»Durchlaucht werden wieder ganz gesund, sagt Herr Professor. Es ist ja keine Krankheit gewesen, bei der das Übel im Blut liegt oder ein Organ sich schlimm verändert hat. Darum ist doch alles schon geheilt.«
»Ja, aber ein Unterschied ist da, Schwester Johanna, ein sehr großer Unterschied. Sehen Sie, vorher in all den letzten drei Jahren hatte ich überhaupt kein Herz, das heißt, wenn ich sehr erregt war, da fühlte ich etwas klopfen, aber sonst, da tat es seine Arbeit, ohne daß ich etwas davon merkte. Wie all die merkwürdigen Dinge, die man im Körper hat und die mein Mann auf großen, sonderbaren Karten gemalt hatte. Sehr viel sonderbare Dinge sind's. Die fühlt man doch auch nicht. Aber das ist nun so ganz anders... so ganz anders. Ich habe immer ein Herz. Keine Sekunde, in der ich es nicht hatte. Es tut seine Arbeit nicht mehr gerne. Es nimmt einen Anlauf und hat einen guten Willen, und ich nicke ihm zu und denke, nun strengt es sich an und will seine Sache gut machen, und dann lahmt es wieder und gibt sein Geschäft überhaupt auf. Das ist sehr hart, und es muß doch wieder noch eine Weile... so widerwillig es ist. Liebe Schwester Johanna, kann man das wohl sehr lange aushalten? Diesen Handel mit seinem Herzen?«
Schwester Johanna sieht eifrig auf ihre Häkelarbeit. Ach, sie ist so betrübt, sie hat Mühe, ihre Tränen zu verbergen, und ist doch alles gewöhnt in ihrem weißen Hause in Würzburg.
»Das ist, weil Durchlaucht noch müde sind. Noch angegriffen von dem schweren Leiden. Durchlaucht sehen schon ganz anders aus. Nach so schweren Operationen sind manche Kranke heruntergekommen wie ein Schatten, und in einem halben Jahr kennt sie keiner wieder.«
»Was ist eine Woche. Ach, ich meine, es seien Monate, seit ich auf der Sommerwiese ging und... Glauben Sie, daß das Herz später einen Gang erlaubt?«
»Oh, einen kleinen Gang.«
»Sie wissen, daß es nicht erlaubt ist, daß ich mich allein aufrichte. Es tyrannisiert mich fürchterlich, Schwester Johanna. Wir vertragen uns sehr schlecht, mein Herz und ich. Tue ich ihm nicht jeden Willen, so kündigt es mir: Ich arbeite nichts mehr, dann sieh, wie du auskommst. Natürlich gebe ich nach.«
»Wenn Durchlaucht ganz ruhig liegen. Die Arme so, wie der Herr Professor es wünscht.«
»Und Schwester Johanna, wenn ich nun wirklich so still liege ... und mich um es kümmere und es in guter Laune zu halten versuche ... Das kann doch nicht immer so bleiben. Ich bin zweiundzwanzig Jahre alt. Ich kann doch nicht von jetzt ab ein ganzes Leben unbeweglich auf dem Rücken liegen und hinausstarren. Und das Himmelsstückchen? Und meine Arme so halten wie der Herr Professor es wünscht.«
»Durchlaucht werden auf die Terrasse getragen. Jeden Tag kommt es ein wenig besser. Durchlaucht werden daran denken, wie es allmählich immer besser wird.«
»Wird es das?«
»Nach sechs Tagen, Durchlaucht! Wenn manche nach sechs Wochen noch nicht so weit sind, wie Sie jetzt!«
Am nächsten Tag im Schmollzimmer auf der Chaiselongue, die quer an der offenen Glastüre steht, ist es schon besser. Der Fürst sitzt neben ihr mit dem wundervollen Rosenstrauß, den er gebracht hat. Klein Heinz spielt auf der Veranda mit seinen ersten Baublöckchen, mit denen er allerdings vorderhand nur Lärm machen kann. Und Harro lehnt an der offenen Türe, lang, mager und traurig. Jeden Tag hat der Silberschimmer auf seinem Kopfe zugenommen.
Sie sprechen jetzt von der Fürstin und ihrer Krankheit. Sie findet keine Ruhe, nur mit künstlichen Mitteln kann man ihr Schlaf verschaffen. Bis sie die bekommt, quält sie ihre Leute stundenlang. Das schrecklichste ist, daß sie gar nicht still sitzen kann. Keinen Augenblick bleiben ihre Füße auf dem gleichen Platz. Man hat sie zu Bett gelegt, aber da ist es noch schlimmer geworden. Nun geht sie eben herum, bis sie von Müdigkeit beinahe umfällt.
Draußen kracht plötzlich ein Tablett zu Boden mit allerhand Glas und Silbergeschirr. Märt hat das Silber geputzt und ins Büfett hereingetragen im Eßzimmer. Rosmarie ist natürlich erschrocken, aber Harro noch viel mehr, ganz grau ist er geworden. »Ich dächte, Märt zerschlage nie etwas,« meint der Fürst. »Nun, er ist doch nicht ganz unirdisch vollkommen.«
Harro geht ins Eßzimmer, da lehnt der Märt an der Wand, die Scherben und das Silber um ihn herum, und macht nicht den leisesten Versuch, es aufzuheben. Einen Augenblick sehen sich die beiden an, dann flüstert Märt: »Es kommt nur auf mich, Herr Graf, es kommt nur auf mich ...«
»Du bist ein Narr, Märt, ... und solltest dich schämen, neben der Frau Gräfin.«
Der Fürst kommt herein: »Na, Märt, so zerschmettert sind Sie. Nun machen Sie sich keinen Kummer, ich werde alles ersetzen, schicken Sie die Sachen herüber, man besorgt es Ihnen ... Kommen Sie zu meiner Tochter, sie möchte Sie sprechen.«
Märt wirft einen jammervollen Blick nach seinem Herrn, daß der Fürst denkt, wenn sie doch bei mir über jeden Glaskrug sich so beelendeten! Märt putzt lang an sich herum und dann tappt er hinein, noch schwerfälliger als sonst. Weiß Gott, was er erwartet haben mag ... ein tiefer Seufzer der Erleichterung. Da ist sie ja, die Herrin! Und ihr Haar ist so golden und weich wie je, die schönen Augen noch schöner, fast ein wenig schmaler und blasser das Gesicht, und so schön auf ihren Kissen in dem zarten weißen Seidenkleide ... Und sie streckt die schmale Hand nach ihm aus. »Märt, freust du dich, daß ich wieder so weit bin? Gib mir doch die Hand.« Sie muß es zweimal sagen, bis er es tut ... und dann liegt die feine Hand wie ein Rosenblatt auf seiner harten Riesenfaust.
Und bei der Berührung fallen ihm seine Sünden ein ... oh. wenn sie wüßte! Und nun hat der Zauber schon gewirkt. Und es wird ihr nicht recht sein! Oh, wie ihm die sanften Augen wehtun. Nein, sie ließe die Hand nicht darauf, wenn sie ihn mit dem Spaten gesehen hätte. Keinen Ton bringt er heraus. Nur ein rauhes Seufzen.
»Lieber Märt, hast du dich so gegrämt um mich?« Er nickt mit seinem widerborstigen Dickschädel, und sein Gesicht zuckt komisch und schauerlich zugleich. »Oder hast du noch einen andern Kummer, Märt?« Oh, die Frau, die Frau – – – sie sieht ihm ins Herz ... sie sagt vielleicht wie der Herr Graf: Geh, Märt! Dann kann er nur noch zu dem nächsten festen Tannenaste laufen, den Strick dazu hat er schon in der Tasche.
»Lieber Märt, du hast einen Kummer, ich seh's dir an. Wir alle haben Kummer gehabt. Wenn ich einmal im Garten bin und du krautest, dann kommst du und erzählst es mir. Jetzt ist der Fürst da. Wir müssen alle unsere Last tragen, Märt!«
Und Märt geht hinaus, er hat noch eine Lebensfrist. Es ist späte Nacht, als er in seinen Turm steigt und sich seine Lampe anzündet, was er sonst niemals tut. Sein Bett findet man auch im Finstern. Er holt sich aus seiner Kommode ein altes Gesangbuch heraus. Da liegt das silberbeschlagene seiner Mutter, aber er greift nach dem seinigen, das tut's auch noch. Seit der Militärzeit hat er's nicht aufgemacht. Die Predigt verstand er schlecht und die »Leut« waren ihm überhaupt zuwider. So mochte er auch nirgends hin, wo ihrer viele beisammen waren. Er blätterte darin und las die Überschriften, aber sie verwirrten ihn nur. Der Bann, der Höllenbann ... Seine milden, rachsüchtigen Gedanken hatten immer die Fürstin umkreist wie Bluthunde.
Märt hatte eine Freundschaft mit der Babette, aber durchaus nichts Erotisches, nein, sondern Märt war ein solcher Beisprung und Alleskönner, daß jedes weibliche Wesen ihn schließlich schätzen lernte, und mit Babette verband ihn die gleiche Liebe zu der Prinzessin. In seinem Herzen nannte er sie stets so. Und von Babette hatte er doch manches gehört. Und gesehen hatte er auch. Die Fürstin pflegte ihre Dienstboten überhaupt wie Möbelstücke zu gebrauchen. Man sagt auch nicht, ich danke, du Stuhl, oder was denkst du, Kommode? Märt hatte schon immer ein Mißtrauen gegen die hohe Dame gehabt, und Babettens Geschichten hatten eine andere Farbe bekommen.
Und da saß er und blätterte noch immer in dem Gesangbuch. Geschehen ist geschehen. Und sein Herr ist gerächt. Und aufzukommen braucht nichts. Keine Polizei braucht zu schnüffeln und dumm zu fragen. Aber von Rache steht in dem Buche nichts. Ja in der alten Bibel dort, da steht genug davon. Aber seine Mutter nahm immer das Gesangbuch, wenn sie »beten« wollte ... Die Bibel ist für die Pfarrer, meinte sie, daß sie