7 Engel. Karin Waldl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Karin Waldl
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960744313
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hatte. Schnell rappelte sie sich auf, einen weiteren Schwindelanfall niederkämpfend, und wankte zum Fenster.

      Das war es doch, was die Stimme zu ihr gesagt hatte, sie sollte in den Garten schauen. Und das, was sie sah, führte beinahe zu einem weiteren Sturz. Keuchend versuchte sie, ihr Gleichgewicht wiederzuerlangen, und stürzte los. Sie rannte nach draußen, ihre Beine fühlten sich wie Blei an. Nach wenigen Schritten waren ihre Kleider durchtränkt vom strömenden Regen.

      Ihr Blick fiel verwundert auf den Apfelbaum, der kerngesund und kaum beschädigt dem Wind trotzte. Unter dem Baum lag ein lebloser Körper, Elina zitterte vor Angst, als sie sich über ihn beugte. Er schien zu leben. Vorsichtig legte sie jeweils eine Hand auf die Schulter und Hüfte der Person, drehte sie zu sich, ihr Gesicht war nun ihr zugewandt. Elina stockte der Atem, noch nie war sie in ihrem Leben von solcher Schönheit geblendet worden. Dabei konnte sie nicht einmal erkennen, ob das Wesen vor ihr männlich oder weiblich war. Sie wusste plötzlich, dass sie keinen Menschen vor sich hatte, ein beruhigendes Gefühl von tiefem Frieden umfing sie, als die Gestalt, die sie in ihre Arme zog, aufstöhnte.

      Kurz darauf öffnete die Kreatur die Lider und sah Elina an, die ihren Blick abermals abwenden musste, denn die fremden Augen hatten das Leuchten, den Glanz und das Blau von Saphiren. Ihr Herz wurde von solch überwältigender Liebe erfüllt, dass Elina glaubte, es müsse bersten, hatte sie doch noch nie in ihrem Leben so intensiv empfunden. Dieses Gefühl hatte nichts mit der Liebe zwischen Mann und Frau zu tun, es war allumfassend.

      „Elina, kannst du mir helfen?“

      Wieder diese Stimme, diesmal aus dem Mund dieses unbekannten Individuums. Elina besann sich, warum sie hinaus in das Gewitter geeilt war, half dieser Schönheit aufzustehen, stützte sie mit ihrem Körper und gemeinsam schleppte sich dieses ungleiche Paar ins Haus.

      Im Wohnzimmer legte sie das Wesen auf das Sofa, holte ein Glas Wasser und ein paar Handtücher, um ihrem Gast eine Unterkühlung durch die regennassen Kleider zu ersparen.

      „Danke, Elina, aber ich bin nicht mehr nass. Doch das Glas Wasser würde meinen Durst sicher stillen.“

      Elina blieb mit offenem Mund stehen und reichte ihm – oder ihr – das Wasserglas.

      „Tut mir leid, dass ich mich noch nicht vorgestellt habe, mein Name ist Malak. Ich bin verletzt und brauche deine Hilfe.“

      Elina wäre am liebsten im Boden versunken, weil sie aus dem Staunen nicht mehr herauskam, anstatt das Wesen mit dem Namen Malak zu verarzten. „Wo bist du verletzt?“, kam es schuldbewusst über ihre Lippen.

      „Mein Bein“, stöhnte der Gast abermals auf.

      Elina untersuchte die verletzte Stelle und konnte sich erneut nicht von der Schönheit dieser fast elfenbeinfarbenen, schimmernden Haut lösen. Doch dort, wo sich bei Menschen das Knie befand, war ein tiefgrüner, handflächengroßer Fleck, der besorgniserregend wirkte. Elina teilte Malak ihre Beobachtung mit. Das unbekannte Wesen schloss die Augen und murmelte etwas vor sich hin, das sie nicht verstehen konnte. Sie musste wohl oder übel auf eine Erklärung warten, sofern ihr Gast sie ins Vertrauen ziehen wollte.

      Als Malak seine Augen wieder öffnete, fragte Elina, die vor Neugier fast platzte: „Was bist du?“

      „Ein Abgesandter, ein Bote Gottes, ein Engel, wie ihr Menschen zu sagen pflegt“, folgte als Antwort.

      Elina kniff die Augen zusammen. War sie wieder in einem ihrer Romane gelandet? Nein, er war noch immer da, als sie es wagte, abermals hinzusehen. Geduldig wartete der Engel, bis sie wieder bereit war zu sprechen.

      „Aber was machst du hier?“, wollte Elina von dem göttlichen Boten wissen.

      „Das kann ich dir nicht sagen.“

      „Oh.“ Elina war enttäuscht und vergaß dabei völlig, dass sie bis zu diesem Zeitpunkt die Existenz von Engeln oder anderen übernatürlichen Absurditäten vehement angezweifelt hatte. „Was hast du vorher getan, als deine Augen geschlossen waren?“

      „Gebetet“, sprach Malak mit sanfter Engelsstimme.

      „Warum?“, fragte Elina verwirrt.

      Malak deutete auf sein Bein, das nun unerklärlicherweise ohne Makel war. Das konnte unmöglich sein, Elina hatte das, was sie für eine Art von Bluterguss hielt, gesehen. Wie konnte das so schnell verheilen?

      „Gott hat mich geheilt. Danke, Elina, ich muss dich jetzt verlassen, aber ich weiß, dass wir uns wiedersehen werden. Du bist Teil des göttlichen Plans.“ Elina verstand nicht, was der Engel ihr mitteilen wollte, doch bevor sie noch eine ihrer brennenden Fragen loswerden konnte, war Malak schon verschwunden. Verwirrt griff die Frau an ihre Beule, der Schmerz breitete sich bereits über die Halswirbel und die Schultern aus.

      Sie bewegte eine Frage: Warum kannte der Gottesbote ihren Namen? Doch da fiel ihr der Lieblingspsalm ihrer Mutter ein, die leidenschaftlich gerne in der Bibel gelesen hatte. Elina konnte nur mehr einzelne Bruchstücke in Gedanken wiedergeben, wie umherschwirrende Schmetterlinge flogen sie wirr durch ihren Kopf. Wer unter dem Schutz des Höchsten wohnt, der kann bei ihm, dem Allmächtigen, Ruhe finden. Auch ich sage zu Gott, dem Herrn: „Bei dir finde ich Zuflucht, du schützt mich wie eine Burg! Mein Gott, dir vertraue ich!“

      Und dann war da noch etwas mit Engeln. Denn Gott hat seine Engel ausgesandt, damit sie dich schützen, wohin du auch gehst.

      Und irgendetwas, was mit dem zu tun hatte, dass Malak ihren Namen kannte. Gott sagt: „Er liebt mich von ganzem Herzen, darum will ich ihn retten. Ich werde ihn schützen, weil er mich kennt und ehrt. Genau, das waren die Worte ihrer Mutter: „Gott kennt meinen Namen.“ Zu absurd klangen diese erdachten Worte, hatte sie doch schon vor langer Zeit dem Glauben ihrer geliebten Mama abgeschworen, denn er bereitete ihr nur Kummer und Leid.

      Elina verspürte den Drang, sich erneut ihrer Schwester anzuvertrauen. Sie schaltete den Computer ein und schilderte, was sich gerade in Ruths Heim zugetragen hatte. Als sie erneut ihre Zeilen überflog, klang das, was sie schrieb, zu unglaublich. Ruth würde sich große Sorgen machen, dass Elina verrückt geworden wäre. Nein, das konnte sie ihr nicht antun, sie wollte schließlich zeigen, wie erwachsen sie sein konnte. Sie trug die volle Verantwortung für ihr Leben. Punkt. Sie drückte auf Löschen und klappte den Laptop zu. Es war besser, nicht darüber zu sprechen.

      *

      Kapitel 2

      Elina erwachte am nächsten Morgen, die Sonne schien hell in ihr Schlafzimmer. Der Kopfschmerz war etwas besser als am Vortag, doch es zog über den Hals den Rücken hinab. Sie hatte leichte Probleme mit dem Kreislauf, ein Schwindelgefühl überfiel sie schlagartig, als sie sich im Bett aufsetzte. Übelkeit kroch ihr bitter die Kehle nach oben, sie schmeckte den sauren Magensaft.

      „Malak?“, war ihr erster klarer Gedanke.

      Sie rieb sich die Augen, stand vorsichtig auf, stützte sich am Bettrand und an der Wand ab. Nach einer kurzen Ruhepause ging sie ins Badezimmer, um sich das Gesicht mit kaltem Wasser abzuspülen.

      Ein Blick in den Spiegel bestätigte ihre Befürchtungen. Sie sah entsetzlich aus, hatte dunkle Ringe unter den rot geränderten Augen. Der Sturz hatte ihr ganz schön zugesetzt, wenigstens sah man die hässliche Beule unter den Haaren nicht.

      Die Begegnung mit dem Engel ließ sie nicht los. Wem konnte sie sich anvertrauen? Ihre einzige Vertraute, ihre Schwester Ruth, konnte und wollte sie nicht belasten. Diese hatte in Vancouver wahrscheinlich genug um die Ohren, um sich in ihrem Job zu etablieren. Außerdem hatte sie keine Beweise für den letzten Abend. Wenn das alles nur ein Traum war, ein erdachtes Hirngespinst in ihrem Kopf herumgeisterte?

      Elina suchte das Wohnzimmer auf, in dessen Mitte die grüne schwere Couch stand. Dort hatte Malak gestern Abend gelegen. Sie registrierte die gefalteten Handtücher auf der Lehne und daneben das leere Glas auf dem niedrigen Tisch aus Rattan. Sie konnte sich das nicht eingebildet haben.

      Trotzdem war es besser,