Reduzierung der Komplexität
Ein erster Schritt ist die Reduzierung der Komplexität und der Fokus auf Bekanntes. Auch dies lässt sich wieder gut im kindlichen Tun erkennen. Kinder zeigen, dass weniger Komplexität durchaus auch mehr Freude am Spielen/Leben bringen kann.
Die älteren Leser werden sich noch an den Legokasten mit Fächern für den 8er-, 6er-, 4er- oder 1er-Stein erinnern, an Dachsteine, Fenster und eine Grundplatte. Damit haben wir in unserer Kindheit alles gebaut. Heute erhalten Kinder komplexe Technikversionen, die den Eltern drei ruhige Weihnachtstage ermöglichen, da die Kinder sich durch mehrere Kataloge mit Bauanleitungen wühlen. Manche bekommen schon dabei erste Krisenerfahrungen. Spielen die Kinder während des Jahres einmal ruhig mit Lego, so konnten zumindest die Autoren feststellen, dass meist nur die alten Steine mit den Ordnungsmustern 8, 6, 4, 2, 1 kreativ zum Einsatz kamen.
Bei Erwachsenen sind die Legosteine ersetzt durch Ordnungen, die sie jeden Morgen aufstehen lassen, sie durch den Arbeits- und Ehealltag bringen. Solche Ordnungen, wie sie sich aus Werten und Orientierungen ergeben, sind für unser Leben handlungsleitend (vgl. Lorenz/Höcker, Wert-voll leben). Legen Sie sich einen Legostein auf den Schreibtisch, der Sie daran erinnert, sich in der Krise zunächst auf Bekanntes zu fokussieren und damit kleine Erfolge zu erzielen.
Die Chance des Chaos
Mancher Leser wird sich jetzt denken: So komme ich aber nicht weit im Leben! Genau das ist die Kehrseite der Medaille. Alles könnte so schön sein, wäre da nicht immer wieder dieses Bedürfnis nach Unordnung: morgens mal ohne Wecker leben, vielleicht doch noch mal den Arbeitgeber wechseln, die vielen attraktiven potenziellen Partner, die einem so auf der Straße begegnen, nicht alle links liegen lassen.
Für Kinder sind diese Auseinandersetzungen mit der existierenden Ordnung notwendig, um sich zu entwickeln. Sie werden von der Natur praktisch dazu gezwungen, in den Clinch mit Mama und Papa zu gehen. Wenn sie das nicht lernen, kommt es zum Phänomen der sogenannten „Muttersöhnchen“. Das sind die, die nie gelernt haben, sich zu lösen, die immer noch unreflektiert an Ordnungsmustern und Normen hängen.
Und hier liegt die Herausforderung: Ich muss die Welt, damit ich am Leben bleibe, einerseits eingrenzen und das herausnehmen und wiederholen, was meine Existenz sichert. Wiederholung heißt andererseits aber auch, dass etwas Neues zuzulassen nicht stattfindet. Entwicklung braucht also Entgrenzung. Das aber schafft Unordnung. Dann greifen alte Muster nicht mehr – wir sind so lange in der Krise, bis sich eine neue Ordnung stabilisiert hat und das Spiel von vorne beginnt. Zwischen diesen beiden Polen – Krise und Ordnung – existiert jedes Lebewesen. Wenn Sie das für sich akzeptieren können, wäre schon ein erster Schritt getan.
Als Nächstes gilt es zu akzeptieren, dass es uns Menschen in diesen Krisen-Situationen oft schwerfällt, anzuerkennen, dass wir, anders als Tiere oder Pflanzen, denken und immer auch bewusst anders handeln können. Dies ist wieder die viel zitierte Medaille mit zwei Seiten. Sie wird uns im Kapitel zum Thema Konflikt noch umfassend beschäftigen.
Einer Krise kann mit Annahme oder Verweigerung der Auseinandersetzung mit ihr begegnet werden. Zurückweichen bietet nur auf den ersten Blick eine Lösung. Es setzt persönliche Entwicklung aus, bedeutet Stillstand. Ohne Überschreiten von Grenzlinien ist eine erfolgreiche, über das Kindhafte hinausführende Sozialisation nicht möglich.
Was als krisenhaft erlebt wird, kann nur vom Einzelnen bestimmt werden. Aussagen wie „Ich krieg’/hab’ die Krise!“, „Ich habe Schmerzen!“ sind keine Aussagen, die von einem anderen als wahr oder falsch bewertet werden können. Sie sind unwiderlegbare persönliche Wahrheiten. Jemanden mit der Behauptung zu konfrontieren, er stecke in einer Krise, kann andererseits von diesem unwiderlegbar verneint werden. Krisen sind subjektive, einzigartige Erlebnisse. „Mein Freund hat Ähnliches erlebt und der hat Folgendes gemacht …“, „Das ist doch nicht so tragisch!“, solche Aussagen sind in dieser Situation nicht hilfreich.
Krisen sind die das Leben konstituierenden Bedingungen und nicht nur ein Merkmal unter vielen. Den Menschen ist es gegeben, diesen mit Annahme oder Ablehnung zu begegnen. Ziel sollte jedoch nicht Ablehnung sein, sondern sich an und durch Krisen zu entwickeln. Nehmen wir der Krise den Beigeschmack der Katastrophe. |
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1.3Begriffsabgrenzung und Definitionen
Aus der Freiheit, anders handeln zu können, entstehen als Folge Situationen, die wir mit Entscheidung, Konflikt oder Konfrontation bezeichnen. Sie bieten uns freies Handeln, lösen damit alternativlose Ordnungsmuster auf. Sich abzeichnende Handlungsentscheidungen, Konflikte und Konfrontationen sind andererseits die wesentlichen Ursachen für Krisen.
Die Handlungsentscheidung
„Handlungsentscheidung“ ist in diesem Buch definiert als ein individueller bewusster Denkprozess, mit dem ein Mensch aus realisierbaren Handlungsalternativen, die demselben Bedürfnis dienlich sind, eine auswählt und daraus eine Handlung macht.
Der Mensch, der im Restaurant zwischen Fisch- oder Fleischgericht auswählen soll, hat einen Entscheidungsnotstand. Er hat zwei Alternativen, kann bewusst wählen, welche Speise er nimmt, allerdings befriedigt jede Option dasselbe Bedürfnis – den Hunger.
Den Hunger durch die Antwort „Fisch“ stillen zu wollen, reicht allein nicht aus. Zu wissen, dass Fisch meine Situation zum Positiven verändert, nutzt wenig, wenn keine Handlung folgt. Eine Entscheidung, ohne zu handeln, bringt mich nicht weiter, im Extremfall kann das sogar den Tod bedeuten. Dies zu verhindern, könnte ein Grund sein, mich zu bewegen. Diesen Beweggrund bzw. dieses Motiv muss ich zur Lösung in Handlung umsetzen. Wir sprechen daher auch häufig von einem Entscheidungs-Dreischritt: Bedingung erkennen, Beweggründe oder Motivation aufbauen und handeln. (Mehr zu Entscheidungen finden Sie in: Lorenz/Höcker, Wert-voll leben, Kap. 5.3.)
Krisen im Zusammenhang mit Entscheidungen werden oft erlebt, wenn die scheinbare Entscheidungssituation gar keine Alternativen beinhaltet. Entscheidung setzt voraus, dass ich mindestens zwischen zwei Möglichkeiten wählen kann. Die letztendlichen wären Ja oder Nein. Liegt dies nicht vor, z. B. wenn Vorgesetzte rhetorische Fragen stellen wie „Sie sind doch auch meiner Meinung, dass …?“, so besteht meist Zustimmungsverpflichtung und keine Entscheidungsmöglichkeit. Dass hier Entscheidungstechniken versagen müssen, liegt nahe. Sie brauchen Werkzeuge aus dem Bereich Konfrontation, um hier der Forderung, im Beispiel der des Chefs, zu begegnen.
Da der Umgang mit Entscheidungen, Krisen oder Konfrontationen unterschiedliche Ausgangssituationen hat und verschiedene Interventionen bedingt, erscheint es uns wichtig, zunächst