Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe). Jean Jacques Rousseau. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jean Jacques Rousseau
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788075837929
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Tag zurück; denn ich bin zu eitel, um zu warten, bis ihn die Ungeduld ergreife, wieder hinüberzukommen, und habe ein zu gutes Auge, um mich in dieser Hinsicht zu täuschen.

      Versäume also nicht, ihn mir, sobald er wiederhergestellt sein wird, zu schicken, ich meine, ihn herreisen zu lassen, oder ich werde keinen Spaß verstehen. Du weißt, wie ich lache, wann ich weine und deshalb nicht weniger traurig bin, so lache ich auch, wann ich grolle und bin deshalb nicht weniger erzürnt. Wenn du recht artig bist und Alles recht hübsch machst, so verspreche ich, dir durch ihn ein nettes, kleines Geschenk zu schicken, das dir Vergnügen machen wird, und noch dazu sehr großes Vergnügen; aber wenn du wich schmachten lässest, so kriegst du Nichts, das sage ich dir.

      N. S. Apropos, sage mir doch, raucht unser Seemann? Flucht er? Trinkt er Branntwein? Trägt er einen großen Säbel? Hat er ein rechtes Flibustiergesicht? Mein Gott! was ich neugierig bin, zu sehen, wie man aussieht, wenn man von den Antipoden zurückkommt!

      Neunter Brief.

       Frau von Orbe an Frau von Wolmar.

       Inhaltsverzeichnis

      Da, Cousine, da schicke ich dir deinen Sklaven wieder. Ich habe ihn während dieser acht Tage zu dem meinigen gemacht, und er hat seine Ketten so gutwillig getragen, daß man sieht, er ist dazu geboren, Knecht zu sein. Du magst mir nur danken, daß ich ihn nicht noch acht Tage länger behalten habe: denn, mit deiner gütigen Erlaubniß, wenn ich hätte warten wollen, bis er sich bei mir zu langweilen anfinge, so würde ich ihn nicht so bald haben zurückschicken können. Ich habe ihn also ohne Bedenken hier behalten. Bedenken habe ich nur getragen, ihn in meinem Hause wohnen zu lassen. Ich habe manchmal jenen Stolz der Seele in mir gefühlt, welcher die sklavischen Anstandsgesetze verachtet, und welcher der Tugend so wohl ansteht. Ich bin bei dieser Gelegenheit ängstlicher gewesen, ich weiß selbst nicht warum: ich kann nur soviel für gewiß sagen, daß ich mehr Lust hätte, mir aus dieser Zurückhaltung einen Vorwurf, als ein Lob zu machen.

      Aber du, weißt du wohl, warum unser Freund hier so ruhig aushielt? Erstlich, er war bei mir, und ich denke doch, daß Das ein starker Grund ist, sich in Geduld zu schicken. Er ersparte mir viel Schererei, und diente mir in meinen Angelegenheiten; dabei kann sich ein Freund nicht langweilen. Ein dritter Punkt, den du schon errathen hast, wenn du dir's auch nicht merken lässest, ist der, daß er mit mir von dir sprach; und wenn wir die Zeit, welche dieses Geplauder wegnahm, von der, die, er hier zugebracht hat, abziehen wollten, so würdest du sehen, daß mir auf mein Theil sehr wenig übrig geblieben ist. Aber was für ein närrischer Einfall, von dir wegzugehen, um sich das Vergnügen zu verschaffen, von dir zu reden? Nun, nicht so närrisch als man denken sollte. Deine Gegenwart legt ihm Zwang auf; er muß beständig auf sich Acht haben; die geringste Indiscretion würde zu einem Verbrechen werden, und in solchen gefährlichen Momenten hört ein redliches Herz nichts als die Stimme der Pflicht; aber entfernt von dem Gegenstande, der einem theuer war, verstattet man sich zurückzudenken. Wenn man ein Gefühl erstickt, das strafbar geworden, warum sollte man sich einen Vorwurf daraus machen, daß man es gehabt hat, als es noch nicht strafbar war? Kann die süße Erinnerung an ein Glück, dessen Genuß erlaubt war, je verbrecherisch sein? Siehe, das ist, denke ich, eine Betrachtung, die für dich nicht passen würde, die er sich aber im Grunde erlauben kann. Er hat gleichsam die Laufbahn seiner alten Liebschaft noch einmal durchmessen; seine frühere Jugend hat sich in unseren Gesprächen abermals vor ihm aufgerollt; er machte mich zum zweiten Male zur Vertrauten aller seiner Herzensangelegenheiten; er rief sich jene glückliche Zeit zurück, wo es ihm vergönnt war, dich zu lieben: er führte mir vor die Seele das reizende Bild einer unschuldigen Flamme .... Ohne Zweifel hat er es verschönert.

      Er hat von seinem gegenwärtigen Zustande, in Bezug zu dir, wenig mit mir gesprochen, und was er mir in dieser Hinsicht sagte, hatte mehr von Achtung und Bewunderung, als von Liebe an sich: so sehe ich ihn denn weit beruhigter über sein eigenes Herz zurückkehren, als er hergekommen ist. Wohl nimmt man wahr, daß sich, sobald von dir die Rede ist, in diesem zu empfindsamen Herzen eine gewisse Wehmuth regt, der jedoch, nicht minder rührend, die Freundschaft, die jetzt allein darin herrschen darf, eine andere Farbe giebt: aber ich habe seit langer Zeit bemerkt, daß Niemand dich sehen oder an dich denken kann und kaltblütig bleiben, und wenn man zu dem allgemeinen Gefühle, welches dein Anblick erweckt, das süßere Gefühl hinzurechnet, welches ein unauslöschliches Andenken in ihm rege erhalten muß, so wird man finden, daß es auch bei der strengsten und reinsten Tugend schwer, vielleicht unmöglich für ihn sein muß, anders zu sein, als er ist. Ich habe ihn ausgeforscht, bin ihm aufmerksam gefolgt, habe ihn so genau beobachtet, als es mir möglich war: ich vermag nicht deutlich in seiner Seele zu lesen, vermag er es selbst doch nicht besser; aber dafür kann ich wenigstens einstehen, daß er das Gewicht deiner und seiner Pflichten vollkommen fühlt, und daß der Gedanke an Julie, als ein verächtliches und verderbtes Geschöpf, ihm nicht minder grauenvoll sein würde, als der Gedanke an seine eigene Vernichtung. Cousine, ich habe dir nur einen Rath zu geben, den bitte ich dich zu beachten: vermeide es, dich aus die Vergangenheit im Einzelnen einzulassen, und ich stehe dir für die Zukunft.

      Was die Auslieferung betrifft, die du gewünscht hast, so ist daran nicht zu denken. Nachdem ich alle ersinnlichen Gründe erschöpft hatte, habe ich ihn gebeten, ihm zugesetzt, ihn beschworen, ihn gescholten, ihn geküßt, ihn bei beiden Händen genommen, ja, hätte mich ihm zu Füßen geworfen, wenn er es zugelassen hätte; aber er hat mich nicht einmal anhören wollen, er ist in seinem Eigensinn und Zorn so weit gegangen, daß er schwor, er würde lieber darein willigen, dich nie mehr wiederzusehen, als sich dein Porträt nehmen zu lassen. Endlich, von Unwillen hingerissen, ließ er es mich auf seinem Herzen fühlen; da ist es, sagte er mit so bewegtem Tone, daß er kaum Athem hatte. Da ist dieses Bildniß, das einzige Gut, das mir noch geblieben ist, und das man mir nun auch mißgönnt. Seien Sie überzeugt, daß man es mir nur mit meinem Leben entreißen wird. Laß uns klug sein, Cousine, folge mir, und ihm das Porträt lassen. Was liegt im Grunde daran, wenn er es behält? Desto schlimmer für ihn, wenn er so eigensinnig darauf beharrt, es zu behalten.

      Nachdem er sein Herz recht ausgeschüttet und erleichtert hatte, schien er wieder ruhig genug, daß man über seine Angelegenheiten mit ihm reden konnte. Ich fand, daß Zeit und Ueberlegung ihn in seinen früheren Absichten nicht wankend gemacht hatten, und daß er seinen Ehrgeiz noch darauf beschränkt, sich Milord Eduard für immer anzuschließen. Ich konnte ein so ehrenwerthes, seinem Charakter angemessenes und der Erkenntlichkeit, die er jenem für beispiellose Wohlthaten schuldig ist, so entsprechendes Vorhaben nur billigen. Er hat mir gesagt, daß du derselben Ansicht wärest, daß aber Herr von Wolmar zu der Sache still geschwiegen hätte. Da ist mir nun ein Gedanke gekommen: das etwas seltsame Benehmen deines Mannes, im Vereine mit andern Anzeichen, bringt mich auf die Vermuthung, daß er im Stillen irgend eine Absicht mit unserm Freunde hat, die er noch nicht sagen will. Lassen wir ihn machen, und vertrauen wir seiner Einsicht und Klugheit. Sein ganzes Verhalten beweist hinlänglich, daß er, wenn anders meine Vermuthung richtig ist, nur etwas vor hat, das zum Vortheil Dessen, dem er so große Theilnahme schenkt, gereichen soll.

      Du hast sein Aussehen und seine Manieren nicht übel beschrieben, und es ist ein ganz günstiges Zeichen, daß du ihn genauer beobachtet hast, als ich es mir eingebildet hätte; aber findest du nicht, daß seine langen Leiden und das stete Gefühl derselben seinem Gesichte einen noch interessanteren Ausdruck gegeben haben, als es ehemals hatte? Trotzdem, was du mir über ihn schriebst, fürchtete ich jene manierirte Höflichkeit, jenes äffische Wesen an ihm zu finden, das man sich in Paris sonst unfehlbar zuzieht, wobei man unter all den Nichtigkeiten, mit denen man dort seinen müßigen Tag ausfüllt, dahin kommt, daß man auf diese oder jene äußerliche Form den größten Werth lege. Sei es, daß dieser Firniß auf gewissen Seelen nicht haftet, sei es, daß die Seeluft ihn gänzlich hinweggenommen hat, ich habe nicht die mindeste Spur davon bemerkt, und in aller Zuvorkommenheit, welche er gegen mich zeigte, habe ich nichts entdecken können, als den Wunsch sein Herz zu befriedigen. Er sprach mit mir von meinem armen Manne, aber er wollte lieber mit mir um ihn weinen, als mich trösten, und hat mir nichts von galanten Maximen bei dieser Gelegenheit aufgetischt. Er tändelte mit meiner Tochter, aber, anstatt in meine Bewunderung des Kindes einzustimmen, hielt er mir, wie du,