Rosmarie, du bist lieb gegen sie; ich freue mich so, unbändig freu ich mich.«
»Harro, werden sie nicht sehr böse sein?«
»Ach, du kennst die Art von böse nicht. Wütend wird sie sein, die Uli, die alte! Es macht sich aber sehr nett, wenn du sie ein wenig fürchtest, das schmeichelt ihnen.«
Und Harro verschwindet in sein Atelier durch den Gang, der es mit dem Haus verbindet. Rosmarie wartet auf ihn in dem Schmollwinkel, wo all ihre gestickten Bilder sie von den Wänden ansehen ... Und es ist sehr schwer zu glauben, daß sie nun hierher gehört. Es ist alles sehr schön, und an den leuchtenden Farben dort hängt viel heimliches Herzweh.
Sie weiß nicht recht, soll sie sich in das Musikzimmer, das allerdings, um seine Bestimmung erfüllt zu sehen, auf musikalische Gäste wartet, hineintrauen, oder ins Eßzimmer, oder in ihr eigenes Schlafzimmer. Lisa wird noch nicht da sein.
»Ich wollte, sie wäre da, dann hätte ich doch ein Stück von Brauneck.«
Und sie erschrickt beinah. Wie sie sich nach der Lisa sehnt. – Es ist eben doch nicht so leicht, von einem alten Leben in ein neues zu treten. Und wenn's der Himmel wäre!
Vielleicht fehlen einem da auch alte Schmerzen, denkt das Kind von Brauneck.
Und Harro findet sie auf der Schwelle des Eßzimmers, als wüßte sie nicht recht, wohin mit sich. Er hat sich schön gemacht. Hat einen blauen Samtkittel an und einen weichen liegenden Kragen, aus dem sein schöner kräftiger Hals so ganz anders aufsteigt als aus den steifen Röhren, kurze Beinkleider und statt der Weste eine breite schwarzseidene Schärpe.
»Das wird die Tanten noch besonders angreifen,« verspricht er. Rosmarie bewundert ihn sehr. Wenn er da ist, schwindet das Gefühl der Fremdheit. Seine starke, kräftige, lebendige Persönlichkeit erfüllt die Räume und macht sie heimatlicher.
Und sie gehen durch die Räume, die sein Riesenfleiß geschmückt hat. An vielen Orten ist seine Hand, überall sein Geist. An den Schnitzereien der Türen, an den Friesen, den Leuchtkörpern sind die Erinnerungen an die gemeinsamen Freuden.
Über dem Flügel als Leuchtkörper hängt Rosmaries blaues Männlein vom Schloß Schweigen und hält mit scherzhafter Warnung den Finger an die Lippen. Im Schlafzimmer ist an der Schranktüre der Herr Wurmhaber geschnitzt als Zwerg, mit einem goldenen Schuh sich schleppend.
»Rosmarie, nun, das meiste ist ja geworden – manchem sieht man vielleicht die Eile an.«
»Nur du, Harro!«
»Aber Liebste, es fehlt doch etwas. Irgend etwas!«
»Vielleicht, daß keine alten Sachen da sind! Aber auch die alten Sachen sind einmal neu gewesen.«
»Es fehlt etwas, das bei euch in Brauneck im Überfluß vorhanden ist. Sollte ich die Dinge doch nicht recht zusammengestimmt haben?«
»Nein, Harro, ich glaube es nicht... Aber können nicht auch Häuser Seelen haben?«
»Ich weiß nicht. Wenn aber je ein Haus aus heißen Mühen und manchmal schier verzweifeltem Ringen und Entbehrungen und Arbeitsqualen entstanden ist, so ist es dies, und danach dürfte es wohl eine Seele haben.«
»Es hat eine Seele. Aber sie ist vielleicht noch jung, Harro. Bedenke, wie alt die Hausseele in Brauneck ist. Was da alles an den Wänden hängt.«
Durch das offene Fenster dringt plötzlich eine tiefe Stimme:
»Und ich sage ihm, daß er ein Kapitalesel ist und nicht weiß, wo er seinen Kopf hat, und uns seit einer halben Stunde in der Irre fährt. Wenn der Fürst noch mehr solche Trottel hat...«
»Die Tanten,« ruft Harro entzückt. »Komm mit, Rosmarie.«
Hand in Hand laufen sie hinaus. Harro dreht im Vorübergehen das elektrische Licht an, daß der Schloßhof mit einem Schlage in blendendem Lichte erstrahlt. Da steht vor der Pforte Tante Ulrike schwarz und lang und schwingt einen Regenschirm gegen einen ganz zusammengedrückten Braunecker Lakaien, der am Schlag steht.
»Tante Ulrike, wie schön, daß du kommst. Es ist ganz recht so. Tante Marga, du steigst doch aus?«
Und er hatte sie schon herausgezogen, den Schlag zugeworfen, der Lakai war mit affenartiger Geschwindigkeit auf den Bock geklettert und der Wagen rollte davon.
»Halt, halt!« rief Tante Ulrike mit tiefster Stimme. »Er fährt fort, er fährt wahrhaftig fort. Ja, mein Sohn, und du grinsest! Solltest du...?« Und eine energische Hand im schwarzwollenen Handschuh griff in die Luft, denn Rosmaries weiße Hände halten sie umklammert.
»O bitte, liebe Tante Ulrike, sei nicht böse! Er wollte Euch so gern haben.«
»Wollte er? Ha, nun ist er gestraft. Einen Streich wollte er verüben – irgend etwas hatte er mit dieser konfiszierten Lakaienseele ausgeheckt – und das Schicksal nimmt ihn beim Wickel und führt ihm an seinem Hochzeitsabend zwei alte Tanten ins Haus. Das nennt man Gerechtigkeit. Was sagst du dazu. Marga?«
»Daß wir nun da sind. Wenn es in diesem Kunstgebäude so etwas wie Gastbetten gibt, so soll er uns die weisen, daß wir drin verschwinden,« seufzte Tante Marga. »Unser Gepäck ist zwar auf dem Kupferberger Bahnhof.«
»O liebe Tante Marga, komm mit mir herauf in die Tantenstube,« bittet Rosmarie, denn an Tante Ulrike wagt sie sich noch nicht.
»So Harro. Und ist das jetzt deine Kunst- und Zimmermalermontur! Sieh ihn an, Marga! Der Mensch hat eine Schärpe an wie ein Frauenzimmer und schämt sich nicht. Künstlerlocken wirst du dir wohl auch wachsen lassen.«
»O das wäre ganz schön,« sagt Rosmarie, »er läßt sie immer abscheren, wenn sie anfangen hübsch zu werden.«
»Na, na, junge Frau,« brummte Tante Ulrike, »er wird wohl hier alles durchsetzen. Aber ich kann nur herzlich sagen: den Erfolg von seinem heutigen Streich gönne ich ihm. Natürlich wünschest du, Harro, daß deine Tanten mit dir und deiner jungen Frau zu Nacht essen! An deinem Hochzeitsabend kannst du gar keinen innigeren Wunsch haben! Und nun, mein Sohn, sage ich dir: Wir werden uns nicht zieren, wir werden es tun!«
»Liebe Tanten, es freut uns ja so sehr,« bat und schmeichele Rosmarie.
Harro konnte kein Wort sagen. Er tanzte in auffälliger Weise herum, und plötzlich übermannte es ihn doch und er brach in ein dröhnendes Gelächter aus. Das nahm der Bergfried auf und widerhallte es, und der Brunnen machte eine wunderliche Reihenfolge von Tönen daraus.
Und Rosmarie lachte auch: »Harro, dein Bergfried kann lachen... O wie freu ich mich. Kommt, liebe Tanten.«
Ulrike folgte grollend wie ein fern abziehendes Gewitter. In der Empfangshalle erstrahlt im brennendsten goldenen Feuer die Mosaikbekleidung.
Tante Ulrike deutet nur stumm mit dem Regenschirm darauf: »Heidnisch!«
»Byzantinisch – altchristlich, Tante Uli.«
»Was hast du mit Byzantinern zu tun? Es muß eine betrübte Rasse gewesen sein!«
»Darf ich euch jetzt ins Tantenzimmer führen?«
»O ja, wir sind recht begierig. Auch byzantinisch?«
»Nein, gut Thorsteinisch.«
Rosmarie eilt voraus die schön gewundene Treppe hinauf in den Giebelstock, wo sich das sehr große dreifenstrige Zimmer befindet. Links und rechts je ein Anbau, durch eine leichte Rollwand abschließbar für die breiten, gastlich aufgedeckten Betten. Der Tanten Toilettengegenstände schon aufgelegt. Ein großer Rosenstrauß auf dem blanken Tische.
Marga