MUSIK-KONZEPTE 190: Giacomo Puccini. Группа авторов. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Группа авторов
Издательство: Bookwire
Серия: Musik-Konzepte
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783869168760
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unvollständig, wenn nicht auf einen Bereich hingewiesen würde, der insbesondere im Kontext der deutschsprachigen Opernforschung noch nicht den Stellenwert an Selbstverständlichkeit erlangt hat, der ihm eigentlich innerhalb des wissenschaftlichen Reflexionsgeschäfts über das ästhetische Gesamtgefüge zustünde, das Oper darstellt. Was mit visueller Dimension angesprochen ist, bezeichnet umfassend und im theoretisch gleichberechtigten Sinne neben der auditiven Dimension einer Aufführung das Zusammenspiel aller optisch wahrnehmbaren theatralischen Wirkmittel: Bühnenbild samt Requisiten, Licht, Kostüm wie spezifische Körperlichkeit der Darsteller (Solisten, Chor, Komparserie usw.) und ihrer Bewegungen im Bühnenraum (bzw. die ›Personenregie‹). Auch wenn die (deutschsprachige) Erforschung historischer Szenenanweisungen im Zuge der Konsolidierung der Opernforschung als musikwissenschaftlicher Teildisziplin und im interdisziplinären Verwandtschaftsgefüge mit Theater-, Kunst-, Tanz- und Literaturwissenschaften zumeist im Kielwasser von Partitur- und vergleichender Szenenanalysen einen eher nebengeordneten Platz zugewiesen bekommt,16 besitzen die italienischen, französischen und anglo-amerikanischen Forschungskulturen bezogen auf diesen Aspekt historischer Szenografie weitaus länger schon mehr Sensibilität und partiell auch einen breiteren Wissensbestand. Vor allem basierend auf profunden Forschungen zur französischen Grand Opéra hat die Untersuchung des Verhältnisses von Musik und Szene für das 19. Jahrhundert, sowohl in notentextbezogener, musikdramaturgischer Perspektive wie auch mit Blick auf spezifische Theaterräume, Malerwerkstätten und Produktionsbedingungen, ihren unstrittigen Platz im opernhistorischen Themenspektrum erhalten und trägt außerhalb des Pariser Sonderstatus vorrangig anhand der Erforschung des Werks von Giuseppe Verdi und Richard Wagner reiche Früchte.17 Ohne Kenntnis dieses hier nur lose skizzierten Forschungspanoramas und ohne Rückbindung an die Empirie der so oft als Krisen- bzw. Transformationszeit der italienischen Oper beschworenen 1870er und 1880er Jahre kann der Frage nicht stichhaltig nachgegangen werden, auf welche Weise Puccini die visuelle Dimension einer Szene während des Kompositionsprozesses nicht nur vorab imaginierte und dann durch Musik determinierte, sondern auch, welchen Grad an Autorschaft ihm gar an manchen Bühnenraum-Dispositionen und Lichtdramaturgien18 seit seinem Durchbruch mit der Manon Lescaut von 1893 zufiel19. Puccini, der an den Probenprozessen nicht nur (fast) aller Uraufführungen, sondern auch zahlreicher Folgeproduktionen Teil oder Anteil nahm, verfeinerte sein inszenatorisches Gespür im Austausch vor allem mit dem Librettisten Luigi Illica. Ebenso wirkten seine Erfahrungen mit den hochprofessionellen Produktionsbedingungen in Paris (also im Zuge der französischen Erstaufführungen seiner Werke) wie auch seine persönlichen Erlebnisse mit der amerikanischen Theaterästhetik von David Belasco ganz entscheidend auf seine schöpferische Arbeit ein.20 Die von Michele Girardi herausgegebene und kommentierte Ausgabe des gedruckten Regiebuchs von Albert Carré (Livret de mise en scène) der ersten Pariser Butterfly-Produktion an der Opéra-Comique von 1906 macht eine wichtige Quelle innerhalb dieses sehr weiten und noch nicht abgeschlossenen Forschungsfeldes zur visuellen Dimension zugänglich. Es ist der erstveröffentlichte Band innerhalb einer Sektion der »Edizione Nazionale«, die den disposizioni sceniche vorbehalten ist.21 Sein ausführlicher Katalogteil, der auch auf die inzwischen digital (Open Access: https://www.archivioricordi.com/en) konsultierbaren Bestände des Ricordi-Verlagsarchivs (Mailänder Nationalbibliothek Braidense) rekurriert, macht eindrücklich bewusst, welch hohen Anteil bereits die Fotografie als Medium für den Herstellungsprozess der Bühnenausstattung (u. a. als Orientierungshilfe zur Darstellung realer Orte) sowie zur Dokumentation von Bühnenproduktionen einnahm. Im Zuge zukünftiger Aufarbeitung dieser visuellen Aspekte insbesondere anhand des Spätwerks von Puccini wird sich auch der Einsatz und Wandel neuer Medien22 wie dieser und der Grad ihrer Bedeutung für den Produktionsprozess von Oper genauer in den Griff nehmen lassen.

      III Ausblick: Problemkontexte und offene Themen