MUSIK-KONZEPTE 190: Giacomo Puccini. Группа авторов. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Группа авторов
Издательство: Bookwire
Серия: Musik-Konzepte
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783869168760
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bewegliche Barriere, wenngleich Interesse an alternativen Werkfassungen seitens der Opernhäuser durchaus existiert und immer programmbereichernd wirkt, wie die jüngsten Produktionen der vieraktigen Edgar-Fassung (Turin 2008, Regensburg 2018) oder der ›Uraufführungsfassung‹ der Madama Butterfly von 1904 belegen (Mailand 2016). Somit stehen sich – bedauerlicherweise – zwei Projekte zunehmend konkurrierend und mit unterschiedlichen Ausgangsvoraussetzungen gegenüber, wobei ihre jeweiligen Editionskriterien sich in Abhängigkeit zu den entsprechend verschieden gewichteten Interessensbereichen verhalten: von der auf 15 Jahre angelegten Critical Edition des Ricordi-Verlags liegen Ausgaben von Manon Lescaut (hrsg. von Roger Parker) sowie, unmittelbar bevorstehend wohl, von Edgar (hrsg. von Linda B. Fairtile) vor, dem, Verlagsangaben zufolge, bald eine fassungsreflektierende Ausgabe von Le Villi folgen soll. Im Sommer 2019 unterzeichnete Puccinis Traditionsverlag darüber hinaus mit der Fondazione Simonetta Puccini, also der Erbnehmerin der verstorbenen Enkelin, eine Kooperationsvereinbarung zur Autografennutzung. Somit steht zu befürchten, dass der ohnehin aufgrund noch bestehender Urheberrechte (vorzugsweise des Spätwerks) eingeschränkte Editionsplan der »Edizione Nazionale« des Carus-Verlags24 noch weiter ins Hintertreffen rückt und die besondere Qualität der bereits anhand der Instrumental- und Vokalkompositionen eindrücklich unter Beweis gestellten Editionen in absehbarer Zeit nicht auch auf die theatralischen Werke übertragen werden kann.

      Solcherart offene Themen bzw. ›blinde Flecken‹ der Forschung finden sich beispielsweise unter dem Personenkreis seiner Librettisten, allen voran des epocheprägenden Schaffens von Luigi Illica oder des vielbegabten, durch seine Verstrickungen und aktive kulturpolitische Beteiligung im italienischen Faschismus moralisch belasteten Giovacchino Forzano. Eine umfassend-fundierte wie kritische Aufarbeitung dieser wichtigen Akteure ist, obschon überfällig, wohl auch in absehbarer Zukunft selbst von italienischer Seite nicht in Sicht. In vielleicht etwas abgeschwächter Form gilt dies auch für noch manchen Zeitgenossen Puccinis unter den Komponisten, die mit der sogenannten »giovane scuola italiana« in Verbindung gebracht werden: Ruggero Leoncavallo, Pietro Mascagni, Alberto Franchetti, Umberto Giordano, Francesco Cilea und viele andere besitzen einen unterschiedlichen Qualitätsstand wissenschaftlicher Erschließung, deren Rekapitulation an dieser Stelle zu weit führen würde. Die Beschäftigungsbestrebungen mit diesen Komponisten leiden generell in und außerhalb der Forschung allzu oft unter dem Menetekel einer ästhetischen Zweit- oder Drittklassigkeit, das sich fatalerweise bestätigt findet in dem Fehlen entsprechender Werktitel in den aktuellen Programmen von Opernhäusern: Die Zeit hätte demnach ihr Urteil hinlänglich gesprochen. Eine von historischer Relevanz der Phänomene geleitete Annäherung bedeutet in solchen Fällen vor allem handwerkliches Kerngeschäft: die Erschließung von Wirkgraden musiktheatralischer Werke im Trockenraum wissenschaftlicher Reflexion, also jenseits der Lebendigkeit und ästhetischen Erfahrungsoptionen einer Opernaufführung. Einer Einstellung von Forschungswürdigkeit, die sich aber ausschließlich vom gegenwärtigen Bekanntheitsgrad historischer Akteure leiten lässt, wird es nicht gelingen, das Konkurrenz- und Abhängigkeitsgefüge jener Komponistengeneration zu rekonstruieren und die vielen biografischen, musikalischen und ästhetischen Querverbindungen innerhalb dieser Gruppe erklärlich zu machen, von der Puccini erst einmal nur ein Vertreter und bis 1893 noch längst nicht der bekannteste war. Damit wären besonders auch Komponisten der 1870er und 1880er Jahre vertiefend in den Blick zu nehmen, wie etwa ganz allgemein und unvollständig hier genannt: Amilcare Ponchielli, Filippo Marchetti, Antônio Carlos Gomes, Alfredo Catalani. Deren Werke und zeitbezogene Bedeutung für die italienische Operngeschichte wären auch innerhalb der gegenwärtigen und zukünftigen Forschung neu oder wieder neu zu lesen, um der immer schwelenden Gefahr eines bezogen auf den historischen Ereigniskontext unproportionalen Erkenntnisgewinns entgegenzuwirken.