Jákup Borg hatte den lustigsten Job: Er verkaufte Eis. Dazu muss man wissen, dass auf den Färöern nicht nur ein kräftiger Wind bläst und oftmals dichter Nebel herrscht – es ist auch nicht sonderlich warm. Im „heißesten“ Monat des Jahres beträgt die Durchschnittstemperatur bloß elf Grad Celsius. „Es ist ein harter Job, hier Eis zu verkaufen“, sagte Borg. Er war der Beste bei diesem Länderspiel, alles, was er machte, hatte Hand und Fuß, und natürlich war er an den Toren beteiligt. Beim 2:2 gegen Schottland hat Borg Flanken geschlagen, als hätte ein Zirkel ihre Flugbahn gezogen. Als Borg 18 war, holte ihn der FC Liverpool zum Probetraining. Borg war zweimal dort, und am Ende sagten die Briten: sorry. In Dänemark oder Norwegen hätte er später unterkommen können, aber private Dinge hielten ihn seinerzeit im Nordatlantik.
Die erste Liga der Färöer, die es seit 1942 gibt und seit 2012 Effodeildin (benannt nach dem Sponsor Effo, einem Energieunternehmen) heißt, umfasst zehn Mannschaften. Im Schnitt kommen 700 Zuschauer, zu Spitzenspielen 2.000 bis 2.500. Der Rekord wurde beim Pokalfinale des Jahres 2003 aufgestellt: 5.200 Zuschauer sahen Tórshavn gegen Gøta, das ist beachtlich, wenn man bedenkt, dass nur 49.000 Menschen auf den Färöern leben. Zu Ligaspielen müssen die Mannschaften also ab und zu mit dem Boot anreisen. Zur südlichsten Insel dauert die Fahrt von Tórshavn aus zwei Stunden.
Dennoch: Der Ligabetrieb ist zweitrangig – die größte Aufmerksamkeit gehört der Nationalmannschaft.
Bereits 1930 haben färingische Kicker Auswärtsspiele bestritten – auf Island und auf den Shetland-Inseln. Sie haben immer verloren. Aber sich eben nie entmutigen lassen.
Noch in den 1960er Jahren nahmen die Färinger 22-stündige Überfahrten auf schwankenden Fähren in Kauf, um gegen die Mannschaften Grönlands oder der Shetland-Inseln zu kicken. Das Ergebnis war Nebensache, hinterher wurde mit dem Gegner gefeiert, und „als vorbereitendes Training diente ein Kick auf zwei Heringskisten am Hafenkai“, schrieb die Frankfurter Allgemeine.
Seit 1988 bestreitet die färingische Nationalelf offizielle Länderspiele, seit 1990 nimmt sie an EM- und WM-Qualifikationen teil. Anfangs waren die Leute auf den Färöer dagegen, sie dachten, ihr Team würde sich blamieren. Nach dem 1:0 gegen Österreich verstummten sie. Der Fußball, zuvor schon populärster Sport auf den Färöern, erlebte einen Boom – für färingische Verhältnisse.
Die Fußballer, auch die Nationalspieler, sind daran gewöhnt, dass ihnen beim Training nur ein paar Schafe zuschauen. Sie haben auch keine gesponserten Limousinen, sondern bilden Fahrgemeinschaften. Ein paar kommen im Fiesta, ein paar im Astra, „und ihre Fußballschuhe tragen sie in Jutebeuteln unterm Arm“, schrieb die FAZ. Es seien lauter sympathische, fröhliche Burschen mit „großen Herzen“, sagte ihr früherer dänischer Trainer Henrik Larsen einmal. Es ist kein Wunder, dass sie fröhlich sind. „Für die Färöer zu spielen, ist wirklich ein netter Job: Man kann nur gewinnen“, so Torwart Knudsen.
„Für unsere Leute sind wir die Helden“, erzählte John Petersen, der Doppeltorschütze beim 2:2 gegen die Schotten. „Unsere Kinder tragen Trikots mit unseren Namen drauf, und die muss ich dann unterschreiben. Ich verschenke aber in der Schule keine Trikots mehr. Das habe ich einmal gemacht, und da wollten gleich alle 600 Schüler welche haben. Und die Trikots, die ich von Gegnern nach dem Spiel kriege, die behalte ich sowieso für mich.“
Die Färinger fühlen sich als große Familie. Man hält zusammen, Verbrechen gibt es kaum. In den Gefängnissen sitzen fast nur Betrunkene. „Wer nicht nach Hause findet“, heißt es, „übernachtet im Polizeipräsidium.“
„Wenn du ins Ausland gehst“, sagte Hjalgrím Elttør, ein Fußballer, „dann fühlst du dich ziemlich allein.“ Außerdem sei es zu Anfang merkwürdig, immer auf richtigem Gras zu spielen. „Manchmal dachte ich: Du läufst wie eine Kuh.“
Viele, die im Ausland spielten, seien schnell wiedergekommen, erklärte John Petersen. „Vielleicht sind wir Färinger einfach sehr heimatverbunden.“ Petersen sagte, er kenne wohl alle 49.000 Menschen, die auf den Färöern leben. Das ist schön, aber auch problematisch – wie in einem Dorf in Deutschland kontrolliert man sich gegenseitig. „Ich musste immer vorsichtig sein, was ich wann mache, ich war ja Vorbild, besonders die Jugendlichen schauten zu mir auf. Ich habe es schon erlebt, dass ich abends in der Kneipe zwei Bier getrunken habe, und am nächsten Tag sagten die Leute: Der Petersen war besoffen.“
Wenigstens berichtet die größte Zeitung – sie heißt Sosialurin – nicht über solche Geschichten. „Die Zeitung schreibt nie über unser Privatleben“, sagte Petersen in einem Interview. „Die Menschen hier mögen solche Geschichten auch gar nicht lesen. Außerdem kennt die Reporter auch jeder; wenn die dummes Zeug schreiben, kriegen die selbst Ärger. Abgesehen davon wüssten es eh alle am nächsten Tag, wenn ich mal betrunken wäre.“
Petersen passierte das jedes Jahr, dass „ich mal bei einem großen Fest wie einer Hochzeitsfeier einen über den Durst trinke. Wenn ich zwei Wochen später bei einem Ligaspiel nicht gut war, schimpften die Leute über mich.“ Auch auf den Färöern gebe es Menschen, die eifersüchtig auf den Erfolg der Fußballer seien, und manche würden sogar „böse Gerüchte über Spieler gegnerischer Klubs streuen, um die Spieler zu verunsichern“. So geht es nicht nur Fußballern. So geht es auch Politikern und allen, die irgendwie herausstechen aus der Masse. Man kennt das ja.
Und dann gibt es noch die Probleme, die sehr engstirnige Färinger machen: Sie grenzen Homosexuelle aus. In Tórshavn wurde 2006 ein junger Homosexueller verprügelt, und danach haben ihn die Täter auch noch übel beschimpft. Der junge Mann musste in einer psychiatrischen Klinik behandelt werden, schrieb die dänische Zeitung Politiken. Kaum hatte sich die Tat in der Stadt herumgesprochen, sei es zu einer Art verbalen Treibjagd auf Homosexuelle gekommen: Schwule und Lesben seien schikaniert worden, derbe Verwünschungen seien gegen sie gerichtet worden, Morddrohungen gar. Der sozialdemokratische Regierungschef Jóannes Eidesgaard sprach von „mittelalterlichen Zuständen“. Es müsse eine permanente öffentliche Debatte über die Diskriminierung von Homosexuellen geführt werden, sagte er der Süddeutschen Zeitung. „Ich sehe keinen anderen Weg, die Stimmung zu verändern.“
Premier Eidesgaard war im Dezember 2005 mit einer Verfassungsänderung, die Homosexuelle schützen sollte, im Parlament gescheitert. Er wollte, dass der Antidiskriminierungsparagraf 266b auf Lesben und Schwule ausgeweitet werden sollte. Die Mehrheit der Abgeordneten stimmte dagegen, viele gaben religiöse Gründe an. Die Gegner hatten 58 Prozent der Bevölkerung hinter sich. Manche Homosexuelle zogen ihre Konsequenzen: Sie verließen die Färöer.
Fast 90 Prozent der Färinger sind evangelisch-lutherischen Glaubens. Viele sind angeblich sehr fromm, und bisweilen sind es ausgerechnet Priester, welche die Vorurteile über Lesben und Schwule zusätzlich befeuern. Im Dezember 2005 rückte der Priester Mogens Tilsted Christensen in einem Leserbrief Homosexuelle in die Nähe von Vergewaltigern und Kinderschändern und forderte, dass Homosexuelle auf den Färöern nicht zu Lehrern oder Pädagogen ausgebildet werden dürfen. Er wurde von den Mitgliedern einer Rockband verklagt.
Die Gegner einer Gesetzesänderung argumentierten im Dezember 2005 damit, dass sie „direkt gegen die Hauptregeln der Bibel gehe, auf denen die färingische Gesellschaft aufgebaut“ sei. Zudem könnten Zugeständnisse an die Homosexuellen zum nächsten Schritt führen, den man unmöglich gutheißen könne: zur Registrierung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften.
Das Mutterland Dänemark erlaubte die eheähnliche Gemeinschaft zwischen Homosexuellen bereits im Jahr 1989, als erstes Land der Erde – und ein Jahr, bevor sich die Färöer auf die Weltkarte schossen.
Als die Färöer am 12. September 1990 Österreich 1:0 besiegten, saß in Moskau ein Mann vor dem Radio. Ivan Moskalenko hörte die Nachrichten auf BBC World Service, die Meldung des Ergebnisses aus Schweden veränderte sein Leben. Er fing an, sich für diese Inseln