Ein Mädchen kommt ins Landschulheim. Marie Louise Fischer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marie Louise Fischer
Издательство: Bookwire
Серия: Abenteuer von Leona
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788711719718
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meine Ehe möchte ich nicht mit dir diskutieren!“ sagte Herr Heuer scharf.

      „Und ich nicht mit dir über meine Freundinnen!“ fauchte Leona zurück.

      Vater und Tochter starrten sich wütend in die Augen.

      Dann kam zum Glück der Ober und stellte den Crevettencocktail vor Leona und ein Glas Sherry vor Herrn Heuer.

      „Fang schon an“, sagte der Vater.

      Leona war die Lust zum Essen eigentlich vergangen, aber die winzigen rosigen Krebschen in der delikaten Soße blickten sie doch zu verlockend an; sie konnte nicht widerstehen.

      Herr Heuer hatte einen Schluck Sherry genommen und begann das Gespräch nach einer Weile von neuem.

      „Ich gebe ja zu, daß ich mich deiner Mutter gegenüber nicht immer richtig verhalten habe. Wahrscheinlich bin ich sogar selber schuld, daß du dich zu sehr an sie gehängt hast. Sie war zuviel allein. Da habt ihr beide euch einfach daran gewöhnt, dauernd zusammen zu glucken. Also, bitte, von mir aus … ich bin der große Sündenbock.“

      Leona merkte sehr wohl, daß der Vater ihr eine Brücke baute, aber sie dachte nicht daran, sie zu betreten; sehr damenhaft tupfte sie sich die Lippen ab und erklärte mit Nachdruck: „Ich kann nichts dabei finden, daß Mutti und ich uns gut verstehen. Wahrscheinlich bist du nur eifersüchtig!“

      „Ich? Eifersüchtig?“ Vor Überraschung wurde der Vater laut, merkte es selber und dämpfte die Stimme. „Das soll wohl ein Witz sein?“

      „Aber wieso denn?“ erwiderte Leona unerschüttert. „Das liegt doch auf der Hand.“

      Peter Heuer leerte sein Glas. „Leider muß ich feststellen, daß mit dir wirklich nicht mehr zu reden ist.“

      „Dann lassen wir’s eben.“ Leona machte sich wieder über ihre Vorspeise her.

      „Das könnte dir so passen. Nein, so kommst du mir nicht davon. Ich habe dir etwas zu sagen, und ich werde es dir jetzt sagen. Wenn wir uns trennen, bleibst du nicht bei deiner Mutter.“

      Leona fiel fast die kleine Gabel aus der Hand. „Du willst mich fortgeben?“

      „Nicht ich. Deine Mutter und ich haben gemeinsam beschlossen … “

      „Das ist einfach nicht wahr!“ Leona sprang auf und stieß den Stuhl zurück.

      „Doch. Und jetzt setz dich gefälligst hin und hör mich an.“

      „Du wirst mir nicht weismachen, daß Mutti mich loswerden will!“

      „Niemand will dich loswerden, Leona. In deinem eigenen Interesse sind wir übereingekommen, daß es nicht gut für dich wäre, dich noch enger an sie anzuschließen, was zwangsläufig geschehen würde, wenn ich ausgezogen bin.“

      „Wenn du erst weg bist, kann es dir doch ganz egal sein, was wir machen!“ Leona stand immer noch.

      „Das kannst du doch nicht wirklich glauben. Wie es auch mit deiner Mutter und mir weitergeht, du bist und bleibst immer meine Tochter … “

      „ … die du in die Wüste schicken willst!“

      „Nicht in die Wüste, Leona, in ein Internat!“

      Leona war inzwischen auf etwas Ähnliches vorbereitet gewesen, dennoch verschlug es ihr die Sprache.

      „Wir haben das Landschulheim Rabenstein für dich ausgesucht“, erklärte der Vater, „vielleicht hast du schon davon gehört, ein wirklich fabelhaftes …“

      „Niemals! Nie kriegt ihr mich dahin!“ Leona war weiß bis an die Lippen geworden.

      Der Ober servierte die Artischocken und das Steak.

      „Hm, das sieht gut aus“, sagte der Vater, um Leona abzulenken, „nun iß erst mal, und dann …“

      „Ach, verdammt, steck dir doch deine Artischocken an den Hut!“ schrie Leona völlig außer sich und ganz undamenhaft, drehte sich um und rannte aus dem Restaurant.

      Es dauerte eine gute halbe Stunde, bis Leona sich soweit gefaßt hatte, daß sie ihrer Mutter unter die Augen treten konnte. Sie wollte nicht wie ein heulendes Baby angerannt kommen, denn es war ihr doch so wichtig, von der Mutter ernstgenommen zu werden.

      Also war sie erst einmal durch die Straßen gelaufen, hatte sich dann in dem kleinen, noch vorfrühlingskahlen Shakespearepark auf eine Bank gesetzt und erst einmal ausgeschluchzt. Danach hatte sie die verlaufene Wimperntusche und die verschmierten Lidschatten so gut es ging mit Spucke weggewischt.

      Endlich wurde ihr bewußt, daß sie in ihrem hübschen Kleid und ohne Mantel erbärmlich fror, und sie beeilte sich, nach Hause zu kommen.

      Leona verstand jetzt schon selbst nicht mehr, warum sie sich so aufgeregt hatte.

      Das Ganze konnte doch nur eine Schikane vom Vater sein. Sie sollte fort, damit die Mutter ganz allein blieb und ihm tüchtig nachtrauerte. Es war doch ausgeschlossen, daß sie mit ihm unter einer Decke steckte.

      So setzte sie sogar ein Lächeln auf, als Irene Heuer ihr die Wohnungstür öffnete.

      „Na, wie ist es gegangen?“ fragte die Mutter.

      An jedem anderen Tag hätte Leona gleich losgelegt. Aber seit ihrer Auseinandersetzung mit dem Vater war eine Veränderung in ihr vorgegangen. Es fiel ihr auf, daß ihre Mutter noch bedrückter wirkte als vorhin beim Abschied.

      „Willst du etwa behaupten, daß Vati dich nicht schon angerufen hat?“ fragte Leona mißtrauisch.

      Leona und ihre Mutter standen sich im Wohnungsflur gegenüber und betrachteten sich mit neuen Augen.

      „Stimmt, Vati hat mir berichtet, daß du weggelaufen bist“, gab Frau Irene Heuer etwas verlegen zu. „Aber ich wollte von dir hören, wie es dazu gekommen ist.“

      „Wie mitfühlend von dir!“ sagte Leona, und es klang, wie es gemeint war: sehr verletzend.

      „Leona!“

      Das junge Mädchen trat einen Schritt näher auf ihre Mutter zu. „Sei, bitte, ehrlich! Wußtest du, daß Vati mich am liebsten ins Internat stecken möchte?“ In dieser Frage klang die zaghafte Hoffnung mit, die Mutter könnte vielleicht doch so ahnungslos sein, wie Leona selber es noch bis vor wenigen Stunden gewesen war.

      Aber diese Hoffnung wurde zerstört.

      „Ja“, sagte Frau Heuer.

      Leona mußte nach Luft schnappen. „Und du hast mich nicht gewarnt!?“

      Frau Heuer biß sich auf die Lippen. „Hör mal, Liebling“, sagte sie mit angestrengt beherrschter Stimme, „ich glaube, du siehst die Sache völlig falsch.“ Sie legte den Arm um Leonas Schultern. „Vati und ich wollen dich doch nicht in die Verbannung schicken … “

      Mit einem Ruck riß Leona sich los. „Du willst mich also auch loswerden? Das kann doch nicht wahr sein!“

      „Wirklich, Leona, es besteht kein Grund, dich so aufzuregen! Wir wollen nur dein Bestes!“

      „Und über mein Bestes entscheidet ihr einfach über meinen Kopf hinweg? Ohne mich auch nur einmal zu fragen, was ich selber möchte? Ihr seid gemein, einfach gemein … alle beide! Du genau wie Vati!“

      Unter dieser Anschuldigung zuckte Frau Heuer zusammen, aber sie behielt die Fassung. „Ich verstehe ja, daß du jetzt sehr aufgeregt bist, aber … “

      „Nichts verstehst du, gar nichts! Sonst würdest du mir das nicht antun! Immer hast du gesagt, ich wäre deine beste Freundin! Und jetzt läßt du mich fallen wie ’ne heiße Kartoffel! Wie kannst du da sagen, daß du mich verstehst?“ Leona stieß die Mutter beiseite, stürzte in ihr Zimmer, knallte die Tür hinter sich zu und warf sich, ohne auf ihr schönes Kleid zu achten, quer über ihr Bett.

      So verzweifelt schluchzte Leona, daß sie gar nicht merkte, wie sich nach einiger Zeit die