Seitdem diese Verwandlung mit ihr vorgegangen war, verloren sich die Verdunkelungen des Kummers ganz aus Johanna. Ihre blauen Augen bekamen einen vertieften Glanz und gingen mit aufgelöstem Blick immer in unendliche Fernen, ohne jeden Harm, voll seligen Erwartens. Der Schimmer, der wohl in manchen finsteren Wochen erloschen schien, blühte voller um sie. Ihre Güte war sonst fast von unwirklicher Zartheit gewesen. Jetzt rückte diese vorherrschende Seite ihres Wesens immer weiter in mütterliche Sommersonne hinein. Und Andreas wurde bei dem Anblick seiner verwandelten Frau oft von Scheu und Zagen erfaßt, von einem fernen Glänzen überlichtet, wie in den Zeiten seiner ersten Liebe. Dann sprang er nicht wie sonst mitten im Aufladen vom Fuder, ließ nicht den Pflug auf der halben Furche stehen, um jäh auf seine Taumelbahn hinauszueilen. Er stahl sich heimlich wie ein Dieb in den Lärm bodenloser Wege. Er ging gleichsam nur noch auf den Zehen durch den Sumpf. Eine heimliche Furcht, von der er nie sprach, die er sich nie eingestand, hinderte ihn auch, wie sonst in voller Trunkenheit sein Haus wieder zu betreten, und wenn es nicht anders ging, schlief er in einem verborgenen Gehölz oder an einem abseitigen Hange erst seinen Rausch aus und begrüßte dann freundlich und aufgeräumt seine Frau, als kehre er von einem glücklich beendeten Geschäft zurück. Johanna gab ihm nie von der leisen Betrübnis zu schmecken, die dies Schleichen seiner Gier ihr verursachte. Sie zog ihn immer in den Schimmer ihrer Erwartung herein, in dem sie bis in die späte Nacht wie in einem Heiligenschein saß, schier endlos nähte und leise Lieder ihrer Kindheit sang.
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An einem Frühlingsabend, schon im tieferen Dämmern, als sich der letzte Lichtfunke von dem Turmknopf der Hemsterhuser Kirche matt ins Dunkel sinken ließ, standen in der Wohnstube des Brindeisenerhofes die alte Bäuerin, ihre erwachsene Tochter, jene, die am Sintlingerschen Hochzeitstage hatte mit schwerer Krankheit ringen müssen, und der kleine Peter, ein vierjähriger Knabe, der sehr späte Nachzügler der Brindeisenerschen Ehe, am Fenster und sahen schweigend zu, wie der, Abend aus den Tälern langsam an den Hügeln heraufkroch. Die Weiden und Eichen standen schon wie vergessene Heufuder grau und unförmig am Grenzwege drunten. Die Straße schwelte blaß und schien in dem ungewissen Lichte wie ein graues Band zu schwanken. Der Sintlingerhof lag bald auch im Dämmern. Eben wollte die Bäuerin diese kurze Ruhe- und Einkehrpause beenden und legte streichelnd ihre große Hand, schon halb zum Gehen gewendet, dem kleinen Peter auf den weißblonden Kopf, da flammte in dem anderen Fremdhofe drüben ein Licht auf, erlosch, kaum entzündet, zuckte wieder auf und verging abermals. »Das ist mir ein sauberer Anzünder«, sagte Frau Brindeisener lächelnd. »Wenn schon die Streichhölzer verhudelt sein müssen, so kann man sie doch gleich wegwerfen. Da erspart man sich die Müh', und es bleibt desto besser finster.« Aber endlich flammte das Licht sicher, doch nicht, um ruhig an einer Stelle zu stehen. Es begann zu jagen. Bald flackte es an dem einen Fenster auf, bald am andern, tauchte jetzt tiefer in die Stube hinein, lief an der ganzen Fensterreihe hin und schien sich dann wie im Kreise zu drehen. »Die Sintlingerschen sind schon komische Leute«, sagte die Tochter, denn sie meinte, es tanze jemand mit dem Lichte durch die Stube. Die Mutter erwiderte aber nichts mehr, sondern öffnete das Fenster und beugte sich lauschend hinaus. »Seid mal ganz stille«, sagte sie hastig. Man hörte einen Wagen eilig rasseln, das Klappern von Pferdehufen. Dann flog das Hoftor krachend auf, und ein Gefährt stürzte sich wie wahnsinnig den steilen Hügel herunter, stob in Karriere die Straße nach Hemsterhus und verschwand als brausender Schatten.
Die Bäuerin kam zögernd, in seltsamer Steifheit wieder zum Fenster herein, nickte bekümmert und setzte sich dann auf einen Stuhl, als seien ihr die Knie weich geworden, und sagte nach kurzem, starrem Sinnen, mit einer dunklen Stimme, mehr wie zu sich: »Da ist was nicht richtig drüben! – Na ja – freilich –« Und als sie wieder hinausblickte, wirbelte etwas wie ein rotes Kleid den Sintlingerhügel herunter, sprang quer über die Straße und keuchte mitten über die Felder auf den Brindeisenerhof zu. »Es ist ein Weibsbild von drüben«, sagte die Bäuerin und erhob sich. An der Stubentür traf sie mit der Magd zusammen, die atemlos und vielfach von Weinen geschüttelt meldete, daß ihre Frau die schwere Stunde habe. Der Sintlinger sei von Sinnen gekommen, zitternd an der Wand hingeschlagen und wie gehetzt aus dem Hofe über alle Berge geflohen, und die Frau bäte, ihr in der Not beizustehen. Frau Brindeisener schlug ohne Zögern und wortlos ein Tuch um den Kopf und folgte der eilig Davongehenden.
Die Tochter, ein lang aufgeschossenes, bleiches Wesen, und der kleine Peter blieben am offenen Fenster und horchten beklommen hinaus in die Nacht. Da war es dem Knaben nach langem, als pfeife jemand in der Ferne hoch und angstvoll, und er sah furchtsam auf seine Schwester, was das sei. Die aber schloß zitternd das Fenster und begann leise zu weinen.
Gegen Morgen wagte sich der von Mitleiden und Liebe davongetriebene Andreas nach Hause. Vorsichtig führte er das Pferd den Hügel hinauf; möglichst geräuschlos öffnete und schloß er das Tor. Doch beherrschte ihn immer noch eine derartige Aufregung, daß er nicht wagte, den herbeigeeilten alten Knecht nach dem Ergehen seiner Frau zu fragen. Er nahm ihm nur die Laterne aus der Hand und leuchtete über sein Gesicht. Da erkannte er aus dem schalkhaften, etwas spöttischen Schmunzeln des Dienstboten den glücklichen Ausgang der Gefahr, warf vor Freuden die Laterne aufs Pflaster, daß das Licht unter den klirrenden Glasscherben erlosch, und schlich behutsam dem Hause zu. Das Dunkel des Flures und der Wohnstube wogte von dem Sturm seines Gemütes um ihn, und jubelnd sagte er fortwährend zu sich: »Ein Sintlinger! Ein Sintlinger!« So kam er ins Schlafzimmer, das vom Licht der verhangenen Lampe wie von erschöpftem Zittern erfüllt war. Die Hebamme erhob sich von ihrem Stuhl im Dunkeln, wo sie geschlafen hatte, und bedeutete ihn durch hastige Gebärden, sich ruhig zu verhalten, da die junge Mutter im Schlaf liege. Denn sie erklärte sich die unsichere Haltung des Bauern und seine großen, leuchtenden Augen in dem blassen Gesicht falsch, trat geräuschlos auf ihn zu und tuschelte ihm ins Ohr, daß alles glücklich, wenn auch nicht leicht, überwunden sei. Mit einem Mädchen schere es sich eben wie mit einem Knaben. Die Hauptsache wäre, daß alles richtig sei, und sie gratuliere ihm zur ersten Vaterschaft. Nun verstand er, warum der alte Zenker, der Knecht, so spöttisch gelächelt hatte. Eine leise Enttäuschung kam in ihm auf. Er nickte der Hebamme stumm zu und hing seine Mütze an eine Stuhllehne. Dann stand er in schmerzlicher Unentschlossenheit da und wußte nicht, ob er hinausgehen oder dableiben sollte. Es fiel ihm ein, daß er die ganze Nacht herumkutschiert sei, hügelauf, hügelab, durch Dörfer, an Wäldern vorbei, lange öde Chausseen hin, in steinigen Hohlwegen, und das alles wegen eines Mädchens. Aber durch die Schatten seiner Bitternis sah er das wehe, bleiche Gesicht seines schönen Weibes, hörte ihr schmerzvolles Wimmern und wurde von barmherziger Liebe überwältigt. Er trat an ihr Bett und betrachtete die eingefallenen Züge der Erschöpften; aber auf das Wesen, das neben ihr lag, vermochte er keinen Blick zu werfen. Doch Johanna schlief nicht. Unter den Lidern hervor betrachtete sie ihren Mann, war wohl glücklich,