Epistolare Narrationen. Margot Neger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Margot Neger
Издательство: Bookwire
Серия: Classica Monacensia
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783823302827
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Präpositionen ab, ex, sub und in usw. Plinius bietet eine Liste von Bereichen und Räumen mit unterschiedlicher Funktion (15‒32: porticus, atrium, xystus, ambulatio, triclinium, diaeta, dormitorium cubiculum, cenatio, balineum, sphaeristerium, cryptoporticus, hippodromus) und erwähnt, ob sie Sonne, Schatten oder besondere Ruhe genießen. Häufig beschreibt Plinius die Aussicht durch die Fenster, während er, wie bereits gesagt, kaum auf das Inventar dieser Räume – Wandverzierung, Möbel, Kunstobjekte, Bücher etc. – eingeht. Man wandelt als Leser geistig durch die Villa von einem Raum zum anderen und fühlt sich ähnlich wie in einem Labyrinth. Während der Epistolograph zunächst die Landschaft, in der sich die Villa befindet, aus einer Panorama-Perspektive von oben schildert (7‒12) und explizit den Blick von einer höher gelegenen Position aus hervorhebt (13: si…ex monte prospexeris), der dem Blick auf ein schönes Gemälde entspreche (13: formam…pictam videberis cernere), bietet er uns die Architektur der Villa selbst als Serie von Räumen dar (14‒40). Es wurde bereits mehrfach beobachtet, dass die Ekphrasis des Anwesens Parallelen aufweist zu rhetorischen Ausführungen zur Mnemotechnik, wie sie sich etwa bei QuintilianQuintilianInst. 11.2.18‒20 finden.41 Dieser empfiehlt seinen Lesern, sich ein großes Haus mit zahlreichen Winkeln und Zimmern vorzustellen (Inst. 11,2,18: domum forte magnam et in multos diductam recessus) und in jedem ein besonderes Kennzeichen einzuprägen (11,2,18: quidquid notabile), mit dem man die Abschnitte einer schriftlich oder gedanklich konzipierten Rede verknüpft. Man solle dann im Zuge des Memorierens geistig vom vestibulum zum atrium, den impluvia, cubicula, exedrae usw. voranschreiten (11,2,20).

      Abgesehen von Parallelen zur Lehre der Mnemotechnik scheint Plinius, wie Chinn (2007) gezeigt hat, mit seinem Text nicht nur ein Beispiel für die antike Kunst literarischer Ekphrasis zu liefern, sondern auch auf theoretische Ausführungen zu dieser Tradition anzuspielen, insbesondere auf Quintilians Kapitel über die rhetorische Technik der sub oculos subiectio sowie der evidentia.42 Epist. 5,6Plinius der JüngereEpist. 5.6 weist somit einiges an Selbst-Referentialität auf, und oft scheinen die Grenzen zwischen beschreibendem Text und beschriebenem Objekt zu verschwimmen: Einerseits spiegelt der Text durch seinen Umfang die Größe der Villa wider (44) und zieht im Kontext des Briefbuchs selbst als Objekt von ungewöhnlicher räumlicher Ausdehnung die Aufmerksamkeit auf sich. Andererseits kann auch die Villa wie ein Text „gelesen“ werden, etwa wenn Plinius von den Buchsbäumen in seinem Garten berichtet, deren kunstvolles Arrangement die Namen des Besitzers und des Künstlers angeben (35): buxus…in formas mille discripta, litteras interdum, quae modo nomen domini dicunt, modo artificis.43 Für den Entwurf der Anlage und des Gartens hat Plinius offensichtlich einen artifex beauftragt, dessen Namen dann durch die Bepflanzung verewigt wurde, ähnlich einer Künstler-Signatur, wie man sie etwa in der antiken Vasenmalerei und Plastik findet.44 Als Schöpfer der literarischen Villa im Brief darf allerdings Plinius selbst gelten, der hier als dominus und artifex in Personalunion auftritt45 und uns mit dem Hinweis auf den der Villa eingeschriebenen Namen eine Art Binnensphragis liefert, die sich in jenem Buch findet, das die Mitte des Briefkorpus bildet.46

      QuintilianQuintilianInst. 8.3.62 thematisiert in seinen Ausführungen zu Ekphrasis und evidentia wiederholt den Unterschied zwischen Sprechen und Hören bzw. Zeigen und Sehen, wenn es um die lebhafte Schilderung von Sachverhalten und ihre Rezeption geht.47 Eine Narration, die bloß usque ad aures vordringt (Inst. 8,3,62), hat nicht dieselbe persuasive Kraft wie wenn die Dinge dem Zuhörer gleichsam vor Augen gestellt werden. Es fällt auf, dass auch Plinius in seinem Brief 5,6Plinius der JüngereEpist. 5.6 den Leser mit zwei verschiedenen Modi der Narration konfrontiert: Vor der eigentlichen descriptio und den darauf folgenden Reflexionen (41‒44) erzählt er von den fabulae veteres und sermones maiorum, denen man in der Region zuhören könne (5: audias fabulas veteres sermonesque maiorum), und macht den Leser so indirekt auf den Unterschied zwischen akustischer und visueller Wahrnehmung aufmerksam. Dies lässt sich auch, wie in einem anderen Kapitel noch ausführlicher gezeigt wird, in Epist. 8,20Plinius der JüngereEpist. 8.20 beobachten, wo Plinius vor der Ekphrasis des Vadimoner Sees die unglaublichen Geschichten erwähnt, die man ihm über das Gewässer erzählt habe (8,20,3: simul quaedam incredibilia narrantur).48

      Nach der Schilderung des Klimas in Etrurien (4‒6) beginnt Plinius seine Ekphrasis mit einer Beschreibung der Landschaft (7: regionis forma pulcherrima), die einem riesigen Amphitheater gleiche, wie es nur die Natur erschaffen könne (7: imaginare amphitheatrum aliquod immensum et quale sola rerum natura possit effingere). Man mag hier politische Untertöne mithören, steht doch das natürliche Amphitheater in auffälligem Kontrast zu dem von den Flaviern errichteten Gegenstück, das insbesondere von Martial zu Beginn des Liber spectaculorum gepriesen wird (Sp. 1,7‒8MartialSp. 1.7‒8: omnis Caesareo cedit labor Amphitheatro / unum pro cunctis fama loquetur opus).49 In der Raumkonstruktion der Briefe wird dieses künstliche Weltwunder in Rom ersetzt durch eine beeindruckende Naturkulisse außerhalb der Hauptstadt. Von Anfang an bezieht Plinius seinen Adressaten mit ein bei der Visualisierung von Landschaft und Villa, indem er ihn zunächst einlädt, die alten Leute vor dem geistigen Auge zu betrachten (6: videas), ihren Erzählungen zu lauschen (6: audias) und sich das natürliche Amphitheater vorzustellen (7: imaginare). Den Blick auf die Landschaft, in der sich die Villa befindet, lenkt Plinius von oben nach unten, indem er bei den Berggipfeln und ihren Wäldern beginnt und sich dann nach unten über Weinberge, Wiesen und Bäche zum Tiber vorarbeitet, der durch die Felder fließt, sie gleichsam durchschneidet (7‒12). Die Aussicht auf die Landschaft von oben vergleicht der Epistolograph mit dem Blick auf ein Gemälde (13: formam aliquam ad eximiam pulchritudinem pictam videberis cernere)50 und steuert damit zugleich die Lektüre seines Briefes, indem er ihn indirekt als Ekphrasis charakterisiert. Plinius thematisiert in diesem Zusammenhang auch das ästhetische Vergnügen seines Adressaten beim Anblick der Naturkulisse (13: magnam capies voluptatem, si…prospexeris;…tibi…videberis cernere) und weist auf den Abwechslungsreichtum (varietas) und die Gliederung (descriptio) hin, durch die die Augen des Betrachters erfreut werden (13). Die Schönheit dieser gleichsam gemalten Landschaft wird dabei mit Begriffen ausgedrückt, die sich in anderem Zusammenhang auf die Qualität eines literarischen Werks beziehen: So findet sich descriptio als Terminus technicus für eine EkphrasisPlinius der JüngereEpist. 5.6 etwa bei QuintilianQuintilianInst. 9.2.44 (Inst. 9,2,44), und auch Plinius wendet ihn in zwei weiteren Briefen in diesem Sinne an: In Epist. 2,5,5Plinius der JüngereEpist. 2.5.5 geht es um Ortsbeschreibungen (descriptiones locorum) in einer Rede im Stile von Historikern und Dichtern, und Epist. 7,9,8Plinius der JüngereEpist. 7.9.8 handelt ebenfalls vom Einfügen solcher descriptiones in eine Rede.51 Auch den Begriff der varietas verwendet Plinius in stilkritischem Zusammenhang, etwa in Epist. 2,5Plinius der JüngereEpist. 2.5.7 über die Mannigfaltigkeit einer Rede (7: ita videmur posse confidere, ut universitatem omnibus varietas ipsa commendet) oder in Epist. 4,14Plinius der JüngereEpist. 4.14.3 über abwechslungsreiche Poesie (3: ipsa varietate temptamus efficere, ut alia aliis quaedam fortasse omnibus placeant); zudem ist varietas das die Briefbücher prägende Prinzip der Anordnung von Einzeltexten.52

      Nach der Schilderung der Landschaft (4‒13) fokussiert Plinius den Blick auf die nähere Umgebung der Villa bzw. ihre Lage am Fuße eines Hügels mit dem Apennin im Rücken und der Ausrichtung einer langen Portikus nach Süden (14‒15). Bevor Plinius näher auf die Innenräume seiner Villa eingeht – er erwähnt kurz das traditionelle Atrium in der Portikus (15: ex more veterum) –, beschreibt er die vor der Säulenhalle liegende Terrasse (16: xystus) und angrenzende Spazierwege (17: ambulatio…gestatio) mit kunstvollen Bepflanzungen sowie Wiesen und Felder (18) und betont das Wechselspiel zwischen Natur und Kunst in diesem Arrangement (18: non minus natura quam…arte visendum). Sodann wird der Blick auf das Innere der VillaPlinius der JüngereEpist. 5.6 gelenkt, wenn die descriptio der Portikus und ihrer Räume erfolgt (19‒24), zu denen mehrere triclinia, diaetae und cubicula gehören sowie ein Innenhof (areola). Detailliert schildert Plinius die Aussicht aus den einzelnen Zimmern, die mal auf die Landschaft, dann wieder auf architektonische Elemente der Villa gerichtet ist.53 Lefèvre (1977) erkennt in diesen Durch- und Fernblicken Parallelen zur römischen Wandmalerei, wo ebenfalls Perspektiven