deutlich voneinander zu unterscheiden. Wir fühlen sie wirklich wie verschiedenartige Wesenheiten in uns und genau wie zwei verschiedene Leute etwas gemeinsam tun, können wir sehen, dass auch diese Teile in uns sich gegenseitig beobachten, kritisieren, helfen oder ablehnen oder einander beeinträchtigen. Es ist so, als wären wir ein Gruppen-Wesen, in der jedes Mitglied der Gruppe einen separaten Platz mit einer eigenen Funktion innehat, und alle werden von einem zentralen Wesen geleitet, das manchmal über den anderen im Vordergrund steht und manchmal hinter den Kulissen agiert.“5
Zwei Systeme der Organisation unserer Person
Aus Sri Aurobindos Sicht ist der Mensch untrennbar eins mit dem universalen Wesen. Es gibt, so sagt er: „Zwei Systeme, die gleichzeitig in der Organisation unseres Wesens und seiner Teile aktiv sind“6 – ein konzentrisches und ein vertikales System.
Die äußere Person und das innere Wesen dahinter machen unsere phänomenale oder instrumentale Person aus und gehören zur Natur oder Prakriti. Sie bringen drei entsprechende Teile hervor – das Physische ( das körperliche Wesen), das Vitale (das vitale Gefühls-Wesen) und das Mentale (das mentale, denkende Wesen). Das innerste Wesen ist das wahre Wesen, der Purusha. Im Purusha gibt es eine innerste mentale Ebene, die innerste vitale Ebene und eine innerste physische Ebene und ganz im innersten Kern das psychische Wesen oder die Seele. Das psychische Wesen wird meist als das innerste Wesen bezeichnet (Bild 1).
1. Das konzentrische System
Das vertikale System ist wie eine Treppe aufgebaut, die aus verschiedenen Abstufungen, Ebenen oder Einteilungen des Bewusstseins besteht, die vom untersten – dem Unbewussten – bis zum höchsten, Sachchidananda, reichen (Bild 2).
2. Das vertikale System
Anmerkung: Alte indische Weisheit teilte das menschliche Wesen, den Mikrokosmos sowie das Welt-Wesen, den Makrokosmos, in eine höhere Hemisphäre, Parardha und eine niedere Hemisphäre, Aparardha. In der höheren Hemisphäre regiert perfekt und ewig der göttliche Geist (Spirit); in der unteren Hemisphäre ist der göttliche Geist durch den Verstand, das Leben und den Körper verhüllt. Das Übermentale (der Overmind) ist die dazwischen liegende Ebene, die die zwei Hemisphären teilt.
Die hauptsächlichen Teile und Ebenen