„Und? Was macht dein Kätzchen?“
„Kätz …?“ Hektisch sah er zur Tür. „Oh! Das habe ich ganz vergessen. Ich fürchte, das sitzt vor meiner Tür und jammert.“
„Du hast Tripod ausgesperrt?“, rief Yuki entsetzt.
„Hey, ich habe noch gar nicht gesagt, ob ich ihn Tripod nenne oder anders!“
„Darum geht es doch gar nicht! Du kannst das arme Kätzchen nicht einfach aussperren.“
Hui, sie klang richtig sauer. Und das, obwohl sie weder ihn noch seine Katze wirklich kannte. Ben verzog verärgert den Mund. Die erlaubte sich ganz schön was!
„Hör mal, er sitzt bloß im Flur. Er kann jederzeit zu meiner Mutter ins Arbeitszimmer gehen und ihr Gesellschaft leisten. Die freut sich.“
„Na, wenn er vor deiner Tür sitzt, will er aber bei dir sein und nicht bei deiner Mutter. Du stehst jetzt sofort auf und lässt die Katze rein!“
Ben schnappte nach Luft. Meinte sie das etwa ernst? Sie konnte doch nicht einfach so wildfremde Leute rumkommandieren!
„Los jetzt!“, zischte sie und ließ ihn erschrocken zusammenzucken, als könnte sie jeden Moment durch den Kopfhörer springen und ihm eine Ohrfeige verpassen.
„Schon gut“, grummelte er und streifte das Headset ab. Die spinnt wohl, dachte er. Trotzdem stand er auf und öffnete seine Zimmertür. Sofort war Tripod im Zimmer und strich ihm schnurrend um die Beine. Dass Ben ihn ausgesperrt hatte, schien er ihm nicht übel zu nehmen, dafür war er umso dankbarer, dass er jetzt hereingelassen wurde. Ben breitete die Arme aus.
„Alles klar. Willkommen in meinem Zimmer. Fühl dich wie zuhause.“
Das ließ sich der Kater nicht zweimal sagen, sprang auf Bens Bett und rollte sich auf dessen Kopfkissen zusammen.
„Alter, vom auf dem Kopfkissen Pennen war keine Rede!“
Er dachte kurz darüber nach, den Kater hochzuheben und wieder rauszuschmeißen, entschied sich dann aber dagegen und kehrte an seinen Schreibtisch zurück. Er setzte das Headset wieder auf . „So, die Katze pennt auf meinem Kopfkissen. Zufrieden?“
„Braver Junge“, sagte Yuki und kicherte. Mann, die war echt ganz schön frech. Warum hatte Oliver sie bloß ins TS gelassen? Andererseits war ihr Kichern schon niedlich.
„Sag mal, wenn du wirklich Yuki heißt, warum hast du dich dann im Spiel so genannt? Spielt man nicht eigentlich ein Fantasy-RPG, um jemand anders zu sein?“
„Hmmmm“, machte sie und schien ernsthaft über seine Frage nachzudenken. Ob sie vielleicht zu intim war? Er hatte schon lange nicht mehr wirklich mit Mädchen zu tun gehabt. In der Reha hatte es natürlich auch Mädchen gegeben, aber das war etwas anderes.
„Ich bin eigentlich ganz gerne Ich“, sagte sie. „Es wäre mir gar nicht in den Sinn gekommen, jemand anders sein zu wollen. Ist das wirklich der Grund, aus dem du in Maira bist?“
Puh, eiskalt erwischt. Nein, dachte Ben, ich bin in Maira, weil ich da zwei Beine habe. Aber das könnte er ihr niemals erzählen.
„Naja, irgendwie schon.“ Oh Mann, Oliver, wo bleibst du! Rette mich! Oliver war ein Genie, wenn es ums Quatschen ging, während Ben eigentlich nie wusste, was er sagen sollte. Und plötzlich sprudelte es aus ihm raus: „Ich finde es irgendwie cool, ein Ritter zu sein. Ich fürchte, im wahren Leben bin ich nicht besonders ritterlich.“ Er musste an seine Mutter denken, die er jeden Tag mit Worten verletzte und von sich schob. „Ich mache zwar nicht so viele Quests wie ich könnte, aber wenn … wenn, dann bin ich halt einer von den Guten.“
„Und im wahren Leben bist du einer von den Bösen?“, fragte sie herausfordernd. Plötzlich dröhnte Olivers Lachen aus dem Lautsprecher.
„Ja, genau! Bad Boy Ben!“, prustete er, und Ben lief knallrot an, was zum Glück keiner der beiden sehen konnte.
„Ach, halt die Klappe, Oliver“, brummte er.
„Hi Oliver“, grüßte Yuki. „Willkommen zurück! Was habt ihr Jungs denn heute Abend so vor?“
„Nichts eigentlich“, sagte Oliver wahrheitsgemäß. Und das stimmte. Meistens trafen sie sich bloß im Spiel, um rumzuhängen und zu quatschen.
„Warum spielt ihr dieses Spiel eigentlich, wenn ihr nie irgendetwas macht? Und wie habt ihr so hohe Level erreichen können?“
„Naja, ab und zu machen wir ja schon was“, entkräftete Ben das ein wenig.
„Aber im Moment nicht“, schloss Yuki aus seinen Worten. „Wollt ihr mir vielleicht helfen? Ich wollte vorhin diesen Grottenmasmur besiegen, bin aber kläglich gescheitert.“
Warum stellst du dich nicht auf den Marktplatz und sucht dir eine Gruppe, wollte Ben fragen, biss sich dann aber auf die Zunge. Nein, eigentlich wollte er nicht, dass Yuki sich irgendeine Gruppe suchte. Er wollte, dass sie blieb. Warum auch immer.
„Klar, machen wir“, willigte er ein und sah Olivers verwirrten Gesichtsausdruck förmlich vor sich. Tatsächlich flüsterte Oliver ihn eine Sekunde später im Chat an: „Was geht denn mit dir? Ich hatte Recht, oder? Sie IST süß!“
Ben musste grinsen. Sie hatten sich zu lange ein Zimmer geteilt und kannten sich einfach zu gut.
„Sie ist süß“, bestätigte Ben ebenfalls im Flüsterchat, während Yuki sich hörbar freute.
„Oh super! Ich danke euch! Auf geht’s!“
Die Quest war ein Kinderspiel. Zumindest mit so einem hohen Level, wie Oliver und Ben ihn hatten. Aber Ben konnte sich noch an seine Anfangszeit erinnern und daran, wie schwer er die Quest damals gefunden hatte. Während sie kämpften, sprach keiner von ihnen viel. Sie brüllten sich bloß irgendwelche Befehle zu. Aber Ben war nicht so darauf konzentriert, um nicht weiter über Yukis eigentliche Frage nachzudenken, ob er hier war, um jemand anderes zu sein. Am liebsten hätte er mit Oliver darüber gesprochen, aber er ahnte schon, dass sie Yuki jetzt immer am Hals haben würden, sobald sie online gingen. Das war schon wieder nicht so ritterlich. Vielleicht sollte er einfach anfangen, sich besser zu verhalten, wenn er ein Ritter sein wollte.
Sie machten an dem Abend noch einige Anfängerquests, um Yuki ein wenig voranzubringen, aber zu tiefgründigen Gesprächen kam es nicht mehr. Als es auf zehn Uhr zuging, verabschiedete sich Oliver, um ins Bett zu gehen. Ben war auch langsam fällig, aber irgendwie brannte er darauf, noch ein bisschen mit Yuki allein zu sein.
„Ich muss auch demnächst ins Bett“, sagte er, was irgendwie ein doofer Einstieg war, um einem Mädchen zu imponieren. Meine Mama sagt, ich muss langsam ins Bett. Abgesehen davon, dass seine Mutter so etwas nie sagen würde, weil es ihr herzlich egal war, wann er ins Bett ging.
„Oh“, machte sie, als würde sie das schade finden. Vermutlich war es auch so.
„Musst du denn morgen nicht zur Schule?“, fragte er und hoffte, auf diese Weise ein wenig mehr über sie zu erfahren. Vielleicht sogar ihr Alter. Sie seufzte, als hätte er einen wunden Punkt getroffen.
„Ich gehe im Moment nicht zur Schule. Ich bin …“ Sie zögerte, und Ben bekam eine ungute Ahnung. „Ich bin derzeit krankgeschrieben.“
Ben runzelte die Stirn. Okay. Das konnte im Prinzip alles heißen, trotzdem hatte er das Gefühl, dass da noch mehr war. Etwas, das sie nicht sagen wollte, so wie er nicht sagen wollte, dass er nur ein Bein hatte.
„Das tut mir leid“, sagte er, weil es das erste war, was ihm einfiel. So ein Quatsch! Sie klang nicht wirklich krank, und wer ging schon gern zur Schule? Er jedenfalls nicht. Sie lachte. Ein helles, ehrliches Lachen, in dem allerdings ein wenig Traurigkeit mitschwang.
„Das muss es nicht. Das ist schon okay. So habe ich jedenfalls jede Menge Zeit zum Leveln. Pass auf, wenn