Ekkehard. Joseph Victor von Scheffel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Joseph Victor von Scheffel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783966510820
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Zeit einer Strafe verfallen, fragte sie, es möcht' ein lehrreich Beispiel sein...

      Da zuckte der böse Sindolt mit dem rechten Fuß, als wär' er in einen Dorn getreten, rückte sein Ohr rückwärts, wie wenn von dort eine Stimme ihm riefe, sprach: Ich komme sogleich, und enteilte ins Dunkel des Ganges.

      Er wusste warum.

      Notker, der Stammler, hatte nach jähriger Arbeit die Abschreibung eines Psalterbuchs vollendet und es mit zierlich feinen Federzeichnungen geziert; das hatte der neidische Sindolt nächtlicherweile zerschnitten und die Weinkanne darüber geschüttet. Drob war er zu dreimaliger Geißelstrafe verdammt, der letzten Vollzug stand noch aus: er kannte das Örtlein und die Bußwerkzeuge, die ihrem Rang nach an der Wand hingen, vom neunfältigen »Skorpion« herab bis zur einfachen »Wespe«.

      Der Abt drängte, dass sie vorüber kamen. Seine Prunkgemächer waren mit Blumen geschmückt. Frau Hadwig warf sich in den einfachen Lehnstuhl, auszuruhen vom Wechsel des Erschauten. Sie hatte in wenig Stunden viel erlebt. Es war noch eine halbe Stunde zum Abendimbiss.

      Wer zu dieser Frist einen Rundgang durch des Klosters Zellen gemacht, der hätte sich überzeugen mögen, wie kein einziger Bewohner des Stiftes unberührt vom Eindruck des vornehmen Besuches geblieben. Auch die weltabgeschiedensten Gemüter fühlten, dass einer Frau Huldigung gebührt.

      Dem grauen Tutilo war's beim Empfang schwer aufs Herz gefallen, dass der linke Ärmel seiner Kutte mit einem Loch geschmückt war; sonst wär's wohl bis zum nächsten hohen Festtag ungeflickt geblieben, aber jetzt galt kein Verzug; mit Nadel und Zwirn bewaffnet saß er auf dem Schragen und besserte den Schaden aus.

      Und weil er gerade im Zug war, legte er auch seinen Sandalen eine neue Sohle an und befestigte sie mit Nägeln. Er summte eine Melodie, dass die Arbeit besser gedieh.

      Radolt, das Denkmännlein, ging mit gerunzelter Stirn auf seiner Zelle auf und nieder, vermeinend, es werde sich eine Gelegenheit ergeben, in frei ersonnener Rede des hohen Gastes Ruhm zu preisen. Den Eindruck unmittelbaren Ergusses zu erhöhen, studierte er sie vorher. Er wollte des Tacitus Spruch von den Germanen zu Grund legen: »Sie glauben auch, dass den Frauen etwas Heiliges und Zukunftvoraussehendes inwohne, darum verschmähen sie niemals ihren Rat und fügen sich ihren Bescheiden.« Es war dies fast das Einzige, was er aus Hörensagen von den Frauen wusste, aber er zwinkte mit den Eichhörnleinsaugen und war sicher, von dort unter etlichen bissigen Ausfällen auf seine Mitbrüder einen Übergang zum Lob der Herzogin zu finden. Leider blieb die Gelegenheit zur Anbringung einer Rede aus, weil er sie nicht zu finden verstand.

      In anderer Zelle saßen der Brüder sechs unter dem riesigen Elfenbeinkamm, der an eiserner Kette von der Decke herabhing, – Abt Hartmuths nützliche Stiftung – die vorgeschriebenen Gebete murmelnd erwies einer dem andern den Dienst sorglicher Glättung des Haupthaares. Ward auch manch überwachsene Tonsur in jener Zeit zu strahlendem Glanze erneut.

      In der Küche aber ward unter Gerold, des Schaffners, Leitung eine Tätigkeit entwickelt, die nichts zu wünschen übrig ließ.

      Jetzo läutete das Glöcklein, dessen Ton auch von den frömmsten Brüdern noch keiner unwillig gehört: der Ruf zur Abendmahlzeit. Abt Cralo geleitete die Herzogin ins Refektorium. Sieben Säulen teilten den luftigen Saal hälftig ab, an vierzehn Tischen standen, wie Heerscharen der streitenden Kirche, des Klosters Mitglieder, Priester und Diakonen; sie erwiesen dem hohen Gast keine sonderliche Aufmerksamkeit.

      Das Amt des Vorlesers vor der Imbissstunde in dieser Woche lag bei Ekkehard, dem Pörtner. Der Herzogin zu Ehren hatte er den vierundvierzigsten Psalm erkoren, er trat auf und sprach einleitend: »Herr öffne meine Lippen, auf dass mein Mund dein Lob verkünde,« und alle sprachen's ihm murmelnd nach, als Segen zu seiner Lesung.

      Nun erhub er seine Stimme und begann den Psalm, den die Schrift selber einen lieblichen Gesang nennt:

      Es quillet mein Herz eine schöne Rede, ich will reden mein Gedicht dem Könige, meine Zunge sei der Griffel des Geschwindschreibers.

      Der Schönste bist du von den Söhnen des Menschen. Anmut ist gegossen über deine Lippen, denn Gott hat dich gesegnet ewig.

      Gürte um die Hüfte dein Schwert, du Held, deinen Ruhm und deinen Schmuck. Und geschmückt zeuch aus, ein Hort der Wahrheit, Milde und des Rechts.

      Ja, Wunder wird zeigen deine Rechte! Deine Pfeile seien geschärft, Völker sollen unter dir stürzen, die im Herzen Feinde des Königs sind.

      Dein Thron vor Gott steht immer und ewig, ein gerechter Zepter ist der Zepter deines Reichs.

      Du liebest das Recht und hassest das Unrecht, drum hat dich Gott, dein Gott, gesalbt mit dem Öl der Freude, mehr denn alle Genossen; Myrrhen, Aloe und Cassia duften all deine Kleider, aus elfenbeinernen Palästen erfreuen Saiten dich...«

      Die Herzogin schien die Huldigung zu verstehen; als wenn sie selber mit den Worten des Psalms angeredet wäre, hefteten sich ihre Augen auf Ekkehard. Aber auch dem Abt war's nicht entgangen, da gab er ein Zeichen abzubrechen, und der Psalm blieb unbeendet, als sich zu Tisch setzte.

      Das aber konnte Herr Cralo nicht hindern, dass Frau Hadwig dem emsigen Vorleser befahl, an ihrer Seite Platz zu nehmen; es war zwar der Rangstufung folgend der Sitz zu ihrer Linken dem alten Dekan Gozbert zugedacht, aber dem war's schon lang zu Mute, als käm' er auf glühende Kohlen zu sitzen, denn er hatte mit Frau Hadwigs seligem Gemahl dereinst einen gröblichen Wortwechsel gepflogen, wie der dem Klosterschatz das unfreiwillige Kriegsanlehen auflegte, und war von damals auch der Herzogin giftig gestimmt, – kaum merkte er die Absicht, so rückte er sich vergnüglich seitwärts und schob den Pörtner auf den Dekanssitz. Neben Ekkehard kam der Herzogin Kämmerer Spazzo zu sitzen, dem zur Seite der Mönch Sindolt.

      Die Mahlzeit begann. Der Küchenmeister, wohl wissend, wie bei Ankunft fremder Gäste Erweiterung der schmalen Klosterkost gestattet sei, hatte es nicht beim üblichen Mus mit Hülsenfrüchten bewenden lassen. Auch der strenge Küchenzettel des seligen Abts Hartmuth ward nicht eingehalten.

      Wohl erschien zuerst ein dampfender Hirsebrei, auf dass, wer gewissenhaft bei der Regel bleiben wollte, sich daran ersättige; aber Schüssel auf Schüssel folgte, bei mächtigem Hirschziemer fehlte der Bärenschinken nicht, sogar der Biber vom obern Fischteich hatte sein Leben lassen müssen; Fasanen, Rebhühner, Turteltauben und des Vogelherds kleinere Ausbeute folgten, der Fische aber eine unendliche Auswahl, so dass schließlich ein jeglich Getier, watendes, fliegendes, schwimmendes und kriechendes auf der Klostertafel seine Vertretung fand.

      Und mancher der Brüder kämpfte damals einen schweren Kampf in seines Gemüts Tiefe; selbst Gozbert, der alte Dekan... des Hirsebreis war er gesättigt und hatte mit mächtigem Stirnrunzeln des Hirsches Braten und des Bären Schinken weggeschoben, als wär's eine Versuchung des bösen Feindes; aber wie auch ein schön bräunlich gebraten Birkhuhn in seine Nähe gestellt ward, da schlug der Bratenduft träumerisch an seine Nase, mit dem Duft hielten die Geschichten seiner Jugend bei ihm Rückkehr: wie er selber vor vierzig Jahren dem Weidwerk oblag und in frühem Morgennebel dem balzenden Auerhahn nachstellte, und die Geschichte von des Försters Töchterlein, die ihm damals begegnet, und... zweimal noch kämpfte er des Arms Bewegung zurück, das drittemal hielt's nimmer, des Birkhuhns Hälfte lag vor ihm und ward in Eile verzehrt.

      Der Kämmerer Spazzo hatte Beifall nickend der Schüsseln mannigfache Zahl erscheinen sehen, ein großer Rheinlank, der Fische besten einer, war schier unter seinen Händen verschwunden, fragend schaute er sich nach einem Getränk um, da zog Sindolt, sein Nachbar, ein steinern Krüglein herbei, schenkte ihm den metallenen Becher voll, stieß mit ihm an und sprach: Des Klosterweins Auslese! Herr Spazzo gedachte einen mächtigen Zug zu tun, aber es schüttelte ihn wie Fieberfrost, und den Becher absetzend sagte er: Da möchte der Teufel Klosterbruder sein! Der böse Sindolt hatte ihm ein saures Apfelweinlein mit dem Saft von Brombeeren gemischt vorgesetzt. Wie aber Herr Spazzo ihm schier mit einem Faustschlag gelohnt hätte, holte er, ihn zu sänftigen, des dunkelroten Valtelliners einen Henkelkrug. Der Valtelliner ist ein wackerer Wein, in dem schon der Kaiser Augustus seinen Schmerz über die Varusschlacht niedergetrunken; und allmählich versöhnte sich Herr Spazzo, trank auch auf das Wohlergehen des Bischofs von Chur, dem das Kloster diesen Wein