Und die Tochter, die dem frommen Mann aus lustiger Studentenzeit erwachsen, war jetzt noch Äbtissin am Münster zu Zürich.
All das wusste Ekkehard; in der Kirche, wo der Mann begraben lag, mocht' er nicht beten.
Es mag ungerecht sein, den Hass, der den Menschen gebührt, auf das Stück Land überzutragen, wo sie gelebt und gestorben, aber es ist erklärlich.
Er schüttelte den Konstanzer Staub von den Füßen und wanderte zum Tor hinaus; dem sich kaum dem See entwindenden jungen Rhein blieb er zur Linken.
Von mächtiger Haselstaude schnitt er sich einen festen Wanderstab: wie die Rute Aarons, da sie im Tempel Gottes aufgrünte, sein Geschlecht schied von den abtrünnigen Juden, so möge dieser Stab, geweiht mit der Fülle göttlicher Gnade, mir ein Hort sein wider die Ungerechten am Wege, sprach er mit den Worten eines alten Stocksegens. Vergnügt schlug ihm das Herz, wie er einsam vorwärts zog.
Wie hoffnungsgrün und beseligt ist der Mensch, der in jungen Tagen auf unbekannten Pfaden unbekannter Zukunft entgegenzieht, – die weite Welt vor sich, der Himmel blau und das Herz frisch, als müßt' sein Wanderstab überall, wo er ihn ins Erdreich einstößt, Laub und Blüten treiben und das Glück als goldnen Apfel in seinen Zweigen tragen. Wandre nur immer zu! Auch du wirst einstmals müden Fußes im Staub der Heerstraße einherschleichen, und dein Stab ist ein dürrer Stecken, dein Antlitz welk, und die Kinder zeigen mit Fingern auf dich und lachen und fragen: wo ist der goldene Apfel?...
Ekkehard war in der Tat vergnügt. Wanderlieder zu singen, war für einen Mann geistlichen Standes nicht üblich, aber der Gesang Davids, den er jetzt anstimmte: »Jehova ist mein Hirt, mir mangelt nichts. Auf grünen Triften lässt er mich lagern, zu stillen Gewässern führt er mich« – mag ihm im Himmel in das gleiche Buch des Verdienstes verzeichnet worden sein, in das die Engel der Jugend fahrender Schüler und wandernder Gesellen Lieder einzutragen pflegen.
Durch Wiesen und an hohem Schilfgelände vorüber führte ihn sein Pfad. Lang und niedrig streckte sich im See eine Insel, die Reichenau; Turm und Mauern des Klosters spiegelten sich im ruhigen Gewässer; Rebhügel, Matten und Obstgärten wiesen dem Auge den Fleiß der Bewohner.
Vor zweihundert Jahren war die Au noch wüst und leer gestanden, in feuchtem Grunde die Herberge von Gewürm und bösen Schlangen. Der austrasische Landvogt Sintlaz aber wies den wandernden Bischof Pirminius hinüber, der sprach einen schweren Segen über das Eiland, da zogen Schlangen und Würmer in vollem Heereshaufen aus, die Tausendfüßler im Plänklerzug voran, Ohrklemmer, Skorpione, Lurche und was sonst kreucht, in geordneten Säulen mit, Kröten und Salamander in der Nachhut: des Pirminius Spruch konnten sie nicht bestehen, zum Gestade, wo später die Burg Schopfeln gebaut ward, wälzte sich der Schwarm, dann hinab in die grüne Seeflut – und der Fisch weitum hat damals einen guten Tag gehabt...
Seither war des Pirminius Stift aufgeblüht, eine Pflanzstätte klösterlicher Zucht von gutem Klang in deutschen Landen.
Reichenau, grünendes Eiland, wie bist du vor andern gesegnet,
Reich an Schätzen des Wissens und heiligem Sinn der Bewohner,
Reich an des Obstbaums Frucht und schwellender Traube des Weinbergs:
Immerdar blüht es auf dir und spiegelt im See sich die Lilie,
Weithin schallet dein Ruhm bis ins neblige Land der Britannen.
hatte schon in Ludwigs des Deutschen Tagen der gelehrte Mönch Ermenrich gesungen, da ihn auf seiner Abtei Ellwangen Heimweh nach den schimmernden Fluten des Bodensees beschlich.
Ekkehard beschloss dieser Nebenbuhlerin seines Klosters einen Besuch abzustatten. Am weißsandigen Strand von Ermatingen stand ein Fischer im Kahn und schöpfte das Wasser aus. Da deutete Ekkehard mit seinem Stab nach dem Eiland: Führt' mich hinüber, guter Freund!
Sein Mönchshabit verlieh damals jeder Aufforderung Nachdruck.
Der Fischer aber schüttelte verdrossen das Haupt: Ich fahre keinen mehr von euch, seit ihr mich am letzten Ruggericht um einen Schilling gebüßt...
Warum haben sie Euch gebüßt?
Wegen dem Kreuzmann!
Wer ist der Kreuzmann?
Der Allmann.
Auch der ist mir unbekannt, sprach Ekkehard, wie sieht er aus?
Aus Erz ist er gegossen, brummte der Fischer, von zweier Spannen Höhe, und hält drei Seerosen in der Hand. Der stund im alten Weidenbaum zu Allmannsdorf, und 's war gut, dass er dort stund, aber seit dem letzten Ruggericht haben sie ihn aus dem Baum gehauen und ins Kloster verschleppt. Jetzt steht er auf des welschen Bischofs Grab in Niederzell, was soll er dort? Toten Heiligen Fische fangen helfen?!...
Da merkte Ekkehard, dass des Fischers Christenglaube noch nicht felsenfest stand, und mocht sich erklären, warum das eherne Götzenbild ihm die Schillingsbuße eingetragen – er hatte ihm ein Zicklein nächtlich als Opfer geschlachtet, damit seine Fischzüge mit Felchen, Forellen und Braxmannen gesegnet würden, und die Rugmänner hatten nach kaiserlicher Verordnung solch heidnisch Rückerinnern geahndet.
Seid vernünftig, alter Freund, sprach Ekkehard, und vergesst den Allmann. Ich will Euch eingut Teil Eures Schillings geben, so Ihr mich übersetzt.
Was ich rede, sprach der Alte, soll sich nicht drehen lassen wie ein Ring am Finger. Ich fahre keinen von euch. Mein Bub kann's tun, wenn er will.
Er pfiff durch die Finger, da kam sein Bub, ein hochstämmiger Ferge, der führte Ekkehard hinüber.
Wie sie das Schifflein angelegt, ging Ekkehard dem Kloster zu, das zwischen Obstbäumen und Rebhügeln versteckt in Mitten des Eilandes aufgebaut steht. Es war die Zeit des Spätherbstes, alt und jung auf der Insel mit der Weinlese beschäftigt, da und dort hob sich die Kapuze eines dienenden Bruders dunkel vom rotgelben Reblaub ab. Auf der Hochwarte standen die Väter der Insel truppweise beisammen und ergötzten sich am Getrieb der traubensammelnden Leute; sie hatten unter Umtragung eines mächtigen Marmorgefäßes, das für einen Krug von der kananäischen Hochzeit galt, die Einsegnung des neuen Weines abgehalten. Fröhlicher Zuruf und fernes Jauchzen klang aus den Rebbergen.
Unbemerkt kam Ekkehard zum Kloster, auf wenig Schritte war er ihm genaht, da erst ragte der schwerfällige Turm mit seinen Vorhallen, deren Rundbogen abwechselnd mit grauen und roten Sandsteinquadern geschmückt sind, vor ihm auf.
Im Klosterhof war alles stumm und still. Ein großer Hund wedelte am fremden Gast hinauf, ohne Laut zu geben, er bellte keine Kutte an; die Einwohner allesamt hatte der linde Herbsttag hinausgelockt.
Da trat Ekkehard in die gewölbte Fremdenstube am Eingang. Auch des Pförtners Gelass nebenan war leer. Offene Fässer standen aufgepflanzt, manche schon mit süßem Moste gefüllt. Hinter ihnen war ein steinern Bänklein an der Wand; Ekkehard war frisch ausgeschritten und die Seeluft hatte ihm zehrend ums Haupt geweht, da kam ein Zug des Schlummers mächtig über ihn, er lehnte den Wanderstab an den Arm, streckte sich ein weniges und nickte ein.
Derweil zog sich's mit langsamem Schritt in die kühle Stube, das war der ehrenwerte Bruder Rudimann, des Klosters Kellermeister. Er trug ein steinern Krüglein in der Rechten und ging seines Amtes nach, Mostprobe zu halten. Das Lächeln eines mit der Welt und sich versöhnten Mannes lag auf seinen Lippen und sein Bauch war fröhlich gediehen, wie das Hauswesen des Fleißigen, einen weißen Schurz hatte er darüber geschlungen, gewichtiger Schlüsselbund klapperte an seiner linken Seite.
»Zum Kellermeister soll erwählt werden ein weiser Mann von reifen Sitten, nüchtern und nicht vieler Speise gierig, kein Zänker und kein Schelter, kein Träger und kein Vergeuder, sondern ein Gottesfürchtiger, der der gesamten Bruderschaft sei als wie ein Vater«.– und soweit es des Fleisches Schwäche hinieden möglich macht, war Rudimann bemüht, sotane Kellermeisterseigenschaften in sich zu vereinen. Dabei aber trug er das herbe Amt eines Strafvollziehers, und wenn einer der Brüder der Geißelung sich schuldig gemacht, band er ihn an die Säule und konnte sich keiner über die Milde seines Armes beklagen. Dass er außerdem mit boshafter Zunge dann und wann boshaftige