Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe). Jean Jacques Rousseau. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jean Jacques Rousseau
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788075837929
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sein konnte; ich unterlag aus Schwäche, nicht aus Irrthum: ich kann mich nicht damit entschuldigen, daß ich verblendet gewesen wäre. Es blieb mir keine Hoffnung; ich konnte nicht mehr anders als unglücklich sein. Unschuld und Liebe, beide waren mir gleich nothwendig; da ich sie nicht beide zugleich bewahren konnte, und da ich Ihre Verstörung sah, nahm ich nur auf Sie bei meiner Wahl Bedacht, und richtete mich zu Grunde, um Sie zu retten.

      Es ist aber nicht so leicht, als man denkt, der Tugend zu entsagen; sie quält Die, welche von ihr weichen, noch lange Zeit, und ihre Reize, welche die Wonne reiner Seelen sind, machen die vornehmste Marter des Bösen aus, der sie noch liebt, und ihrer nicht mehr genießen kann. Strafbar, ohne verderbt zu sein, konnte ich den Gewissensbissen nicht entrinnen, die meiner warteten; die Ehrbarkeit war mir theuer, selbst nachdem ich sie verloren hatte; meine Schande war mir deshalb, weil sie geheim war, nicht minder bitter, ja, wenn der ganze Erdkreis Zeuge davon gewesen wäre, hätte ich sie nicht stärker fühlen können. Ich tröstete mich in meinem Schmerze wie ein Verwundeter, der den kalten Brand fürchtet und daraus, daß er noch Schmerz fühlt, Hoffnung schöpft, geheilt zu werden.

      Indessen war mir dieser Zustand der Schmach unleidlich. Indem ich den Vorwurf ersticken wollte, ohne dem Verbrechen zu entsagen, begegnete mir, was jeder redlichen Seele begegnet, die sich verirrt, und sich in ihrer Verirrung gefällt. Eine neue Vorspiegelung, die ich mir machte, milderte die Bitterkeit der Reue; ich hoffte aus meinem Fehltritt selbst ein Mittel zu gewinnen, um ihn wieder gut zu machen, und ich entwarf den kühnen Plan, meinen Vater zu zwingen, daß er uns vereinige. Die erste Frucht unserer Liebe sollte das süße Band knüpfen; ich forderte sie vom Himmel als das Unterpfand meiner Rückkehr zur Tugend und unseres gemeinsamen Glückes; ich wünschte sie so sehr, als eine Andere an meiner Stelle sie vielleicht gefürchtet hätte. Die zärtliche Liebe, mit ihren Gaukeleien das murrende Gewissen besänftigend, tröstete mich über meine Schwachheit durch die Wirkung, welche ich mir davon versprach, und machte mir aus einer so lieben Erwartung den Reiz und die Hoffnung meines Lebens.

      Sobald sich sichtliche Merkmale meines Zustandes einstellen würden, hatte ich beschlossen, ihn in Gegenwart meiner Familie dem Herrn Perret [Dem Ortspfarrer.] frei und offen zu bekennen. Ich bin freilich furchtsam: ich fühlte, wie schwer es mir werden würde; aber die Ehre selbst spornte meinen Muth, und ich wollte lieber das eine Mal die Beschämung auf mich nehmen, die ich verdient hatte, als ewig die Schande im Grunde meines Herzens nähren. Ich wußte, daß mir mein Vater entweder den Tod oder meinen Geliebten geben würde; diese Ungewißheit hatte nichts Erschreckendes für mich, und auf eine oder die andere Weise erblickte ich in diesem Schritte das Ende aller meiner Leiden.

      Dies, mein lieber Freund, war das Geheimniß, welches ich Ihnen nicht entdecken wollte, und welches Sie mit so neugieriger Unruhe zu durchdringen suchten. Tausend Gründe nöthigten mich zu dieser Zurückhaltung einem so hitzigen Manne gegenüber, wie Sie sind, ohne zu rechnen, daß es nicht wohl gethan war, Ihrem rücksichtslosen Dringen einen neuen Vorwand zu liefern. Vor allen Dingen war es zweckmäßig, Sie von einem so gefahrvollen Auftritt entfernt zu halten, und ich wußte doch, daß Sie sich nie dazu verstanden haben würden, mich in einer solchen Gefahr allein zu lassen, wenn Sie darum gewußt hätten.

      Ach! auch diese süße Hoffnung trog mich. Der Himmel machte den verbrecherisch gefaßten Plan zu Schanden: ich verdiente nicht die Ehre, Mutter zu werden; meine Erwartung blieb unerfüllt, und es war mir versagt, meinen Fehltritt auf Kosten meines Rufes zu büßen. Sie haben erfahren [Dies läßt einen Brief vermuthen, den wir nicht haben.], welcher Zufall mit dem Keim, den ich in meinem Schoße trug, den letzten Grund meiner Hoffnungen zerstörte. Dieses Unglück traf mich gerade in der Zeit unserer Trennung, als hätte der Himmel damals alle Uebel auf mich häufen wollen, die ich verdient hatte, und alle Bande zu gleicher Zeit zerreißen, die zu unserer Vereinigung dienen konnten.

      Ihr Scheiden war das Ende meiner Verirrungen wie meiner Freuden: ich erkannte, aber zu spät, mit was für falschen Einbildungen ich mich hintergangen hatte. Ich erblickte mich so verächtlich, wie ich es war, und so unglücklich, wie ich es ewig sein mußte mit einer Liebe ohne Unschuld und mit Wünschen ohne Hoffnung, die ich nicht unterdrücken konnte. Tausend innere Vorwürfe peinigten mich; ich sah, wie eitel sie waren, und verbannte Betrachtungen, die nur schmerzten und nichts halfen; ich war es nicht mehr werth, daß ich an mich dachte, ich widmete mich ganz der Sorge um Sie. Ich hatte keine Ehre mehr als die Ihrige, keine Hoffnung weiter als Ihr Glück, und die Empfindungen, die mir von Ihnen kamen, waren die einzigen, denen ich noch zugänglich zu sein meinte.

      Die Liebe machte mich nicht blind gegen Ihre Fehler, aber sie machte sie mir lieb, und berückte mich darin so sehr, daß ich Sie weniger geliebt haben würde, wenn Sie vollkommner gewesen wären. Ich kannte Ihr Herz, Ihr aufbrausendes Wesen; ich wußte, daß Sie bei mehr Muth als ich, weniger Geduld hätten, und daß die Leiden, welche meine Seele drückten, die Ihrige in Verzweiflung gesetzt haben würden. Aus diesem Grunde verbarg ich Ihnen stets mit Sorgfalt, was mein Vater in Betreff meiner versprochen hatte, und bei unserer Trennung, weil ich von Milord Eduard's Eifer, Ihnen einen Weg zu bahnen, Vortheil ziehen und Ihnen selbst den gleichen einflößen wollte, schmeichelte ich Ihnen mit einer Hoffnung, die ich in der Thal nicht hegte. Noch mehr: da ich die Gefahr wußte, von der wir bedroht waren, wandte ich das einzige Vorsichtsmittel an, das uns dagegen verwahren konnte, und suchte, indem ich Ihnen, soweit es in meiner Macht stand, meine Freiheit verpfändete, Ihnen Vertrauen und mir Festigkeit durch ein Gelöbniß zu verschaffen, welches ich nicht würde zu brechen wagen, und welches Sie beruhigen konnte. Es war eine kindische Verpflichtung, ich gestehe es, und doch würde ich ihr niemals untreu geworden sein. Die Tugend ist unseren Herzen ein solches Bedürfniß, daß, wenn man einmal von der wahren gewichen ist, man sich dann eine eigene macht und vielleicht fester an ihr hält, weil sie selbstgewählt ist.

      Ich will Ihnen nicht alle die Gemüthsbewegungen schildern, die ich seit Ihrer Entfernung erlitt; die schlimmste von allen war die Furcht, vergessen zu werden. Der Aufenthalt, den Sie genommen hatten, machte mich zittern, Ihre Lebensart dort vermehrte meine Angst, ich glaubte Sie schon so tief gesunken, daß Sie nichts weiter als ein Weibernarr wären. Ein solcher Schimpf dünkte mir härter als alle meine Leiden; ich hätte Sie lieber unglücklich wissen mögen als verächtlich. An so viele Kümmernisse hatte ich mich gewöhnen müssen: das einzige, was ich nicht ertragen hätte, war, Sie ehrlos zu wissen.

      Ich wurde wegen einer Furcht, in der mich der Ton Ihrer Briefe zu bestärken anfing, beruhigt und zwar durch Etwas, das der Unruhe einer Andern die Krone aufgesetzt hätte. Ich meine die Ausschweifung, zu welcher Sie sich verleiten ließen, und deren schnelles und offenes Bekenntniß von allen Beweisen Ihrer Freimüthigkeit derjenige war, der mich am meisten gerührt hat. Ich kannte Sie zu gut, um nicht zu wissen, welche Ueberwindung Ihnen ein solches Bekenntniß kosten mußte, selbst dann, wenn ich Ihnen nicht mehr theuer gewesen wäre; ich sah, daß die Liebe allein, die Scham besiegend, es Ihnen hatte entreißen können. Ich schloß, daß ein so aufrichtiges Herz einer geheimen Untreue nicht fähig wäre; ich fand Ihr Unrecht nicht so groß als Ihr Bekenntniß verdienstlich, und indem ich Ihrer alten Versprechen gedachte, war ich auf immer von aller Eifersucht geheilt.

      Mein Freund, ich war deshalb nicht glücklicher: für eine Qual weniger entstanden unablässig tausend andere, und nie überzeugte ich mich mehr, wie unsinnig es ist, in Herzensverirrungen eine Ruhe zu suchen, welche uns ein sittliches Leben allein gewähren kann. Seit langer Zeit weinte ich im Stillen über den Zustand meiner guten Mutter, die an einem tödtlichen Zehrübel allmählig verging. Babi, der ich mich wegen der traurigen Folge jenes Falles hatte anvertrauen müssen, verrieth mich, und entdeckte ihr unsere Liebe und meinen Fehltritt. Kaum hatte ich mir meine Briefe von meiner Cousine zurückgeben lassen, so wurden sie aufgefunden. Der Beweis war überzeugend; der Schmerz hierüber nahm meiner Mutter den letzten Rest von Kraft, den ihr das Uebel noch gelassen hatte. Ich starb fast vor Reue zu ihren Füßen. Weit entfernt, mich dem Tode Preis zu geben, den ich verdient hatte, deckte sie meine Schande zu, und seufzte nur im Stillen. Sie selbst, von dem sie sich so grausam hintergangen sah, auch Sie konnte sie nicht hassen. Ich war Zeuge von der Wirkung, welche Ihr Brief auf ihr weiches, mitleidiges Herz hervorbrachte. Ach! sie wünschte Ihr und mein Glück. Sie machte mehr als einmal den Versuch .... Wozu eine Hoffnung zurückrufen, die auf immer begraben ist? Der Himmel hatte es anders verhängt. Sie beschloß ihre trübseligen Tage