Epistolare Narrationen. Margot Neger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Margot Neger
Издательство: Bookwire
Серия: Classica Monacensia
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783823302827
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nachdem diese ihren eigenen Sohn Asudius Curianus enterbt und Plinius zusammen mit einigen anderen als Erben eingesetzt hat.1 Ein erstes Vier-Augen-Gespräch zwischen Plinius und Curianus, der Plinius darum bittet, ihm seinen Anteil zu schenken, wird räumlich nicht näher lokalisiert (2‒5). Im Unterschied dazu macht Plinius konkretere Angaben zum Ort seines darauf folgenden Beratungsgesprächs (5: consilium) in Anwesenheit von Corellius und Frontinus, das in seinem Wohnzimmer stattfand (5: his circumdatus in cubiculo meo sedi). Man kann sich vorstellen, wie Plinius inmitten der beiden spectatissimi (5) Curianus gegenübersaß, sich anhörte, was dieser zu sagen hatte, einiges entgegnete und sich dann mit seinen beiden Mentoren zu einer Konsultation zurückzog (5: deinde secessi). Von der Szenerie eines „domestic tribunal“2 wechselt der Schauplatz dann zum Zentumviralgericht, wo Curianus Klage einreicht (6‒8). Zwar liefert schon die vorherige Erwähnung des spectatissimus civitatis Corellius (5) ein Indiz dafür, dass das dramatische Datum der Narration in die Zeit Domitians fällt,3 doch erst die Formulierung metu temporum (7) im Zusammenhang mit der bevorstehenden Verhandlung vor dem Zentumviralgericht, der Plinius’ Miterben gerne entgehen wollten, verschafft Klarheit. Hatte der Brief etwas unspektakulär mit einem Bericht über einen Erbschaftsstreit begonnen, gewinnt die Erzählung nun an Dramatik (7: verebantur…ne ex centumvirali iudicio capitis rei exirent).4 Nachdem die Miterben Plinius gebeten haben, mit CurianusPlinius der JüngereEpist. 5.1 zu sprechen und einen Vergleich zu erwirken, treffen sich die beiden Männer im Tempel der Concordia (9: convenimus in aedem Concordiae), einem Ort, der hier Symbolkraft besitzt, geht es doch um die Abwendung drohender Gefahr durch einen Prozess. Man denkt hier sicherlich in erster Linie an den Concordia-Tempel im Nordwesten des Forum Romanum, der von Tiberius im Jahr 7 v. Chr als Concordia Augusta restauriert wurde.5 Allerdings berichtet Ovid in seinen Fasti noch von einem weiteren Concordia-Heiligtum, das sich in oder bei der Portikus der Livia befunden haben soll (6,637‒8)OvidFast. 6.637‒8: Te quoque magnifica, Concordia, dedicat aede / Livia, quam caro praestitit ipsa viro.6 Die Säulenhalle der Livia mit ihrem Concordia-Heiligtum, das Ovid zufolge die eheliche Eintracht des Kaiserpaars symbolisieren sollte, lag wie auch das Stadthaus des Plinius auf dem Esquilin (vgl. Epist. 3,21,5Plinius der JüngereEpist. 3.21.5)7 und wäre von dort aus wohl schneller zu erreichen gewesen als das Forum Romanum. Dass es sich bei dem in Epist. 5,1 erwähnten Concordia-Tempel um das von Ovid beschriebene Heiligtum handeln könnte, suggeriert auch die Ähnlichkeit der Szene mit Epist. 1,5Plinius der JüngereEpist. 1.5.9, wo sich Plinius und Vestricius Spurinna in der Portikus der Livia treffen (9: coimus in porticum Liviae), die offenbar auf halbem Weg zwischen den Häusern der beiden lag und in der Spurinna als Fürsprecher für Regulus auftritt.8 Wie bereits erörtert, gibt Plinius äußerst selten konkrete Hinweise auf die Topographie Roms, und so fällt die parallele Gestaltung der betreffenden Szenen in Epist. 1,5 und 5,1 umso deutlicher auf. Falls der Leser in Epist. 5,1,9 an den Concordia-Tempel bei der porticus Liviae denken soll, stellt Plinius möglicherweise eine implizite Verknüpfung zwischen Epist. 1,5 und 5,1 über Ovids Fasti als Prätext her. Abgesehen von der Symbolkraft der Concordia als Göttin der Eintracht – sei es im politischen oder familiären Bereich – ist die Anlage der porticus Liviae auch über das Motiv der Erbschaft von Bedeutung: Vor der Errichtung der Säulenhalle befand sich an der Stelle das luxuriöse Anwesen des durch Extravaganz und Grausamkeit berüchtigten P. Vedius Pollio,9 der Augustus sein Haus vererbte, das dieser jedoch abreißen ließ, um sich den Römern als positives Exemplum zu präsentieren (vgl. Ov. Fast. 6,639‒48OvidFast. 6.639‒48).10 Sowohl das architektonische Monument der porticus Liviae als auch der das fünfte Buch eröffnende Brief des Plinius propagieren den Erbauer bzw. Verfasser als exemplum für das angemessene und altrömische Verhalten eines Erben im Angesicht einer problematischen Erbschaft, und so könnte in Epist. 5,1 die aedes Concordiae in der Livia-Säulenhalle als Erinnerungsort evoziert sein: Wandelte Augustus die verschwenderische domus des Pollio in eine der Öffentlichkeit zugängliche Säulenhalle um,11 erzählt uns Plinius von seinen Bemühungen, sich mit dem enterbten CurianusPlinius der JüngereEpist. 5.1 zu einigen, was ihm angeblich nicht nur Ruhm einbrachte (10: tuli fructum…famae), sondern auch das Lob des Curianus selbst, der Plinius’ Tat als factum antiquum bezeichnete (11).Plinius der JüngereEpist. 5.1

      Während die Handlung in Epist. 5,1 in Rom spielt, begegnet uns Plinius als Briefschreiber in Epist. 5,2Plinius der JüngereEpist. 5.2 auf seinem Laurentinum in der Nähe der Haupstadt,12 von wo aus er als Gegengabe für Drosseln, die ihm der Adressat Calpurnius Flaccus13 geschickt hat, lediglich epistulae steriles (2) senden kann. Dabei handelt es sich freilich um eine scherzhafte Unterminierung der Qualität dieser Briefe, hatte Plinius doch in Epist. 4,6Plinius der JüngereEpist. 4.6 den reichen Ertrag seines Laurentinum gepriesen (1: solum mihi Laurentinum meum in reditu), allerdings nicht den landwirtschaftlichen, sondern den literarischen (2: aliis in locis horreum plenum…ibi scrinium). Mit den von Plinius in Brief 5,2 erwähnten epistulae dürften nicht nur die Briefe an Calpurnius Flaccus gemeint sein, sondern zugleich diejenigen des fünften Buches, als dessen zweite Einleitung Epist. 5,2 fungiert. Der folgende Brief 5,3Plinius der JüngereEpist. 5.3 versetzt uns dann gedanklich ins nicht näher lokalisierte Haus des Titius Aristo (1: apud te), bei dem es, wie es heißt, eine angeregte Diskussion über Plinius’ Gedichte und deren Rezitation gegeben habe.14 Plinius rechtfertigt sich in diesem Brief ausführlich für seine Aktivität als Dichter und Rezitator und imaginiert in diesem Zusammenhang die Reaktion der Zuhörer bei einem Vortrag (9): quid quisque sentiat, perspicit ex voltu oculis nutu manu murmure silentio. Lediglich der kurze Hinweis auf Mimik, Gestik und Laute oder Schweigen der Anwesenden könnte dem Leser suggerieren, sich einen Raum vorzustellen, in dem eine solche Rezitation stattfand15 – am Ende des Briefes enthüllt Plinius, dass es sich dabei nicht um ein öffentliches Auditorium, sondern ein Zimmer bei ihm zuhause handelt (11: haec ita disputo, quasi populum in auditorium, non in cubiculum amicos advocarim).16Plinius der JüngereEpist. 5.3

      Der suburbanen otium-Villa in Epist. 5,2 und dem privaten Rahmen der Gedichtrezitation in cubiculo in Epist. 5,3 steht in Epist. 5,4Plinius der JüngereEpist. 5.4 der Senat gegenüber, in dem zwischen dem Prätor Sollers und den Gesandten von Vicetia über die Abhaltung eines Wochenmarktes auf den Gütern des Sollers verhandelt wurde.17 Der Geographie der Briefe in Buch 5 wird somit auch die regio X Venetia, in der das Gebiet von Vicetia (heute Vicenza) lag, hinzugefügt.18 Plinius berichtet von dieser Verhandlung als aktuelles und noch nicht abgeschlossenes Ereignis (1: res parva, sed initium non parvae; 3: sed, quantum auguror, longius res procedet) und liefert mit Epist. 5,4 und ihrer Fortsetzung in 5,13 – beide Schreiben sind an Iulius Valerianus gerichtet – sozusagen eine simultane Narration.19 Bereits am Ende von Epist. 5,4 kündigt Plinius ein Sequel seines Berichts an (4: quam blande roges, ut reliqua cognoscas) und hält es sogar für möglich, dass sein Adressat, nun neugierig geworden, nach Rom kommen und lieber spectator als lector sein wolle (4: si tamen non ante ob haec ipsa veneris Romam spectator malueris esse quam lector) – vom Aufenthaltsort des Iulius Valerianus erfahren wir allerdings nichts.

      Nach dem römischen Senat als Schauplatz („space“) einer Verhandlung wird in Brief 5,5Plinius der JüngereEpist. 5.5 der Raum eines Traumes20 („frame“) entworfen: Plinius beklagt zunächst die mors immatura des Gaius Fannius, der sich zu Lebzeiten u.a. als Historiker durch drei Bücher über die Opfer Neros hervorgetan (3)21 und seinen Tod aufgrund einer nächtlichen Vision vorausgeahnt habe (5): Fannius, der bei seinem Traum wohl tatsächlich in seinem Bett gelegen sein dürfte, träumte auch von seinem Bett (5: visus est sibi…iacere in lectulo suo), in dem er in Studier-Haltung mit seiner Bücherkapsel vor sich saß (5: compositus in habitum studentis, habere ante se scrinium). Das cubiculum bzw. die Objektregion des Bettes22 werden zu einer Art Bühne, wenn Kaiser Nero auftritt (5: mox imaginatus est venisse Neronem), sich aufs Bett setzt, das erste Buch De sceleribus eius hervorholt,23 vom Anfang bis zum Ende liest und in derselben Manier mit Buch 2 und 3 verfährt, bevor er wieder von der „Bühne“ abtritt (5: tunc abisse). Abgesehen von dieser Traum-Szene ist Epist. 5,5 relativ arm an räumlichen Elementen, setzt sich dagegen umso intensiver mit dem Thema Zeit auseinander, insbesondere mit der (zu kurzen) Lebenszeit in Relation zur Unsterblichkeit