Der einsame Mann. Clara Viebig. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Clara Viebig
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711466810
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selber in die Stadt hineinzugehen und einzukaufen.

      Auf dem kleinen Platz vor dem Rathaus, das hoch gegiebelt und altertümlich auf das abschüssige Pflaster herunter sieht, boten zweimal in der Woche die Bauern von draussen ihre Waren feil. Der Herr Baron guckte in jede Hotte und in jeden Korb; wo eine Bauersfrau ein an den vier Zipfeln zusammengebundenes Tuch hatte, das sie ganz besonders hütete, liess er sich’s aufbinden. Die beste Butter, die frischesten Eier, das fetteste Huhn, das erste junge Gemüse im Frühjahr brachte er heim. Für sich selber hätte er es nie gekauft — als Junggeselle hatte er ja auch keinen zu Hause gehabt, für den es ihm lohnte —, nun aber fielen ihm auf einmal allerlei Gerichte ein, die bei seiner Mutter gekocht worden waren; wie eine schöne Erinnerung kam ihm ein Geschmack auf die Zunge von diesem und jenem. Die Frau Doktor gab sich viele Mühe, sie tat ihr Bestes, aber ganz so wie seine Mutter brachte sie die Gerichte doch nicht fertig. Und nun guckte er nicht nur den Bauern in die Körbe und liess sich beim Metzger das beste Stück Fleisch vorlegen, nun sah er zu Hause wohl auch in der Küche nach. Ein Soldat muss sich in alle Verhältnisse finden, und er war jetzt auf einmal ein Hausherr, der abends den Küchenzettel mit bestimmte für den kommenden Tag.

      War das ein Herr! Einen solchen Mieter möchte wohl jeder haben! Die Frau, die seit zwei Jahren täglich kam, die Stiefel des Herrn Baron putzte und seine Kleider reinigte, wunderte sich: um alles kümmerte sich der Herr. Und gar nicht knauserig war er; wenn es wo nicht langte, sprang er ein. Ob er am Ende ein Verhältnis mit der Frau Doktor hatte? Na, so eine! Und tat doch immer so, als ob für sie das Leben und was das vergnüglich macht, gar nicht mehr da sei, lief alle Sonntag auf den Kirchhof zum Grab ihres Mannes und schien nur noch für ihren Jungen Sinn zu haben. Das sollte man wahrhaftig von der nicht denken. Aber dass es zwischen ihr und dem Herrn Baron nicht recht sauber war, das musste doch wohl so sein.

      In der Seele dieser Frau, die so grobfädig war und so bereit, den Schmutz aufzunehmen wie der Scheuerlappen, mit dem sie jeden Morgen die Fliesen des Hausflurs wischte, konnte keine Ahnung sein von dem, was hier, fein und zart wie ein hauchdünnes Spinnweb, sich webte, und das zergeht, wenn man es anfasst mit der Hand. Frau Kaspers war sonst gerade keine üble Frau, sie hatte ein leidliches Wesen. Ihr Mann hatte einen Schleppkahn, mit dem treidelte er die Moselstrecke auf und ab, Bausteine, Holz, Kartoffeln, Obst, alles beförderte er so von Ort zu Ort; seine grossen Jungen halfen ihm dabei. Die Kaspers hätte es gar nicht nötig gehabt, so aufs Verdienen zu sehen, aber eine Aufwartung macht nicht viel Mühe und es fällt ausser dem Stundenlohn noch allerlei dabei ab. Und ihr Mann trank zu gern, da liess sich nicht sparen, und für ihre Maria, das einzige Mädchen, wollte sie doch gern eine Aussteuer zusammenschrapen.

      Die Fünfzehnjährige kam manchmal und vertrat die Mutter; dann war der Hausflur immer viel sauberer gewischt und die Stiefel des Herrn Barons waren so blank geputzt, dass man sich hätte darin spiegeln können. Wenn das junge Ding im Flechtenkranz mit Besen und Scheuerbürste flink hantierte und mit dem Eimer klapperte, sang sie dabei. Frau Doktor war das nicht angenehm, in der Stille des Hauses war es plötzlich so laut, aber eine Rücksicht hielt sie zurück: man konnte der Fleissigen doch unmöglich den Mund verbieten. Selbst wenn das Mädchen den Gassenhauer pfiff, den der Orgeldreher mit dem Stelzfuss Sonntags an der Fähre zum Überdruss orgelte, sagte sie nichts. Warum dem harmlosen Kind die zutrauliche Unbefangenheit nehmen?

      Maria Kaspers hatte eine Art, die so frei und unbefangen war, dass sie oft ganz sonderbar anmutete — war die dreist? — nein, hier war die ganze Natürlichkeit und unbefangene Sicherheit des Kindes aus dem Volk. Auch der Oberst sah mit Wohlwollen auf Maria Kaspers. Als sie ihn einmal so freundlich anlachte, dass alle ihre weissen Zähne blitzten und ihre Augen lustig tanzten, klopfte er sie auf die Wange, die fest und rund war wie ein gesunder Apfel: die wurde mal eine Tüchtige, der war die Arbeit ja Lust! Zum ersten Male fand er Frau Doktor weltfremd und geradezu altjüngferlich, als er zu bemerken glaubte, dass sie es nicht gern sah, wenn Maria Kaspers sich viel mit Hans-Helmut befasste. Sie rief ihn jedesmal zu sich herein in die Stube. Das konnte dem Jungen doch nichts schaden, wenn er mit dem Mädchen schwatzte! Die war zudem schon vor ein paar Jahren gefirmelt, eine grosse, verständige Person. Diese Kluft der Jahre und die noch weit grössere Kluft des Standes schalteten ja von vornherein schon ein zu grosses Vertrautwerden aus.

      Drittes Kapitel

      Es war Frühling; ein feuchtwarmer Mai. Im Berggarten sang die Nachtigall alle Nacht, und eine andere antwortete unten aus den Uferbüschen; sie riefen und lockten. Sie sangen sich selber in den Schlaf, aber die Menschen wurden wach davon.

      Der Oberst, der immer bei offenem Fenster schlief, musste das schliessen; aber vorerst stand er noch eine Weile und sah hinab auf die Rosenhecke und die Geissblattlaube, deren Duft fast greifbar zu ihm aufstieg. Wie mit Händen langte die Mainacht nach ihm und begann ihn zu streicheln. Vergebens strich er den borstigen Schnurrbart und versuchte ihn zu zwirbeln, der wurde nicht so martialisch wie sonst; die Brillantine fehlte, aber auch die Festigkeit der zwirbelnden Finger. Da konnte man noch so alt sein, eine solche Nacht macht weich und weckt Erinnerungen, die längst schliefen, und Gefühle, von denen man sonst nichts wusste und auch nichts wissen wollte. Es war doch schade, dass er sich nicht verheiratet hatte! Dann hätte er jetzt ein liebendes Weib neben sich, das ihren Arm in den seinen schob und, an ihn gelehnt, mit ihm hinunterblickte in den traumhaften Garten. Unten im Haus schlief ihm ein Sohn und oben in der silbergrau, mit bunten Blumen tapezierten Mansarde vielleicht eine Tochter, die von ihrem Bräutigam träumte. So grosse erwachsene Kinder könnte er längst schon haben, er hätte nur zu heiraten brauchen zur rechten Zeit. Zur rechten Zeit — war die Zeit denn ganz verpasst? »Ja,« sprach es in ihm, und dann wieder: »Aber du könntest doch noch — Anfang der Fünfzig, — noch ist es nicht zu spät, es hat mancher geheiratet, der noch älter war.« Aber wen heiraten, wen? Er kannte hier keine. Doch, unten die Frau Doktor! Im Alter würde sie zu ihm passen. Und da hätte er dann auch gleich den Sohn. Liebte er denn Hans-Helmut nicht schon wie einen solchen? Sicherlich; mehr vielleicht sogar. Denn an einen eigenen Sohn hat man das Recht des ruhigen Besitzes, der gehört einem eben, aber jener war nur entliehen, geborgt auf Zeit — vielleicht nur bis morgen. Den Knaben Hans-Helmut liebte er mit Ängstlichkeit, mit der ganzen Furcht, ihn bald wieder zu verlieren; liebte ihn wie etwas, das man sich widerrechtlich angeeignet hat, wie eine Kostbarkeit, von der man weiss, dass sie einem nicht gehört, dass man sie einmal wieder hergeben muss, und die man darum bewacht mit der ganzen Liebe eines Geizhalses zu seinem Gold. Aber die Frau Doktor heiraten — deswegen heiraten, damit Hans-Helmut ihm zu Recht gehörte?!

      Der Mann seufzte tief auf und schloss unsanft das Fenster. Diese verdammten Nachtigallen mit ihrem ewigen Geschluchze! Er konnte wirklich nicht begreifen, warum man gerade den Nachtigallengesang so bewunderte, war nicht jedes andere Vogellied ebenso schön? Nun war das Fenster geschlossen, nun konnte er schlafen. Aber er legte sich doch noch nicht nieder. Er ging in sein Wohnzimmer, dessen Fenster hinaussah zum Fluss und zu den Weinbergen drüben. Am Fenster stand der Schreibtisch, er setzte sich, stützte den Arm auf die Platte, lehnte den Kopf in die Hand und sah so hinüber zu den in mattem Sternenlicht verschwimmenden Höhen.

      Phantastisch sahen die sonst so friedlichen Berge aus. Ruhenden Ungetümen gleich lagerten sie, ihre Buckel reckend bis in den Himmel hinein, ihre Pranken tunkten tief hinab in den Fluss; der wusch ihnen die Füsse und schäumte da und dort empor zu ihren Lenden, unruhig gemacht durch geheime Wirbel. War das noch derselbe Fluss, der immer so sanft, so ruhig dahinglitt, sein blaues Band geduldig schlängelnd im schmalen Flussbett? Hatte die Frühlingsnacht auch ihn aufgeweckt, ihn breiter schwellen lassen und höher? Es war etwas Seltsames um diese Nacht, sie stöberte manches auf.

      Dem Oberst kamen Gedanken an seine Leutnantszeit. In solchen Nächten pflegte man im Kasinogarten zu sitzen, eine Bowle zu brauen, die immer wieder aufgefüllt wurde, bis das erste Frührot durchs Dunkel der Büsche auf übernächtige Gesichter einen fahlen Schimmer warf und die Ordonnanzen kamen und die Windlichter verlöschten. Es waren in jenem Garten mächtige alte Kastanien, die ihre Zweige tief zur Erde senkten. Unter solch einer Kastanie, die wie ein Schirm gegen neugierige Blicke schützte, hatte er einmal bei einem Regimentsfest mit einer jungen Dame gestanden. Es war wohl auch Mai gewesen, Nachtigallen mochten auch gesungen haben, dessen erinnerte er sich nicht mehr — es war Abend. Lampions glimmten wie Glühwürmchen, fern wiegte Musik; er war verliebt, er hatte