»Hast du nicht? Ja, richtig!«
»Ich bin durchgegangen!«
»Aber Rosmarie!« entsetzt sich der Fürst. »Was überkommt dich mit einem Male! Ich bitte dich!«
»Ich will auch einmal selbständig handeln! Und Harro wird schon nicht böse sein. Komm Vater, laß dir erzählen...«
»Das Durchgehen scheint bei dir periodisch geschehen zu müssen. Ich bin aber doch nicht ohne Sorge, wie Harro es aufnimmt.«
»Höre, wie ich's angefangen. Ich habe gestern den Entschluß gefaßt. Lisa fand das Kursbuch und studierte darin ohne Erfolg, bis wir zu Märt gingen. In Thorstein kann man nichts ohne Märt machen. Ich sagte ihm, es gälte eine Überraschung für den Herrn. Dann telephonierte ich an die Stallwache in Brauneck und bestellte mir einen Wagen an den Schloßberg. In meinem Leben bin ich nicht so früh aufgestanden! Es war rabenschwarze Nacht. Märt trug das Gepäck und ein Laternchen, so gingen wir den Schloßberg hinunter. Der Wind seufzte in der Reiherhalde, und Lisa weiß, daß es da spukt, und fürchtete sich sehr. Ein paar von den Reihern, die bleiben ja im Winter da, so hörten wir die sonderbaren Schreie. Märt stapfte voraus, als könnte es gar nichts Einfacheres geben als den Weg durch Schneewehen und Blätterhaufen, und sein breiter Rücken sah sehr trostreich aus. Und wie froh waren wir, als wir die Lichter des Wagens sahen. Von da an ging alles glatt.«
»Und Harro weiß, daß du angekommen bist?«
»Gewiß! Und keine solche Sorgenstirne, Vater! Wenn ich komme und du mich wieder hast!«
»Liebe Rosmarie, du würdest mich doch verbinden, wenn du mir endlich mitteilen wolltest, warum du eine so plötzliche Reise, zu Fuß und durch die Nacht, für nötig befunden hast!«
»Liebster Vater, auch Traumliesen wie ich können einmal energisch werden. Ich bin aufgewacht aus sieben Träumen, und von Schwanenjungfrauen habe ich nun genug und übergenug gehört. Harro hat dir ein Wort gegeben.«
»Er hat es dir also gesagt!«
»Ich quälte ihn so lange darum, bis ich es erfuhr. Ich kann nun nicht mehr über mich verhandeln lassen, als ob ich ewig ein unmündiges Kind bleiben müsse! Harro weiß von dem, was ich tue, nichts. Du mußt ihn von seinem Wort erlösen, Vater!«
»Ich habe ihn schon an deinem Hochzeitstage davon frei gemacht – er wollte nichts hören. Die Gründe wirst du nun auch wissen. Aber Rosmarie, es handelt sich doch nicht nur um euch allein! Um die Zukunft eures Hauses handelt es sich. Du hast im letzten Jahre einen heftigen Sturm durchgemacht, ob du wirklich schon imstande sein wirst, ein gesundes und kräftiges Kind zu haben... Rosmarie, du bist meine einzige Hoffnung! Wenn mir auch diese noch aus der Hand genommen wird, so weiß ich gar nicht, wofür ich gelebt habe!«
»O Vater, laß mich alles wissen... versuch's doch mit mir!«
»Du sollst es wissen, Rosmarie... Ich kann ja keine Hoffnung mehr haben, eigene Kinder zu bekommen. Zu Zeiten ist mir's, als ob ich noch unglücklicher sein würde, wenn meine Wünsche in Erfüllung gegangen wären. Aber dann ist's mir doch, als sei mir die Axt an die Wurzel gelegt. Meine Lebensarbeit ist umsonst gewesen. Ich habe vieles angefangen, was sich in dreißig, fünfzig Jahren als nützlich erweisen kann. Ich habe Altes erhalten, weil in alten Dingen, wenn sie auch nur noch Pietätswert haben, doch ein Segen liegt. So haben's mein Großvater und Vater auch gemacht. Wir müssen für den Enkel leben. Wir sind doch nur Glieder einer Kette, ist ein einziges Glied morsch geworden, so ist der Kontakt zerrissen. Eine Generation zerstört, was zehn aufgebaut. Und die Zeit reißt mächtig an der alten Kette!
Aber nun denke dir, Rosmarie, wie ich nun so allein dastehe, – ich habe versucht, mich mit dem Gedanken abzufinden. Ich kann dir ja noch ein schönes Erbteil herauswirtschaften, ohne dem Nachfolger zu schaden, – aber ist das ein Lebensinhalt?«
»Vater. Harro will doch gar nicht –«
»Ich weiß. Aber es kommt auch das Verpflichtende, das auf uns, die wir Erben sind, ruht. Das hat ihn mir so wert gemacht, Rosmarie. Sein Erbteil waren ein paar zusammengefallene Mauern und ein alter Name! Wie treu hat er sich verpflichtet gefühlt! Und weil der Mensch doch nicht ohne Hoffnung leben kann, habe ich nun angefangen, in Harros Familienpapieren zu stöbern. Zum Glück führte der alte Herr die wichtigsten Dinge in einer eisernen Kiste bei sich, so daß die wenigstens gerettet wurden. Einen gelehrten Herrn in Leipzig, der sich mit derlei befaßt, habe ich konsultiert. Ich habe S. M. sondieren lassen. Du verstehst mich doch, Rosmarie.«
»Leider durchaus nicht, Vater. Es schwirrt mir im Kopfe von eisernen Kisten und Herren aus Leipzig. Du weißt ja, wie töricht ich bin!« Der Fürst ergriff ihre Hand und sah sie mit seinen schönen dunkeln Augen an, wie er noch nie auf sie gesehen hatte, mit einer anklopfenden, fast stürmischen Sehnsucht.
»Rosmarie, wenn deine Söhne Herren von Brauneck würden!«
Eine glühende Röte ergießt sich über ihre Wangen, ihre Brust weitet sich, wie die Augen so klar und tief zu ihr aufleuchten. Es war ihr, als stehe sie auf einem Berge und sähe in wallende Nebel hinein, und ein blitzender Sonnenstrahl zerrisse sie und zeige ihr aus seinem grünen Mantel aufsteigend das silberne Band des Flusses um die Hüften der Bergzüge von Brauneck, die Türme, und in all den vielen Fenstern läge die Sonne wie ein goldenes Feuer.
»Es ist noch sehr weit bis dahin, Rosmarie! Ich müßte noch zwanzig Lebensjahre sicher haben, um es dir versprechen zu können. Und an irgend welcher Klausel kann alles noch scheitern. Es spielt auch Persönliches mit. Große und schwere Opfer müssen gebracht werden. Ein Faulpolster würde deinen Söhnen die Braunecker Herrschaft nicht werden, alles werde ich nicht erhalten können. Die Herren Vettern, die zwei letzten, in Böhmen, müssen abgefunden werden. Der eine hat es zum Glück schon selbst besorgt, indem er eine so wenig standesgemäße Heirat gemacht hat, daß die Hausgesetze ihn jetzt schon ausschließen. Und der andere... ein Genußmensch ... ein sehr lockerer Herr. Je länger ich lebe, je eher wird er zu einem Vergleich bereit sein.
Aber ich muß kräftige Enkel haben, die nicht schon von vorneherein im Kampf mit dem Leben behindert sind.
Und gerade der Älteste...
Man wird mich einen Phantasten schelten, der verwirft, was er hat, und alles in einem Wechsel auf die Zukunft anlegt. Es kostet Opfer, Rosmarie. Palais Brauneck werde ich verkaufen, sein Wert hat sich verdreißigfacht. Mein Vater kaufte es mir, er wollte nicht, daß ich mich zu früh in Brauneck einspinne. Er wünschte, ich solle tätigen Anteil nehmen am Leben des deutschen Volkes und nicht immer rückwärts sehen...«
»Ist das nicht furchtbar hart für Mama?« seufzte Rosmarie, »wenn sie nun in Brauneck bleiben soll, immer, und für etwas Opfer bringen, was sie im tiefsten Grunde verletzen muß?« »Rosmarie, ich binde dir die Sache aufs Herz, es ist dein tiefstes Geheimnis. Nicht einmal dein Mann soll es wissen. Sei treu, Rosmarie!
Sieh, Rosmarie, ich habe mich abzufinden gesucht mit meinem Schicksal. Ich habe mir die Herren Vettern angesehen. Eine Generation zerstört, was so viele Generationen geschaffen. Diese Genußmenschen... Eine peinliche Unruhe befiel mich. Als ob mich die alten Herren in der Braunecker Gruft einmal nicht ruhig neben sich schlafen ließen. Daß ich müßte spuken gehen in dem verlassenen und verdorbenen Brauneck.
Und du schweigst, Rosmarie!«
»Ich werde schweigen, Vater. Ich bin doch auch eine Brauneck!«
»Das mußt du nun erst beweisen, Rosmarie, Braunecksche Art kommt langsam aus dem Menschen heraus.«
Rosmarie hat nicht sehr nach Hause geeilt. Aus dem Palais Brauneck zwar vertrieb sie bald der dort herrschende Eiswind; es war ihr noch gelungen, in einem heimlichen Stelldichein mit ihrem Vater einen schönen Vormittag am einsamen, vereisten Sakrower See zuzubringen. Aber dann war sie zu Tante Helen geeilt, die durch ihren Unfall so sehr in ihrem Behagen gestört war.
Die Dame war rührend glücklich über ihr Kommen und versteht sie von Tag zu Tag festzuhalten. Und endlich händigt sie ihr auch den längst und