Mami Box 1 – Familienroman. Claudia Torwegge. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Claudia Torwegge
Издательство: Bookwire
Серия: Mami Box
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740976507
Скачать книгу
ihr denn nicht ins Gewissen reden können?«

      »Ich habe es versucht. Aber es sieht so aus, als könnte kein Mensch sie aufhalten.«

      »Und wohin soll das führen?«

      »Danach fragt Jenny nicht. Das ist ja das Schlimme. Sie setzt alles aufs Spiel. Und dieser Mann, der sie im Sturm erobert hat, scheint überhaupt kein Gewissen zu haben.«

      »Reg dich nicht auf, Vera. Jenny muß wissen, was sie tut«, sagte Edgar entschieden.

      »Aber sie ist meine Schwester!« rief Vera aus. »Wie soll ich mich da nicht aufregen.«

      Eine erneute Aufregung, wenn auch ganz anderer Art, gab es für Vera am nächsten Tag. Frau Behrend vom Karolinen-Haus bat sie um ein Gespräch unter vier Augen.

      Was mag sie von mir wollen, überlegte Vera, als sie hinfuhr.

      Freundlich begrüßte die Heimleiterin ihre Besucherin, dann kam sie gleich zur Sache.

      »Es ist natürlich sehr dankenswert, daß Sie sich der kleinen Laura Pavel so annehmen, aber ich muß Ihnen leider sagen, daß es deswegen manch böses Blut hier gibt.«

      »Böses Blut?« erschrak Vera. »Wie meinen Sie das?«

      »Laura kommt immer wieder mit etwas Neuem an, und das sind hübsche, nicht eben billige Sachen. Das macht die anderen Kinder neidisch, und dieser Neid äußert sich auf ungute Art. Viele neigen hier zur Aggression. Sie hänseln Laura, verhöhnen sie geradezu und nennen sie eine Zierpuppe. Sie kann sich nicht wehren, sie weint dann nur und zieht sich, eingeschüchtert, mehr denn je in sich selbst zurück.«

      Veras Blick hatte sich verdunkelt. »Daran habe ich nicht gedacht«, sagte sie. »Ich habe ihr dieses und jenes gekauft, weil sie doch nichts hatte. Woher denn auch. Und es sind ja keine übertriebenen Sachen dabei, Frau Behrend. Eine Latzhose, Röckchen und T-Shirts und Schuhe, ein neues Strickjäckchen brauchte sie auch dringend. Es ist doch alles nur gutgemeint.«

      »Ich bin die letzte, die Ihnen daraus einen Vorwurf machen könnte, Frau Gerstner. Ich würde mir nur wünschen, daß es noch mehr Wohltäter für unsere verlassenen Kinder gäbe. Aber, eben, da ist diese andere Seite. Und es gibt noch etwas…« Sie schob ein Aktenbündel auf ihrem Schreibtisch zurecht, bevor sie fortfuhr: »Laura steht mehr unten an der Tür und hält nach Ihnen Ausschau, als daß sie mit den anderen mal spielt oder sich sonstwie beschäftigt. Manchmal sieht es so aus, als wollte sie jeden Augenblick zu Ihnen laufen. Aber das tut sie ja nun nicht mehr. Sie wartet nur, mit einer Ausdauer, die unglaublich ist.«

      Vera senkte die Lider, sie nickte. Ja, sie konnte sich das vorstellen. Bei ihr war es auch schon soweit, daß sie dachte: Jetzt hofft Laura, daß ich sie wieder holen würde. Aber sie hatte natürlich auch noch etwas anderes zu tun, als sich täglich ihrem kleinen Gast zu widmen.

      »Nun«, seufzte die Heimleiterin leicht auf, »das wird sich hoffentlich ändern, wenn sie jetzt in die Schule kommt. Dann muß sie zwangsweise noch etwas anderes im Kopf haben als ihre heißgeliebte Tante Vera.« Ein flüchtiges Lächeln glitt dabei über ihr Gesicht.

      »Ich fürchte, das wird sie nicht«, sprach Vera leise. »Sie merkt, wie gern auch ich sie inzwischen habe, das berührt sie tief. Daß ein Mensch sich ihr herzlich zuwendet und auf sie eingeht, das hat sie doch bisher nicht gekannt.«

      »Und daß Sie eine Pflegschaft für Laura Pavel übernehmen, daran ist wohl nicht zu denken?«

      Adele Behrend sagte es eher wie nebenbei. Aber sehr genau beobachtete sie die Reaktion der jungen Frau, der ein Hauch von Röte ins Gesicht stieg. Sie schien mit ihrer Bemerkung ins Schwarze getroffen zu haben.

      »Ich meine«, sprach sie schnell weiter, »wenn Sie so einen außerordentlich guten Kontakt zueinander haben, wäre das doch eine wundervolle Lösung. Das Jugendamt sucht dringend Ehepaare, die bereit sind, ein Kind in Pflege zu nehmen. Ich habe Ihnen ja schon erzählt, wie übervoll die Heime sind.«

      »Ich – müßte mit meinem Mann darüber sprechen«, sagte Vera stockend. »Wir haben uns an den Gedanken gewöhnt, nur zu zweit zu bleiben. Es wäre doch eine große Umstellung.«

      »Gewiß. Mag Ihr Gatte denn Kinder?«

      »Ja, schon. Wir haben uns immer ein Kind gewünscht. Aber wir sind nicht die einzigen, denen dieses Glück nicht zuteil wird. Aber ein fremdes Kind anzunehmen, daran haben wir nie gedacht.«

      »Nun, überlegen Sie es sich, Frau Gerstner. Und vergessen Sie bitte nicht, was ich Ihnen gesagt habe. Kleiden Sie Laura nicht so ein, daß sie zu sehr von den anderen absticht.«

      Damit war ihre Unterredung beendet. Vera wollte gerade das Haus verlassen, als hinter ihr eine überkippende Kinderstimme rief: »Tante Vera! Tante Vera!« Außer Atem kam Laura angerannt. »Kommst du mich holen?«

      Vera hatte gehofft, ihr nicht zu begegnen, sie hatte extra ihren Wagen etwas abseits geparkt.

      »Heute nicht, Laura, ich habe am Nachmittag eine Verabredung, und morgen geht es auch nicht. Aber übermorgen kannst du wiederkommen.«

      Das kleine Gesicht schien noch kleiner zu werden. »Ja, Tante Vera«, flüsterte Laura und nickte gehorsam dazu. Sie stand wie festgebannt und sah zu Boden.

      Vera strich ihr über das Haar und ging schnell davon. Sie fühlte sich ganz zerrissen. Diese maßlose, schmerzliche Enttäuschung in Lauras Miene!

      Ich bin zu weich, um das auf die Dauer durchzustehen, erkannte sie. Oder habe ich Laura einfach schon zu lieb, um ihr nur im mindesten weh tun zu können?

      Beim Mittagessen erzählte sie ihrem Mann, daß sie im Karolinen-Haus gewesen war, weil die Heimleiterin sie um ein Gespräch gebeten hatte.

      »Was wollte sie denn von dir?« fragte Edgar etwas zerstreut.

      »Ich sollte Laura keine hübschen Kleidungsstücke mehr kaufen, das erwecke nur den Neid der anderen, und sie müßte darunter leiden.«

      »Ach Gott«, sagte Edgar nur. Seine Gedanken waren noch halb bei der Arbeit. In den Bankgeschäften war irgendwo ein ärgerlicher Fehler unterlaufen. Lag es am Computer, oder hatte ein Mitarbeiter falsche Zahlen eingegeben? Er mußte das herausfinden.

      Vera schwieg. Was sie seit zwei Stunden unablässig in ihrem Herzen bewegte, das konnte sie ihm ohnehin nicht zwischen Suppe und gefüllten Paprikaschoten offenbaren.

      Aber am Abend mußte es sein, weil es ihr anders keine Ruhe mehr ließ. Edgar hatte sich entspannt, das Mißverständnis war aufgeklärt und hatte korrigiert werden können, ohne daß Schaden entstand.

      »Frau Behrend hat mich gefragt, ob wir Laura nicht ganz zu uns nehmen könnten, Edgar«, begann sie mit etwas enger Stimme. »Ich könnte es mir schon vorstellen, sie immer um mich zu haben. Aber wie würdest du dich dazu stellen?«

      Ihr Mann hatte sich aus seiner bequemen Haltung im Sessel aufgerichtet. »Denkst du an eine Adoption?« fragte er, leicht vorgeneigt.

      »So weit denke ich nicht. Wir übernehmen eine Pflegschaft, so nennt man das. Es bindet uns nicht endgültig.«

      »Du glaubst doch nicht, daß man ein Waisenkind aufnehmen und es zu irgendeiner Zeit wieder zurückschicken kann. Du wärest die letzte, die das fertigbrächte, Vera«, hielt Edgar ihr ernst entgegen.

      Vera wußte, daß er recht hatte. »Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll«, gestand sie grübelnd. »Vielleicht hätte ich damit gar nicht anfangen sollen. Jetzt ist ein Band zwischen uns geworden, das wieder zu zerreißen für Laura eine Katastrophe bedeuten würde.«

      »Und was würde es für dich bedeuten, wenn du Lauras übergroßen Anhänglichkeit ein Ende setztest?«

      »Sie würde mir fehlen«, sagte sie. »Sie ist so lieb, so dankbar. Du kennst sie nicht so gut wie ich. Es würde dich auch rühren.«

      »Doch, freilich kenne ich sie. Sie war doch manchmal noch da, wenn ich vom Dienst kam. Dann wollte sie lostraben, weil sie nicht stören wollte, und wenn ich sagte, sie könne ruhig noch bleiben, hat sie sich still gefreut.«