Der einsame Mann. Clara Viebig. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Clara Viebig
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711466810
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Baron spaltete hinterm Haus Holz, das tat er seiner Gesundheit wegen, um nicht Fett anzusetzen; und auch der Ersparnis wegen. Er und die Maria kriegten die Klafter schon allein klein, man brauchte nicht Stundenlohn zu zahlen.

      Hilde Arndt sass am Nähtisch, heute hatte sie einen guten Tag, sie konnte etwas schaffen, und das machte sie froh. Sie fühlte sich überhaupt in letzter Zeit kräftiger, das verdankte sie allein der Maria. Wie die für sie sorgte! Am liebsten sollte sie gar nichts anfassen. Und immer willig war Maria, es wurde ihr nie etwas zuviel. Wenn dieses Mädchen nicht ins Haus gekommen wäre, wo wäre sie dann jetzt wohl —?! Eine grosse Dankbarkeit erhob sich in der Seele der Frau, denn, ach, eine Weile möchte sie doch noch leben, so lange noch, bis Hans-Helmut sein Studium hinter sich hatte, bis er eine Stellung bekleiden konnte, in der er vorwärts kam im Leben. Dann wusste sie ihn geborgen. Denn der Baron würde ja auch nicht ewig leben, wenn er auch viel gesünder, viel kräftiger war als sie. Sie waren beide schon alte Leute. Und wenn sie nun doch schon eher fort müsste —?!

      Die Tür öffnete sich leise, Hans-Helmut steckte den Kopf herein: »Bist du allein, Mutter?«

      Sie war erfreut. Sonst sass er meist oben in seinem Stübchen; wenn auch kein Ofen dort war, er behauptete, niemals zu frieren. Jetzt schlang er den Arm um sie und legte seine Wange an die ihre. Er war als Kind sehr zärtlich gewesen, jetzt war eine Zärtlichkeit seltener bei ihm, sie hatte sich darüber beklagt, aber der Oberst sagte, das läge in den Jahren, im Werden zum Mann.

      Die Mutter lächelte glücklich: wie lieb ihr Junge heut war!

      »Wenn du allein bist, bleibe ich bei dir.« Er holte sich einen Stuhl heran, und über den kleinen Nähtisch weg sah sie nah in sein geliebtes Gesicht. Das dünkte sie abgespannt. Die reine Stirn war bleich und ernsthaft, die dunkle Haarwelle, die über sie hineinhing, liess sie noch bleicher erscheinen. »Du lernst zuviel, mein Sohn. Immer sitzt du oben über deinen Büchern.«

      »Ich lerne nicht immer.«

      »Was tust du denn?«

      Er lächelte, ein zerstreutes, ein wenig abwesendes Lächeln, und zuckte die Achseln.

      Da lächelte sie auch: ach ja, er träumte. Träumte, wie man nur träumt in der Jugend; man macht Pläne, kühne Zukunftspläne, man baut Schlösser, die bis in die Wolken reichen. Sie beugte sich über den Nähtisch und strich ihm mit ihrer kühlen Hand die dunkle Strähne aus der Stirn. »Nicht lang mehr, mein Sohn, und du gehst fort von uns!«

      Der Gedanke daran machte sie bang erschauern, aber sie gab ihrer Stimme Festigkeit: »Nur noch ein Jahr Prima.«

      »Gott sei Dank!« sagte er mit einem Aufatmen. So aus dem tiefsten Innern kam das heraus, dass es klang wie ein Erlösungsseufzer.

      War er denn nicht gern auf der Schule? Er war doch so gut durch die Klassen gekommen? »Ich habe geglaubt, du gingest gern zur Schule,« sagte sie ganz kleinlaut.

      Er lachte kurz auf: »Das schon. Aber, Mutter, ich möchte heraus.« Er hob die Achseln und dehnte sich: »Heraus aus der Schule, heraus aus dem Ort, heraus aus dem Haus!«

      Aus dem Haus! Das durchfuhr sie wie ein Schmerz. Wie konnte er nur sagen: aus dem Haus? Dass er sich einmal heraussehnte, das begriff sie wohl, aber aus dem Haus — aus diesem Haus?! Ihre Augen blickten erschrocken.

      Er sah das und sagte schnell: »Ich sage damit ja nichts gegen dieses Haus — oh, ich liebe es mit seinen kleinen Zimmern, mit seinem Gärtchen. Ich werde immer Sehnsucht danach haben — und nach dir, Mutter, nach dir hier an deinem Nähtisch — aber ich muss wo anders hin. Hier in diesem Haus bin ich doch immer nur der Knabe, das kleine Kind.«

      »Mein Kind,« sagte sie leise und senkte den Kopf. Sie fühlte sich gekränkt. Aber sie überwand es; das war ja dumm von ihr, wie konnte sie es dem Sohn übelnehmen, dass die Freuden der Universität, die grössere Stadt, die goldene Freiheit ihn lockten? Und tapfer fing sie davon an und malte ihm das noch schöner aus, was ihr Mann ihr von seiner Studentenzeit erzählt hatte. Es war seine sorgloseste Zeit gewesen. Er war öfter einmal berauscht gewesen, berauscht von jungem Wein und junger Liebe, das hatte er ihr treulich gestanden. Ob Hans-Helmut auch berauscht sein würde? Berauscht, aber um Gotteswillen, nur nicht betrunken! »Du musst dich nie betrinken,« sagte sie eifrig. »Betrinken wie der alte Kaspers, das ist schrecklich. Er ist dann ein Tier, er lallt, er wankt, er liegt im Strassenschmutz. Wenn die Kaspers ihn aufhebt, will ihn nach Hause bringen, dann stösst er um sich und schlägt auf sie ein. Dass Maria darüber lachen kann, das begreife ich nicht. So etwas ist doch entsetzlich.«

      »Ich werde mich nicht betrinken, Mutter.«

      Nein, das glaubte sie auch nicht. Aber die Mädchen, wie würde es mit den Mädchen sein? Alle jungen Leute sollten doch irgend etwas mit einem Mädchen haben — ihr Hans-Helmut hatte keinen Vater mehr — sie hatte schon immer einmal mit ihm darüber sprechen wollen. Jetzt war vielleicht die rechte Stunde dazu. Zaghaft stammelte sie: »Du wirst dich vielleicht verlieben. Dein Vater war auch ein paarmal verliebt — oh, ich weiss es wohl, in Heidelberg, sie hiess Amalie Krauss — und in Bonn in ein Lieschen Lennertz. Verlieben, ja — aber du wirst nie etwas Unrechtes, Unreines tun, nicht wahr, mein Sohn? Es ängstigt mich. Augenblicke der Versuchung können kommen. Ich lebe hier so still, so weltfern, aber man weiss es doch, wie die Welt ist — versprich es mir, mein Kind, dass du rein bleibst, so rein, wie du jetzt vor mir sitzest, rein an Seele und Leib. Bleibe so, mein Sohn, bleibe so, damit ich ruhig sein kann, ruhig schlafen in den Nächten — und wenn ich vielleicht sterben müsste, dass ich ruhig sterben kann!«

      Ihre Stimme war drängender geworden, die eigenen Worte hatten sie erregt, ein flackerndes Rot brannte auf ihren Wangen, ihre Augen hingen an den Lippen des Sohnes. Es wurde ihr so schwer, über so etwas mit ihm zu sprechen, aber sie musste ja. »Hans-Helmut, versprich es mir!« Sie hielt ihre Hand hin: »Gib mir die Hand darauf!«

      Einen Augenblick zögerte er. Etwas in ihm wollte sich aufbäumen gegen dieses Versprechen: Unrechtes, Unreines?! Wünsche, Verlangen, Gedanken waren die schon unrecht, unrein —?! Und hastig, als wollte er sich vor sich selber schützen, legte er seine Hand in die Hand der Mutter: »Mutter, ja, ich verspreche es dir!«

      Sie lächelte glücklich — wie weich sein Gesicht jetzt auf einmal war, so kinderrein.

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