Dies sagt der Mann erst, als der Professor zu ihm auf den Bock gestiegen ist, sich neben ihn gesetzt hat und somit aus der Herrschaftssphäre herausgetreten ist.
Riesig stolz sei man auf die Prinzessin. Und sie hätte gewiß Königin werden können, wenn sie gewollt hätte. Und sie sei die schönste Prinzessin weit und breit. Und es soll ein Bild von ihr geben, über das die Leute ganz verrückt wären. Es werde auch im großen Saal aufgehängt werden. Dann dürfe es einmal jedermann sehen, das habe Durchlaucht selbst versprochen. – Sie kommen ziemlich spät zum Essen an, und der Herr Professor hat jedenfalls keine Heckenrosen mitgebracht.
Die Gräfin schläft noch immer, und selbst die Schwester ist verschwunden und hat ihren Platz der Lisa überlassen. Sie hat ja nichts zu tun, als stillzusitzen und aufzupassen.
Um vier Uhr, als der Professor eben von seinem Nachmittagsschlaf erwacht ist, fährt ein Wagen an. Die Dame von heute morgen, aber nun im großen Federhut und pompösen Regenmantel entsteigt ihm. Die Falkenaugen da oben beobachten jede Bewegung. Er kann es gut. denn die Dame hält sich eine Zeitlang im Hofe auf. Der Fürst, den kleinen Heinz an der Hand, ist zu ihr hinausgetreten, und sie sprechen zusammen ...
Es klopft. Die Schwester, die schon wieder auf dem Posten ist, kommt herein. »Herr Professor, könnten Sie nach der Gräfin sehen? Sie ist aufgewacht und hat sich so sehr erschreckt über irgend etwas und hat nun entsetzliche Schmerzen bekommen.«
Schlimm ist das, sehr schlimm. Der Professor eilt hinunter. Und alles so schön bis dahin ... Sie liegt mit zuckenden Lippen und großen entsetzten Augen da.
»Ich leide. Herr Professor, oh, schrecklich leide ich. Ich will mein Kind haben, ich will meinen Mann und meinen Vater haben. Sie sollen kommen.«
Der Professor faßt den Puls und nickt Schwester Johanna. Die gleitet hinaus, und einen Augenblick später kommt Harro und der Fürst herein und Heinz zwischen ihnen. Dem Fürsten wanken die Knie, wie er seine Tochter sieht. Das Kind wirft sofort sein Köpfchen zurück und versteckt's an seines Vaters Knie und: »Nein,« schreit er. »Nein.«
»Ach, er fürchtet sich vor mir,« flüstert die arme Mutter. »Harro, nimm ihn auf den Arm.«
Der Vater tut's, und das braune Köpfchen drückt sich wie ein scheuer Vogel an seine Brust. Ihre Augen gehen von einem zum andern, wie wenn sie sich an sie klammerten. Und sie dürfen sie ja nicht einmal berühren, denn ihre eine Hand hält ja der Herr Professor.
Es steht sehr schlecht um die junge Herrin von Thorstein. Der Professor legt die kalte Hand wieder hin und geht ganz leise in das Nebenzimmer. Aber er kann das Bett und die weiße Gestalt darauf sehen.
Da plötzlich geht die Tür auf: rauschende Gewänder, die Fürstin. Ganz leise schiebt sie sich neben den Fürsten. Rosmaries Augen sehen nach ihr. Eine kleine, fast unwillige Bewegung macht der Fürst, seine Augen hängen ja an seiner Tochter. Harro sieht sich nicht einmal nach ihr um. Nur der Herr Professor sieht ihr ins Gesicht.
Sie spricht kein Wort, sie steht und schaut auf die todblasse Tochter, und ihre Gewänder rauschen fortwährend. Sie kann keine Sekunde ruhig stehen ...
Harro hat nun die arme Hand in der seinigen.
»Mama,« sagt Rosmarie leise. Das Rauschen wurde heftiger, und noch einmal: »Mama. Du tust mir leid! Nein, ich möchte noch nicht sterben. Lieber Harro, bete für mich! Und du auch, Vater, lieber Vater!«
Der Fürst sagte leise: »Ein jeder Atemzug tut's, Rosmarie. Für dich ...«
»Nimm mich in deine lieben Arme, Harro, mich friert.«
Der Professor kam mit einem Kissen, bettete Rosmarie sanft darauf und schob ihres Mannes Arm darunter und flüsterte ihm zu: »Halten Sie sie hoch.« Da lag sie an ihres Mannes Brust so schön geborgen, ihr Vater faßte ihre Hand. Klein Heinz, als er das blasse Gesicht nicht mehr sehen konnte, trippelte eifrig herum und setzte sich dann mit dem Knäuel von Schwester Johannas Häkelarbeit auf den Boden.
Die Fürstin stand immer noch da unten am Bettrand, und ihr Kleid rauschte.
Der Herr Professor bot ihr den Arm: »Darf ich bitten, Durchlaucht? Ich glaube, Durchlaucht sind hier überflüssig!« Sie sah ihn an, und ihre Augen veränderten sich. Sie ließ sich hinausführen. Er begleitete sie an den Wagen. Der Diener legte ihr den Mantel wieder um. – Da schien sie wie aus einer Erstarrung zu erwachen. Sie blickte ihn an, daß dem Professor eiskalt wurde vor der Wildheit in den Augen. Dann warf sie ihren Kopf auf, ihre Augen glitten an ihm herunter wie an einem ekelhaften Insekt. Sie stieg ein und der Wagen fuhr davon.
Der Professor stand im Schloßhof und schaute ihr nach. Dann ging er hinein ... Rosmarie streckte ihm die Hand entgegen: »Es geht mir schon besser, fühlen Sie und sagen Sie meinem Mann, daß er es glaubt.«
Der Krampf war vorüber ...
Am Abend bat der Professor den Grafen: »Sorgen Sie doch, daß die Fürstin nicht so bald wieder kommt. Ich habe den deutlichen Eindruck, daß der Besuch die Frau Gräfin aufgeregt hat. Die Damen lieben sich wohl nicht.«
Harro sagte: »Nein, durchaus nicht. Es war mir nicht recht, daß sie hereinkam. Doch hätte ich sie wohl nicht abhalten können, wenn sie endlich etwas Teilnahme zeigen wollte. Aber Sie werden wohl recht haben. Meine Frau hat zuzeiten eine unerklärliche Angst vor ihr.«
»Sie dürfen es durchaus nicht mehr dulden, Herr Graf.«
Harro sah ihn an. Erstaunt, fast ein wenig befremdet.
Der Professor dachte: »Wie kann der Mensch doch nur so ahnungslos sein. Das sah doch dem Weib aus den Augen: wie die auf ihr Opfer schaute, aber er hat sie gar nicht angesehen.« Dann sagte er: »Die Fürstin ist krank, sehr krank. Sie darf nicht im Land herumfahren, sondern gehört in eine Nervenheilanstalt.« »Die Fürstin krank? Ja, ich bitte Sie! Sie ist immer kerngesund gewesen. Bis auf einen Punkt. Aber der ist erledigt.« »Nein, Herr Graf. Ich rede Ihnen nicht darein, ob Tempera oder Öl, aber was mein Geschäft anbetrifft ...«
»Gewiß, Herr Professor. Ich bin nur erstaunt ... Kein Mensch ahnt etwas. Mein Schwiegervater sagte mir allerdings, sie sei erregt gewesen.«
»Ein Blick genügte mir. Die Augen. Doch Sie haben sie gar nicht angesehen.«
»Nein, ich allerdings nicht.«
»Die Unruhe. Keine Sekunde hielt sie Ruhe! Das Rauschen müssen Sie doch gehört haben. Sorgen Sie jedenfalls für eine Pflegerin. Sie allein herum fahren zu lassen, ist geradezu ein Frevel. Ich will der Fürstin nachfahren und ihr einen Besuch machen. Sagen Sie es Seiner Durchlaucht. Dann will ich mit dem Hofrat eine Konsultation haben. Sagen wir, bis acht Uhr schicken Sie den Fürsten heim und bereiten ihn vor.«
»Wir sind Ihnen sehr dankbar, Herr Professor, Sie glauben doch, daß bei meiner Frau der Anfall überwunden ist? Sie darf nichts wissen von dem, was wir jetzt reden, nicht wahr?«
Märt kutschierte den Herrn Professor hinüber. Den sichersten Kutscher hatte der nicht. Es war gut, daß er nicht ahnte, was in dem Dickschädel da vor ihm vorging.
Der Kammerdiener bedauerte; »Ihre Durchlaucht empfängt heute niemand mehr.«
»Haben Sie meine Karte abgegeben?«
»Ihre Durchlaucht bedauerte sehr.«
»Ich bedaure auch sehr,« sagte der Professor, schob den erstarrten Menschen einfach hinweg und ging hinein. Der wagte nicht nachzugehen. Die Fürstin ging auf ihn zu: »Was erlauben Sie sich, mein Herr.«
»Ich komme im Auftrag der Herrschaften drüben. Ich habe mit Bedauern gesehen, daß Durchlaucht sich in einem so hochgradigen nervösen Zustand befinden und komme nun, um meine Dienste anzubieten.«
»Ich brauche Sie doch gar nicht. Ich bin gesund.«
»Durchlaucht müssen mir da meine eigene Meinung gestatten.