Wantlek - Die Briefe. Rudolf Nedzit. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rudolf Nedzit
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783905802504
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      Rudolf Nedzit

      Wantlek

      Die Briefe – Sonderausgabe

      Theodor Boder Verlag

      Impressum

      eBook, Oktober 2016

      Copyright © 2010 by Theodor Boder Verlag,

      CH-4322 Mumpf

      Alle Rechte vorbehalten

      Coverentwurf: Fredy Prack

      Lektorat: Lectorare.de

      ISBN 978-3-905802-50-4

      www.boderverlag.ch

      Über den Autor

      Über das Gelingen und Scheitern sozialer Gefüge in früheren wie heutigen Gesellschaften schreibt der saarländische Autor Rudolf Nedzit. Der westdeutsche Romancier wurde 1957 in Saarlouis geboren.

      Als Wilhelm Wantlek Ende des 18. Jahrhunderts, nach dem Tod seiner Frau, Haus und Freunde verließ, wusste er noch nicht, wohin diese Reise führen würde.

      Briefe an einen Freund

      Brief 1

      Mein Freund! Was ist das Leben? Wie leicht sich diese Frage stellt ... Ich versprach dir Nachricht zu geben, wenn ich hier sei. Und da es nun so ist, will ich mein Versprechen auch halten. Mein Kopf ist frei, doch nicht mehr fern sind die Stunden der Bewährung. Diese Vorahnung beschleicht mich mit unsicheren Gefühlen. Das sind tatsächlich zweierlei Ding: Planung und Ausführung. Wer weiß, ob ich den Anforderungen gewachsen sein werde, die Herausforderungen annehmen kann. – Ja, ja ... du hattest mir mehrmals von meinem Unterfangen abgeraten, in aller Freundschaft, doch mit Nachdruck. Aber der Mensch ist Mensch – und wer könnte ihm seine Natur absprechen? So nimm denn Anteil an meinem künftigen Schicksale, wie es auch immer geraten möge. Gönne dir in mancher Stunde einen flüchtigen Gedanken an mich und wünsche mir Glück. Du weißt, unter welchem Himmel ich mich momentan bewege.

      Ich wurde sehr freundlich empfangen, mein bescheidenes Gepäck aufgenommen, der Kutscher zum Nebenhaus geleitet, die Pferde versorgt. Das Haupthaus, schemenhaft erkennbar, stand mir zu Diensten. Ein Mann und eine Frau, Bediente ausweislich ihrer Kleidung, versicherten mich aller Bequemlichkeiten, ich solle nur nach ihnen verlangen. Die Anreise war beschwerlich gewesen (wenngleich durch Landschaften führend, die ebenso herrlich wie mir fremd waren; ich könnte nicht sagen, ob dabei manche Grenze überschritten wurde) und hatte mich erst zu später Stunde an meinen Bestimmungsort geführt, doch hinderte dies die lieben Menschen nicht daran, mir schnell genug eine Mahlzeit zu kredenzen. In einer kleinen Kammer, wo ich Schüssel und einen Krug frischen Wassers vorfand, konnte ich die Zeit der Zubereitung für die nötigste Reinigung verwenden. Das Essen ließ ich mir wohl schmecken, zumal die Verpflegung der letzten Tage nicht von der besten Sorte gewesen war. Anschließend wurde mir höflich ein Schlafgemach zugewiesen, wobei der mich begleitende Diener versicherte, dass mir der Hausherr morgen zur Verfügung stünde. Heute sei dieser überraschend und ohne möglichen Aufschub zu einer Konsultation gerufen worden und ließe mir hiermit sein Bedauern darüber zum Ausdruck bringen, dass er nicht selbst habe mich empfangen können. Seine Verpflichtung sei jedoch dringlich gewesen. Ich wurde befragt, ob ich es wünsche, des Morgens zu einer bestimmten Stunde geweckt zu werden oder es, angesichts der Beschwernisse der weiten Anreise, vorzöge, nicht verfrüht dem erholsamen Schlafe entrissen zu sein. Keine Umstände, entgegnete ich. Meine innere Uhr würde mich wohl frühzeitig aus dem Bett führen (du weißt, mein Schlaf ist seit längerer Zeit nicht mehr der beste).

      So bin ich also hier gelandet, lieber Hans. Und wäre froh, wieder fort zu sein. – Nein, mein Herz, bleibe stark, wenn die Angst sich über dich legt. Denke an die absolute Verzweiflung, die dich hierher getrieben hat. Die Macht der Verzweiflung wird stärker sein als alle Dämonen, die dich wieder unter das Joch der Verdammnis knechten wollen. Was ist schon das bisschen Angst, verglichen mit einem freudlosen Dasein. – Also gut: Du sollst auch weiterhin Nachrichten von mir erhalten, auch das war versprochen. Dabei wäre keine Verpflichtung nötig gewesen, tue ich es doch gerne. So bleiben wir im Geiste einander nah: in der Hoffnung auf ein besseres Wiedersehen (gib es zu: So konnte es mit mir nicht weitergehen). Du kannst mir nicht schreiben, wir hatten das besprochen. Ich kenne ja selbst nicht meine jetzige Adresse. Und ich dürfte, könnte und wollte sie dir auch nicht mitteilen (wer weiß, auf welche Gedanken du kommen würdest). Die Zensur, die in diesem Hause herrscht, würde es auch vollkommen unmöglich machen. Das wurde mir vor Antritt meiner Reise mitgeteilt, und ich war mit diesen Gepflogenheiten einverstanden gewesen, besiegelte das Abkommen mit meiner Unterschrift. Wie sagtest du? Eine Fahrt ans Ende der Welt. Ja, so könnte man es nennen. Doch selbst dabei spielt es eine Rolle, ob man sein Pferd an der ersten Wegkreuzung nach rechter oder linker Hand führt. Wo ist das Ende dieser Welt? Soll es liegen, wo es mag. Wenn’s für mich nur ein neuer Anfang wäre! Ich jedoch darf dir schreiben, so viel und so oft ich möchte (dir alleine), nur kann ich nicht sagen, ob dir die Briefe überhaupt, und wenn ja, welche davon, zugeleitet werden. Auch darf ich die Schreiben nicht mit einem Datum versehen. (Ob ich sie nummerieren darf?) Aber das sind in meinen Augen nur Belanglosigkeiten. Welchen Sinn hätte auch eine Zeitangabe auf einer nicht übermittelten Botschaft? Habe ich das eine akzeptiert, so werde ich das andere verschmerzen. Wir beide hatten in mancher langen Nacht mein Vorhaben ausführlich diskutiert, du hattest mich gewarnt, beschwört, mich nicht auf solche sicherlich ungewisse, wahrscheinlich gefährliche Machenschaften einzulassen, ich hatte dir zugehört, mit Stolz in der Brust, einen solchen Freund zu haben, hatte versucht dich zu trösten, letztendlich meinen Kopf durchgesetzt ... mein Guter, wie hättest du es verhindern können? –

      Nun bemerke ich doch, wie schnell mich die Müdigkeit überkommt. Es ist sehr spät. Die mehrtägige Kutschfahrt auf schlechten Wegen, wie auch die mit der Reise verbundenen, nur hinlänglich ausgestatteten Übernachtungsquartiere haben mich doch mehr beansprucht, als ich mir eingestehen wollte. So höre meinen ersten, stillen Gruß aus weiter, unbekannter Ferne. Zermartere dir nicht das Hirn ob deines armseligen Freundes. Alles wird gut werden! – Gute Nacht! ... Schlafe ruhig.

      Brief 2

      Fürwahr, allein IM (!) Menschen liegt sein Glück. Doch frag’ ich dich: Was soll dann aus dem Menschenkinde werden, das dieses Glück nicht in sich trägt und es auch außerhalb nicht finden kann?

      Ein paar Tage sind seit meiner Ankunft verstrichen. Was sich bisher berichten lässt, ist wenig genug. Unterbringung und Verpflegung sind gut, wenn auch nicht übertrieben, was wiederum gut ist, kommt es doch vorrangig nicht auf die äußeren Verhältnisse an. Ringsum aber eine paradiesische Landschaft, so du noch keine gesehen hast. Das Gut im ausgehauenen Walde gelegen, umgeben von herrlichem Grün und blühenden Wiesen und reifenden Feldern und so abgeschnitten von aller Zivilisation, scheint mir. An menschlichen Seelen sind mir bisher der Hausherr und ein paar Bediente begegnet und für diese alleine scheint mir dann doch das Anwesen etwas zu groß geraten zu sein. Es gilt aber abzuwarten. Die Tage verbringe ich weithin in meiner Stube oder auf der Holzbank, die so einsam und beschattet unter dem großen Lindenbaume in der Mitte des Hofes steht, und trage denn so manches Sätzchen in mein Tagebuch ein, damit gerne der Empfehlung des Hausherrn folgend. Sie haben sich in eine neue Gegend geworfen, hatte er mich bei unserer ersten Begegnung angesprochen. Lassen Sie Ihr Herz zur Ruhe kommen. Genießen Sie Luft und Land und den freien Lauf Ihrer Gedanken. Was ich auch tue. Einen Spaziergang habe ich noch nicht unternommen, auch nicht danach gefragt. Eines nach dem anderen. Ich habe Zeit.

      Nochmals zu dem Hausherrn. Es wird dich interessieren (und beruhigen) zu erfahren, welcher Person ich mich überlassen habe, wenn’s auch zur Stund’ nicht mehr als die Schilderung des ersten Eindrucks werden kann, doch der war gut! Ein Herr von an die sechzig Jahr’, doch rüstig an Körper und Geist, mit mildem Gesicht und gewinnendem Lächeln. Seine sonore Stimme spricht in klaren Sätzen, nichts scheint aufgesetzt an seiner Natur. Die Körpergröße ist die meinige, doch trotz der Jahre, die er mir voraushat, ist seine Statur kräftiger gebaut, auch starke Hände hat er und diese sehr gepflegt. Im Ganzen eine angenehme Erscheinung, die gleichermaßen Autorität und Sympathie ausstrahlt. Am meisten aber hat mich sein Humor eingenommen, von