Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe). Jean Jacques Rousseau. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jean Jacques Rousseau
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788075837929
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lieber die Mittel zu lehren, wie man ihrer Herr werden kann?]. Ich glaubte, auf Ihrem Gesichte eine Seele abgeprägt zu sehen, wie sie der »einigen noth that. Es schien mir, daß meine Sinne edleren Gefühlskräften nur zum Organe dienten, und ich liebte an Ihnen weniger, was ich sah, als was ich in mir selbst zu fühlen glaubte. Es sind noch nicht zwei Monate, da glaubte ich noch, mich nicht getäuscht zu haben: die blinde Liebe, sagte ich mir, hatte Recht; wir waren für einander geschaffen; ich würde ihm gehören, wenn die menschliche Ordnung nicht die natürlichen Bezüge verstörte, und wenn es Menschen irgend vergönnt wäre, glücklich zu sein, so hätten wir es mit einander sein müssen.

      Unsere Gefühle waren uns gemein; sie würden mich irre gemacht haben, wenn ich sie allein gespürt hätte. Die Liebe, welche ich kennen gelernt habe, kann uur aus einem Passen für einander und aus Seelenübereinstimmung entstehen. Man liebt nicht, wenn man nicht geliebt wird, wenigstens nicht lange. Die unerwiederten Leidenschaften, durch welche, wie man sagt, so Viele unglücklich werden, gründen sich nur auf die Sinnlichkeit; wenn manche bis in die Seele eindringen, so geschieht es durch falsche Zusammenhänge, und man muß sich bald enttäuscht finden. Die sinnliche Liebe kann des Besitzes nicht entrathen, und erlöscht, wenn er erlangt ist. Die wahre Liebe kann des Herzens nicht entrathen, und dauert so lange als die Herzensbezüge, aus denen sie entstanden ist [Wenn diese Bezüge eingebildete sind, so dauert sie so lange, als die Täuschung, welche uns dieselben vorspiegelt]. So war die unsrige anfangs; so wird sie, hoffe ich, bis an unser Lebensende bleiben, sobald wir sie besser geregelt haben werden. Ich sah, ich fühlte, daß ich geliebt wurde, und daß es so sein mußte: der Mund war stumm, der Blick war befangen, aber das Herz machte sich verständlich. Wir erfuhren bald zwischen uns jenes unbeschreibliche Etwas, welches das Stillschweigen beredt macht, welches niedergeschlagenen Augen Sprache verleiht, welches eine kühne Schüchternheit zu Wege bringt, welches in der Furcht die Wünsche verräth und Alles sagt, was es nicht auszudrücken wagt.

      Ich fühlte mein Herz und hielt mich bei Ihrem ersten Worte für verloren. Ich merkte den Zwang, den Sie sich auflegten; ich billigte dies achtungsvolle Benehmen und gewann Sie deshalb nur noch lieber. Ich suchte Sie für Ihr peinliches und unerläßliches Schweigen zu entschädigen, ohne daß es meiner Unschuld etwas kostete; ich that meinem natürlichen Wesen Gewalt an, ahmte meiner Cousine nach, lachte und tollte wie sie, um zu ernsthaften Erklärungen zuvorzukommen und tausend kleine Liebkosungen unter dem Schutze dieser verstellten Lustigkeit durchzubringen. Ich wollte Ihnen Ihr gegenwärtiges Verhältniß so angenehm machen, daß die Furcht vor einer Veränderung desselben Ihre Zurückhaltung noch vermehren sollte. Alles dies gerieth mir schlecht; man geht nicht ungestraft aus seinem Wesen heraus. Ich Unsinnige! ich beschleunigte mein Verderben, anstatt ihm vorzubeugen, ich wendete Gift als Schutzmittel an, und was Sie zum Schweigen nöthigen sollte, war grade das, was Sie zum Reden brachte. Vergeblich, daß ich durch eine angenommene Kälte Sie unter vier Augen in Entfernung zu halten suchte; gerade der Zwang, den ich mir anthat, verrieth mich, Sie schrieben; anstatt Ihren ersten Brief ins Feuer zu werfen oder ihn meiner Mutter zu geben, unterstand ich mich ihn zu öffnen: dies war mein Verbrechen, alles Uebrige folgte mit Nothwendigkeit daraus. Ich wollte mich enthalten, diese verderblichen Briefe zu beantworten, die ich mich nicht enthalten konnte zu lesen. Dieser gräßliche Kampf griff meine Gesundheit an: ich sah den Abgrund, in den ich mich zu stürzen im Begriff war; mir graute vor mir selbst, und ich konnte mich nicht entschließen, Sie abreisen zu lassen. Ich verfiel in eine Art Verzweiflung; ich hätte lieber gemocht, daß Sie nicht mehr wären, als daß Sie nicht mein sein sollten: ich ging soweit, Ihren Tod zu wünschen, ja, ihn von Ihnen zu fordern. Der Himmel hat mein Herz gesehen: dieser schwere Kampf muß ein Paar Fehltritte wohl abkaufen.

      Als ich Sie bereit sah, mir zu gehorchen, mußte ich sprechen. Ich hatte von der Chaillot Aufschlüsse erhalten, denen infolge ich die Gefahr eines solchen Geständnisses noch deutlicher einsah. Die Liebe, die es mir ablockte, lehrte mich den Wirkungen desselben ausweichen. Sie waren meine letzte Zuflucht; ich hatte Vertrauen genug zu Ihnen, um Sie selbst gegen meine Schwachheit zu bewehren, ich hielt Sie für würdig mich zu retten, und ich habe nicht zu viel von Ihnen erwartet. Als ich Sie ein so theures Pfand in Ehren halten sah, erkannte ich, daß meine Leidenschaft mich nicht verblendet hatte über die Tugenden, die sie mich in Ihnen gewahren ließ. Ich gab mich mit um so größerer Zuversicht hin, als es mir schien, daß unsere Herzen sich einander genug wären. Sicher, in dem meinigen nur ehrbare Gefühle zu finden, genoß ich ohne Vorsicht die Annehmlichkeiten eines süßen Umganges. Ach, ich sah nicht, daß durch meine Nachlässigkeit das Uebel einwurzelte, und daß die Gewohnheit gefährlicher war als die Liebe. Gerührt von Ihrer Zurückhaltung, glaubte ich ohne Gefahr die meinige einschränken zu können; in der Unschuld meiner Wünsche dachte ich durch Liebkosungen, wie sie die Freundschaft bietet, in Ihnen nur die Tugend aufzumuntern. Ich erfuhr in dem Gebüsch von Clarens, daß ich zu sehr auf mich gerechnet hatte, und daß man den Sinnen nichts bewilligen muß, wenn man ihnen etwas verweigern will. Ein Augenblick, ein einziger Augenblick entzündete in mir eine Glut, die nichts löschen konnte, und wenn mein Wille noch widerstand, so war doch von Stund' an mein Herz verleitet.

      Sie theilten meine Verirrung: Ihr Brief machte mich zittern. Die Gefahr war doppelt; um mich vor Ihnen und vor mir selbst zu beschützen, mußte ich Sie entfernen. Dies war die letzte Anstrengung einer sterbenden Tugend. Durch Ihre Flucht vollendeten Sie Ihren Sieg, und sobald ich Sie nicht mehr sah, nahm mir die Sehnsucht auch das Bißchen Kraft, das ich noch hatte, Ihnen zu widerstehen.

      Mein Vater hatte, als er den Dienst verließ, Herrn von Wolmar mit nach Hause gebracht; er verdankte ihm seine Lebensrettung und war zwanzig Jahre eng mit ihm verbunden gewesen: das machte ihm diesen Freund so theuer, daß er sich nicht von ihm trennen konnte. Herr von Wolmar war schon bei vorgerückten Jahren, hatte aber, obwohl reich und von hoher Geburt, keine Frau gefunden, die ihm zusagte. Mein Vater hatte ihm von seiner Tochter erzählt, und dabei den Wunsch gehegt, seinen Freund zum Schwiegersohn zu haben; es kam darauf an, sie zu sehen und in dieser Absicht machten sie die Reise zusammen. Mein Schicksal wollte, daß ich Herrn von Wolmar gefiel, der nie zuvor geliebt hatte. Sie gaben sich im Geheimen das Wort, und da Herr von Wolmar viele Angelegenheiten an einem nordischen Hofe in Ordnung zu bringen hatte, wo sich seine Familie und sein Vermögen befand, so erbat er sich Zeit hierzu, nachdem er mit meinem Vater einig geworden war. Als er fort war, erklärte uns mein Vater, meiner Mutter und mir, daß er ihn mir zum Gatten bestimmte, und befahl mir in einem Tone, der mich bei meiner Schüchternheit nicht zur Widerrede kommen ließ, mich darauf gefaßt zu halten, ihm meine Hand zu reichen. Meine Mutter, welche die Neigung meines Herzens nur zu gut bemerkt hatte, und sich zu Ihnen von Natur hingezogen fühlte, versuchte mehrmals, seinen Entschluß wankend zu machen. Sie vorzuschlagen wagte sie nicht, sprach aber doch so von Ihnen, daß mein Vater Achtung für Sie gewann und Sie kennen zu lernen wünschte, aber die Eigenschaft, die Ihnen fehlte, machte ihn gleichgültig gegen alle, die Sie besaßen, und wenn er auch zugab, daß die Geburt diese nicht ersetzen könnte, behauptete er doch, daß sie allein ihnen Werth geben könnte.

      Die Unmöglichkeit, mein Glück zu erlangen, entzündete in mir ein Feuer, welches sie hätte auslöschen sollen. Ein schmeichelnder Wahn hielt mich in meiner Bekümmerniß aufrecht; mit ihm verlor ich die Kraft, sie auszuhalten. So lange mir noch einige Hoffnung geblieben war, Sie zu besitzen, würde ich vielleicht den Sieg über mich davon getragen haben; es würde mir weniger schwer gefallen sein, Ihnen mein Leben lang zu widerstehen, als Ihnen aus immer zu entsagen; und der bloße Gedanke an einen ewigen Kampf nahm mir den Muth zu kämpfen.

      Betrübniß und Liebe verzehrten wein Herz; ich fiel in eine Erschöpfung, die an meinen Briefen zu spüren war. Der, welchen Sie mir von Meillerie schrieben, setzte Allem die Krone auf; zu meinen eigenen Schmerzen kam hinzu, daß ich Ihre Verzweiflung fühlte. Ach! die schwächere Seele ist es immer, welche die Leiden aller beiden trägt, Ihr verwegener Vorschlag trieb meine Aengste auf's Aeußerste. Das Unglück meines Lebens stand fest: ich hatte nur die Wahl, ob ich es an das Unglück meiner Eltern oder an das Ihrige knüpfen wollte. Ich konnte den Gedanken dieses furchtbaren Entweder Oder nicht aushalten; alle Kräfte der Natur haben ihre Schranke, die meinigen waren durch so viele Aufregungen erschöpft. Ich wünschte das Leben los zu sein. Der Himmel schien sich meiner zu erbarmen, aber der grausame Tod verschonte mich, um mich zu verderben. Ich sah Sie, ich genas und ich ging unter.

      Wenn ich in meinen Fehltritten das