»Hör och!«
»Frau, wie gern hör ich. Aber reden Se was Lebendiges, nie wie de andern alle, die bloß de Zunge rühren.«
»Mei liebes Kind, ein reenes Glücke ist selten wie ne weiße Kuhe. Und denk och immer an eens: Der Herrgott betrügt sogar een Lumps seltner wie ein Bruder den andern. Und deine Seele is wie ein Sonntagskleed.«
»Ja, sei Bruder, aber ein Fremder!« entgegnete Marie, die den Sinn der seltsam verschnörkelten Weisheit ihrer Herrin nicht erfaßt hatte. »Ein Fremder? Is dir Exner ein Fremder? Marie, dann sag ich dir bloß was, geh und gib ihm das Wort zurücke ei seine Hand. Jetzunder is noch Zeit, dann is zu spät. Und was das is: zu spät, mei herze Marie, da kann ich och sagen, behüt dich Gott vor dem Schrecklichen.«
Frau Wende hielt inne, und ihr Atmen war schnell und kurz wie das der Kinder, die durch ein Finsteres gehen.
Als sie wieder zu sprechen begann, klang ihre Stimme trocken, abgehetzt. »Freilich, mit den versprochen Gewesenen ist's so eene Sache, 's is mit ihn wie mit der Henne, die auf'm obersten Sprossen steht. Will se weiter, da kann se bloß eis Nest, oder se muß a Stickel runtersteigen. Mach's, wie de willst, wirst'r gut betten, wirst du gut liegen. Aber laß das Gesinne sein. Mei Liebe, das Schicksal is uns auf den Leib gemessen. Was über uns nausgeht, macht bloß unzufrieden; aber 's hilft nischt.«
Dann stieg sie die Leiter hinauf und verschwand gebückt im Hühnerstall. Marie hob sich den Korb auf den Rücken und trug ihn ins Haus.
Lange, Tage und Nächte und wieder Tage und Nächte, versank ihre Seele in die Weisheit der Frau Wende. Es ward erst grau um sie, voll Nebel, und wenn in ihrer Erinnerung die Stimme der geprüften Herrin nicht gar so leibhaftig aufgeklungen wäre, so hätte Marie wohl glauben müssen, es sei alles ein unbegreiflicher Traum geworden. Wirr und doch eine unfaßbare Sicherheit stand es um sie. Es war, als schlafe ihre alte Seele langsam ein, und die alte Hoffnung verschwand mit ihr dahin, die brennenden Gedanken an ein herrisches Leben, an Fülle und Reichtum auf einem weiten Hofe neben einem schmucken Bauer. Aber merkwürdig, als diese süßen Stimmen nicht mehr um sie erklangen, ward sie von keinem peinigenden Schmerz heimgesucht. Kaum schauerte sie zusammen. Wie erlöst kam sie sich vor, denn nichts stand mehr hinter ihr und peitschte die Verirrte in solch unwürdige Ecken wie in der letzten Zeit. Die Bitterkeit fiel gemach von ihr. Ein weißes, stilles Licht ging aus ihrem Auge, die Nüchternheit ihrer Betrachtung tat ihr unendlich wohl nach der verzerrten Hitze.
Sie sah alle Menschen sich mühen, alle gebückt unter Lasten, in Armut und Qual oder in Wohlleben und Gram. Ihre Herrin mit dem zerbrochenen Leben war emsig, lachte, gebar Kinder und liebte sie, trug ein schweres Los und starb nicht. Und wenn sie hinging, die hohe, schmale Gestalt, mit dem blassen, gefalteten Gesicht und den stillen, weichen Augen, deren langsamer Ernst so seltsam mit der Hurtigkeit des ganzen Gebarens kontrastierte, dann hatte Marie oft das Gefühl, als siehe diese Frau in einem unsichtbaren Lichte, und es kam ihr das erstemal die Möglichkeit eines tiefen Segens bei verfehltem Leben. Diese Ahnung einer unerbittlich ausgleichenden Macht hinter der Stückhaftigkeit alles Daseins leitete sie zu der Erkenntnis zurück, daß doch Gott ihr Leben zu seiner Angelegenheit gemacht habe.
Da lag sie eine ganze Nacht in einer schmerzvollen Wollust, sie hatte seltsame Gesichte, und als sie am Morgen erwachte, lächelte sie in ruhiger Erfülltheit.
Ohne Sorgen begab sie sich an ihre Arbeit. Wohl stieg ein Bangen in ihr auf, was werden solle, wenn ihr Vertrauen sich nicht erfülle. Aber sie erinnerte sich an Gottes große Liebe und Macht und legte den Zweifel zu der unnützen Qual ihres beendeten Kampfes. Mit stetem Schritt und sicherem Auge ging sie und »folgte ihm nach«. Trotzdem trug sie die große Einsamkeit mit Gott verschlossen in ihrem Herzen, das sie auch nach der tiefgehenden Wandlung dem Lahmen nicht öffnete.
Sie schritt jetzt nur ruhiger neben ihm her, wenn sie sich trafen, und nahm alle seine Worte ernst und freundlich hin. Und sah er sie erstaunt von der Seite an, dann antwortete sie mit stillem Lächeln.
Obwohl er sich dieser Veränderung freute, so fühlte er doch eine Gedrücktheit ihr gegenüber. Durch die Härte war sie seinem gewaltsamen Wesen verständlicher, näher gewesen; die geduldige Milde machte sie ihm unbegreiflich.
Aber wenn er sie anblickte, erstarkte doch seine rauhe Seele. Denn dieses in sich verschlagene Mädchen, blasser und seiner als sonst, lockte mit ihren tiefen, stillen Augen gegen seinen Willen Worte aus seinem Munde, die er noch niemand gestanden hatte als der eigenen heimlichsten Stunde. Ihre ungewöhnliche Schönheit riß ihn über das Maß seiner Vorsätze hinaus, daß er ohne Scheu vor ihren Augen die Balken seiner gewalttätigen Pläne auseinanderfügte.
Immer nahm er sich vor, nicht zu sprechen; immer unterlag er, und nie genoß er die Sicherheit des Mitteilsamen, wenn er wieder von seiner Zukunft geredet hatte, denn nie gelang es ihm, die Glut in ihren Augen zu entzünden, die seine Seele erfüllte. Ein bitteres Lächeln, ein verlorenes Starren ins Weite, ein duldsamer Laut war alles, womit sie die Gebrochenheit an dem verriet, was der Lahme ersehnte.
Aber einmal wurden ihr des Klumpen Machtgelüste unerträglich.
»Karle, was willste denn?« fragte sie schneidend, »is draußen drinne?«
»Was denn drinne?« erwiderte er in leidenschaftlicher Roheit. »Freilich drinne! Alles will ich drinne haben. Achte müssen a mal of meiner Tenne dreschen; ein Hof wie der Freirichter; Kühe, Reihe um Reihe; Pferde wie de Bohlen, ich wer's euch schon... Das alles is ehe noch draußen; aber es soll mir drinne sein, da verlaß dich of mich.«
»Das denkste! Wer macht denn alles, he?«
»Ich, wer soll's denn machen?«
Das redeten sie im Anfange des Dezember, eines Sonntagnachmittags, miteinander, während sie auf einem einsamen Feldwege vor dem Wald des Rollenberges hin und her gingen. Es war trübe und feucht, ohne Schnee. Ein blasser Nebel stieg aus fernen Flußtälern und schwebte in der Höhe dahin. Hin und wieder, ganz in der Weite, tauchte das Schneegebirge auf, nur wie hingehaucht in ein milchweißes Licht, als dämmerten die Gestade jenes trostlosen Landes herüber, in dem nach katholischem Glauben die armen Seelen auf ihre Seligkeit warten müssen.
Marie blickte hinaus mit Augen, wie ein Mensch wohl sieht, der mit dem Stock Hieroglyphen in den Sand schreibt, die niemand deuten kann, kaum sein eigenes gefangenes Leben.
»Siehst du den Kirchturm da drüben?« fragte sie wie im Traum.
»Nee!« antwortete er mit absichtlicher Plumpheit.
»...und Bardorf dorte und Wirrwitz mit dem weißen Schlosse und Leschkowitz mit der Kirche und dem Pfar... weeßte, Leschkowitz?«
»Ach Marie«, antwortete er nach langem Hinsehn, »laß dich – Ja, das siehste? – Laß dich nich auslachen, das is doch nischt wie Gewölke.«
»Und doch is alles da, das große Bauern-Bardorf und Herrn-Wirrwitz und Leschkowitz mitsamt dem scheen Pfarr. Verstehste das? – Gefressen hab' ich das alles in mir und wieder ausgebrochen ein mich. Deswegen is bei mir drinne, aber wie ein Traum, der nie, nie war – weil – er war. Red' nie mehr davon, Karle, red' nie mehr von dem wie vorhin und ofte! Wir wern uns zwee Kühe kaufen und Schweine, meinetwegen auch een Ochsen, und halten, was wir haben. Das is alles. Nee, nee!«
Sie bewegte den Kopf, als schüttle sie endgültig etwas ab. Trotz der müden Worte trug ihr Gesicht den Ausdruck sicherer Überlegenheit. Sie ging aufrechter als sonst weiter und achtete lange des Klumpen nicht, der mit schwelender Seele neben ihr holperte, sie von Zeit zu Zeit verstohlen ansah und immer bitter in sich hineinredete: »Herrsche Prise, wart och!«
Endlich wandte das Mädchen das Auge auf ihn und sah, daß er ein bleiches, verwittertes Gesicht habe, gleich einem verwaschenen Stein. Sie hatten sich im Gehen gewendet, und Steindorf lag vor ihrer Stirn drunten in seiner flachen Mulde und blies aus kleinen Essen blasse Rauchfäden in das leere Geäst der Obstbäume.
»Ja, dort is 's Fuchsloch?« fragte Marie, um das peinliche Schweigen zu brechen, und wies nach rechts. Der Klumpen nickte schweigend. »Aber