Die letzte Analyse. Amanda Cross. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Amanda Cross
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783038209881
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sind – und das bringt wieder seine eigenen Probleme mit sich –, an der Liebe leiden oder an deren Mangel. Sie gehen mit jemandem ins Bett, den sie lieben – ein emotionaler Zustand –, oder sie gehen mit jemandem ins Bett, den sie nicht lieben – ein anderer Zustand –, oder sie gehen mit niemandem ins Bett, das wäre noch ein anderer. Manchmal sind sie farbig, oder sie sind die unreligiösen Kinder religiöser Eltern oder die religiösen Kinder unreligiöser Eltern. Manchmal sind es Frauen, die zwischen ihren intellektuellen Bedürfnissen und der Familie hin- und hergerissen sind. Oft stecken sie in Schwierigkeiten der einen oder anderen Art. Als Lehrer erfahren wir wenig von diesen Dingen, und wenn wir einmal etwas davon aufschnappen, dann spielen wir – wie soll ich es ausdrücken? – nicht den Priester, sondern die Kirche: Wir sind einfach da und machen weiter. Wir repräsentieren etwas, das fortbesteht – die Kunst, die Wissenschaft, die Geschichte. Natürlich haben wir auch ab und zu mal einen Studenten, der mit jedem Atemzug etwas von sich erzählt. Aber in den meisten Fällen erhalten wir nur einen ganz allgemeinen Eindruck, abgesehen natürlich von den eigentlichen Arbeiten der Studenten.«

      »Sie fragen«, fuhr sie fort, »was für eine Art Mädchen Janet Harrison war? Ich erzähle Ihnen dies alles, damit Sie meine Antwort verstehen. Ich habe nur einen Eindruck von ihr. Wenn Sie fragen: War sie der Typ, der eine Bank überfällt?, würde ich sagen: Nein, der Typ schien sie nicht zu sein, aber ich bin nicht sicher, ob ich Ihnen sagen könnte, warum. Sie war eine intelligente Studentin, ein gutes Stück über dem Durchschnitt. Ich hatte den Eindruck, sie wäre fähig, exzellente Arbeit zu leisten, wenn sie sich darauf konzentrierte, aber das hat sie nie getan. Es war, als wäre ein Teil von ihr immer abwesend und wartete ab, was wohl passieren würde. Nur, wissen Sie«, fügte Kate hinzu, »bevor Sie mich danach gefragt haben, habe ich auf die Art noch nie über sie nachgedacht.«

      »Hatten Sie irgendeine Vorstellung, warum sie einen Psychoanalytiker aufsuchen wollte?«

      »Nein, keine. Die Leute wenden sich heutzutage an einen Analytiker, wie sie sich früher an – ja, an wen? – an Gott, an ihren Pastor, an ihre Familie wandten. Ich erhebe nicht den Anspruch, ich wüsste da Bescheid. Ich habe Leute davon reden hören, wenn auch nur halb im Scherz, dass Eltern heute für die Analyse ihrer Kinder sparen wie früher für deren College-Erziehung. Ein junger Mensch, der sich in intellektuellen Kreisen bewegt, wendet sich heutzutage, wenn er ein Problem hat, an die Psychiatrie, und häufig werden ihm die Eltern dabei helfen, wenn sie können.«

      »Und ein Psychiater, ein Psychoanalytiker akzeptiert jeden Patienten, der zu ihm kommt?«

      »Natürlich nicht«, sagte Kate. »Aber Sie sind doch sicher nicht hergekommen, um von mir etwas über diese Dinge zu erfahren. Da gibt es eine ganze Reihe kompetenterer Leute …«

      »Sie haben dieses Mädchen zu einem Psychoanalytiker geschickt, und er hat sie als Patientin angenommen. Von Ihnen würde ich jetzt gerne erfahren, warum Sie annahmen, dass sie zu einem Analytiker gehen sollte, und warum Sie annahmen, dass dieser Analytiker sie auch nehmen würde.«

      »Das hier ist meine Sprechstunde«, sagte Kate. Nicht dass es ihr an diesem Apriltag etwas ausgemacht hätte, auf die Studenten zu verzichten (»Ich bin Student auf Probe bei Ihnen, Professor Fansler, und wenn ich nicht die Note B in Ihrem Seminar bekomme …«), aber wenn sie an die Studenten dachte, die draußen auf der Bank geduldig warteten und inzwischen schon dicht an dicht saßen … Doch Captain Stern hatte offenbar keine Bedenken, sich vorzudrängen. Vielleicht sollte sie Captain Stern zu Emanuel schicken. Plötzlich erschien ihr der Gedanke, an einem Frühlingstag in ihrem Büro zu sitzen und mit einem Kriminalbeamten über Psychiatrie zu diskutieren, vollkommen lächerlich. »Also, Captain Stern«, sagte sie, »was wollen Sie wissen? Bevor ein guter Analytiker einen Patienten annimmt, muss er sicher sein, dass der Patient sich für eine Analyse eignet. Der Patient muss über eine ausreichende Intelligenz verfügen, eine bestimmte Art von Problemen haben und eine gewisse Aussicht, sich frei zu entwickeln. Ein Psychotiker, sogar bestimmte Arten von Neurotikern sind nicht die richtigen Patienten. Vor allem muss ein Patient tatsächlich eine Analyse wollen, er muss den Wunsch haben, dass man ihm hilft. Andererseits glauben die meisten Analytiker, denen ich begegnet bin, dass jedem intelligenten Menschen durch eine gute Analyse geholfen werden kann, einen größeren Spielraum zu bekommen. Wenn man mich fragt, ob ich einen Analytiker empfehlen kann, dann empfehle ich einen guten, weil ich weiß, dass ein guter Analytiker nur einen Patienten annimmt, der sich für eine Analyse eignet, und zwar für eine Analyse bei diesem speziellen Analytiker. Genauer kann ich mich zu einem Thema, über das ich bemerkenswert wenig weiß, nicht ausdrücken, und jeder Analytiker, der mir jetzt zuhörte, würde wahrscheinlich vor Entsetzen aufschreien und sagen, ich läge völlig falsch, was ich wahrscheinlich auch tue. Also was, um alles in der Welt, hat Janet Harrison angestellt?«

      »Sie ist ermordet worden.«

      Captain Stern ließ den Satz in der Luft hängen. Vom Campusgelände drang der Frühlingslärm herein. Ein paar Verbindungsstudenten verkauften Lose, mit denen man ein Auto gewinnen konnte. Ein Schatten, wahrscheinlich ein Student, wanderte vor der Glastür zu Kates Büro hin und her.

      »Ermordet?«, sagte Kate. »Aber ich wusste nichts von ihr. War es ein Überfall auf der Straße?« Plötzlich schien das Mädchen wieder vor ihrem inneren Auge aufzutauchen; es saß an dem Platz, wo Captain Stern jetzt saß. Du bist gelehrt, sprich du mit ihm, Horatio.

      »Sie sagten, Miss Fansler, sie schien abzuwarten, was wohl passieren würde. Was haben Sie damit gemeint?«

      »Habe ich das gesagt? Ich weiß nicht, was ich damit gemeint habe. Eine Redensart.«

      »Gab es irgendetwas Persönliches zwischen Ihnen und Janet Harrison?«

      »Nein. Sie war eine Studentin.« Plötzlich fiel Kate wieder seine erste Frage ein: Was haben Sie gestern Morgen gemacht? »Captain Stern, was hat das denn mit mir zu tun? Weil ich ihr den Namen eines Analytikers genannt habe und weil sie meine Studentin war, soll ich nun wissen, wer sie ermordet hat?«

      Captain Stern stand auf. »Verzeihen Sie mir, dass ich Ihren Studenten die Zeit stehle, Miss Fansler. Wenn ich Sie noch einmal sprechen muss, werde ich versuchen, es zu einer passenderen Stunde zu tun. Danke für Ihre Bereitschaft, auf meine Fragen zu antworten.« Er stockte einen Augenblick, als ordne er seine Sätze.

      »Janet Harrison wurde in der Praxis des Psychoanalytikers ermordet, zu dem Sie sie geschickt haben. Sein Name ist Emanuel Bauer. Sie war seit sieben Wochen seine Patientin. Sie wurde auf der Couch in seiner Praxis ermordet, auf der Couch, auf der, soviel ich weiß, die Patienten während der Therapiestunde liegen. Wir sind natürlich dringend daran interessiert, alles nur Mögliche über sie herauszubekommen. Scheinbar gibt es bemerkenswert wenige Informationen über sie. Für heute sage ich auf Wiedersehen, Miss Fansler.«

      Kate starrte ihm nach, als er hinausging und die Tür hinter sich schloss. Sie hatte seinen Instinkt für dramatische Wendungen unterschätzt, das war ziemlich klar. Ich habe dir eine Patientin geschickt, Emanuel. Was hatte sie ihm geschickt? Wo war er jetzt? Gewiss nahm die Polizei nicht an, dass er eine Patientin auf der eigenen Couch erdolcht hatte. Aber wie war dann der Mörder hereingekommen? War Emanuel da gewesen? Sie hob den Telefonhörer und wählte eine 9, um eine Amtsleitung zu bekommen. Wie war seine Nummer? Sie hatte keine Lust, im Telefonbuch nachzublättern. Beim Wählen der 411 für die Auskunft bemerkte sie überrascht, dass ihre Hand zitterte. »Könnten Sie mir bitte die Nummer von Mrs Nicola Bauer, 879 Fifth Avenue, geben?« Emanuels Praxis war unter seinem Namen eingetragen, die private Nummer unter Nicolas, daran erinnerte sie sich. Das sollte verhindern, dass Patienten ihn zu Hause anriefen.

      »Danke, Miss.« Sie schrieb die Nummer nicht auf, sondern sagte sie sich immer wieder vor. Trafalgar 9. Aber sie hatte vergessen, vorher wieder die 9 für eine Amtsleitung zu wählen. Noch einmal von vorn, und zwar langsam. Emanuel, was habe ich dir da eingebrockt? »Hallo!« Es war Pandora, das Mädchen der Bauers. Wie amüsant war ihr der Name einmal vorgekommen! »Pandora, hier ist Miss Fansler, Kate Fansler. Bitte, sagen Sie Mrs Bauer, dass ich sie sprechen muss.«

      »Einen Augenblick, Miss Fansler, ich sehe nach.« Der Hörer wurde hingelegt. Kate konnte einen von den Jungen der Bauers hören. Dann war Nicola am Apparat.

      »Kate. Ich nehme an,