»Wer hätte das je erwartet! Vor einem Monat hab ich selber ja noch nichts davon geahnt! Was für unglaubliche Dinge doch geschehen!«
»Das kann man wohl sagen; wenn Miss Smith und Mr. Elton zusammenkommen – ja, das ist fast unglaublich. Das geschieht nicht alle Tage, daß etwas so offensichtlich, so handgreiflich Wünschenswertes, und was obendrein den heimlichsten Gedanken eines andern entspricht, gleich in der rechten Form in Erfüllung geht. Du und Mr. Elton seid durch eure gesellschaftliche Stellung füreinander geschaffen, durch alle eure häuslichen Umstände gehört ihr zusammen. Eure Heirat wird der Ehe von Randalls gleichen. Es ist geradezu, als ob in Hartfield etwas in der Luft läge, was die Liebe in die rechte Richtung weist, was ihren Strom dahin lenkt, wohin er soll.
›Nie nahm die wahre Liebe glatten Lauf . . .‹
In einer Hartfield-Ausgabe von Shakespeare müßte diese Stelle eine lange Fußnote bekommen.«
»Daß Mr. Elton sich aber auch in mich verlieben würde! Von allen Leuten gerade in mich! An Michaeli hatte ich noch nicht einmal ein Wort mit ihm gesprochen! Und er, der schönste Mann, den man je gesehen hat, zu dem jeder aufblickt, ganz wie zu Mr. Knightley! Seine Gesellschaft ist so begehrt, daß jeder sagt, er brauchte nicht eine einzige Mahlzeit allein einzunehmen, wenn er nicht wollte, er bekäme mehr Einladungen, als die Woche Tage hat. Und so herrlich in der Kirche! Miss Nash hat alle seine Predigten aufgeschrieben, seit er in Highbury ist. Du lieber Himmel! Wenn ich daran denke, wie ich ihn zum erstenmal sah! Wie ahnungslos! Die beiden Abbots und ich liefen ins vordere Zimmer und lugten durch den Fensterladen, als wir hörten, er käme vorbei, und Miss Nash kam auch und schimpfte und schickte uns weg und blieb selber da, um zu gucken. Aber sie rief mich gleich zurück und ließ mich auch gucken, das war sehr nett von ihr. Wir fanden ihn so schön! Er ging Arm in Arm mit Mr. Cole.«
»Wer auch, was auch deine Angehörigen sein mögen, über diesen Bund werden sich alle freuen, vorausgesetzt, daß sie gesunden Menschenverstand haben – und nach törichten Leuten brauchen wir uns ja nicht zu richten. Wenn ihnen daran liegt, dich glücklich verheiratet zu sehen, so ist hier der Mann, der mit seinem Wesen in jeder Weise dafür bürgt. Wenn sie möchten, daß du in derselben Gegend, in demselben Kreise, den sie für dich ausgesucht haben, Wurzel schlägst, so wird auch das hiermit erfüllt. Und wenn sie nichts anderes für dich wollen, als was man gewöhnlich eine gute Partie nennt, so haben wir hier das ausreichende Vermögen, die angesehene Position, den Aufstieg in der Welt, die sie befriedigen müssen.«
»Ja, wahrhaftig. Wie hübsch Sie das sagen! Ich höre Ihnen so gern zu. Sie verstehen alles, Sie und Mr. Elton sind einer so klug wie der andre. Diese Scharade! Wenn ich mir ein Jahr lang den Kopf zerbräche, brächte ich so etwas nicht zuwege.«
»So, wie er sich gestern weigerte, dachte ich mir schon, daß er sein Heil versuchen würde.«
»Ich finde, es ist ohne Ausnahme die schönste Scharade, die ich je gelesen habe.«
»Wenigstens habe ich nie eine gelesen, die uns so zupaß kam.«
»Sie ist nochmal so lang wie fast alle andern, die wir bis jetzt haben.«
»In ihrer Länge seh ich nicht gerade einen besonderen Vorzug. So etwas kann im allgemeinen nicht kurz genug sein.«
Harriet war zu sehr in die Verse vertieft, um zuzuhören. Dabei kamen ihr höchst befriedigende Vergleiche.
»Es sind zwei ganz verschiedene Dinge«, sagte sie dann mit glühenden Wangen, »ob einer gewöhnlichen Verstand hat wie jeder andre auch und, wenn etwas zu sagen ist, sich hinsetzt und einen Brief schreibt und kurz und bündig sagt, was er will – oder ob einer solche Verse und Scharaden dichtet.«
Eine feurigere Abfuhr für Mr. Martins Prosa hätte Emma sich nicht wünschen können.
»Was für süße Verse, die beiden letzten!« fuhr Harriet fort. »Aber wie soll ich es je über mich bringen, ihm den Zettel zurückzugeben und zu sagen, ich hätte das Rätsel gelöst? Ach, Miss Woodhouse, wie sollen wir das nur machen?«
»Überlaß das nur mir. Tu du gar nichts. Er kommt sicherlich heute abend, und dann gebe ich es ihm zurück, und wir werden irgendwelchen Unsinn schwatzen. Du wirst gar nicht hineingezogen. Im rechten Augenblick werden deine sanften Augen ganz von selber strahlen. Verlaß dich auf mich.«
»Ach, Miss Woodhouse, wie schade, daß ich die schöne Scharade nicht in mein Buch schreiben darf! Ich habe doch keine, die auch nur von ferne an sie heranreicht.«
»Laß die beiden letzten Zeilen weg, dann besteht kein Grund, sie nicht in dein Buch zu schreiben.«
»Aber die beiden letzten Verse sind doch . . .«
»Die allerschönsten. Zugegeben – für dein Privatvergnügen. Behalt sie zu deinem Privatvergnügen. Weißt du, sie sind darum nicht weniger geschrieben, weil du sie abtrennst. Die letzte Strophe ist ja darum nicht aus der Welt, an ihrer Bedeutung ändert sich nichts. Ohne sie fällt nur die Zueignung weg, und es bleibt eine sehr hübsche, galante Scharade übrig, die sich für jede Sammlung eignet. Glaub mir, er möchte seine Scharade ebensowenig geringschätzig behandelt sehen wie seine Leidenschaft. Ein verliebter Poet muß in beiden Eigenschaften ermutigt werden oder in keiner. Gib mir das Buch, ich will sie einschreiben, dann kann niemand sie auf dich beziehen.«
Harriet ergab sich darein, obwohl ihr Gefühl die beiden Teile kaum auseinanderzuhalten vermochte und sie nicht ganz sicher war, ob ihre Freundin nicht eine Liebeserklärung in das Büchlein schrieb. Die Scharade schien ihr zu kostbar für fremde Augen.
»Nie werde ich das Buch aus der Hand geben!« sagte sie.
»Schön«, erwiderte Emma, »ein ganz natürliches Gefühl, und je länger es dauert, je mehr soll’s mich freuen. Aber da kommt mein Vater. Du hast doch nichts dagegen, daß ich ihm die Scharade vorlese? Sie wird ihm großes Vergnügen machen. Er hat so etwas sehr gern, vor allem, wenn darin eine Huldigung für die Frauen liegt. Er ist von der zartesten Galanterie für uns alle beseelt! Du mußt mir erlauben, sie ihm vorzulesen.«
Harriet blickte bedenklich drein.
»Meine liebe Harriet, du darfst dir aus diesen Rätselreimen aber auch nicht gar zu viel machen! Du wirst dich noch in unschicklicher Weise verraten, wenn du sie dir zu sehr zu Herzen nimmst und voreilig bist und ihnen mehr Bedeutung beimißt, oder auch nur die Bedeutung, die er hineingelegt haben mag. Laß dich doch nicht von einem so kleinen Zeichen der Verehrung so überwältigen! Wenn er ein Geheimnis daraus machen wollte, hätte er den Zettel nicht in meinem Beisein liegenlassen; er hat ihn sogar eher mir als dir hingeschoben. Wir wollen die Sache nicht zu feierlich nehmen. Er ist genug ermutigt, um weiterzugehen, ohne daß wir uns über dieser Scharade die Seele aus dem Leibe seufzen.«
»Ach nein! Ich hoffe, ich mache mich ihretwegen nicht lächerlich. Tun Sie, was Sie für richtig halten.«
Mr. Woodhouse trat ein und brachte bald selber die Sache wieder zur Sprache, indem er seine häufige Frage wiederholte: »Nun, meine Lieben, wie geht es mit eurem Büchlein voran? Habt ihr etwas Neues?«
»Ja, Papa, wir haben Ihnen etwas vorzulesen, etwas ganz Neues. Heute morgen fand sich ein Zettel auf dem Tisch – eine Fee muß ihn da hingelegt haben, und darauf steht eine nette Scharade, die wir soeben eingetragen haben.«
Sie las sie, wie er alles gern vorgelesen hatte, langsam und deutlich und zwei-, dreimal von vorn bis hinten, jeden Teil einzeln erklärend, bevor sie weiterlas, und er fand großes Gefallen daran; vor allem war er, wie sie vorausgesehen hatte, von der Huldigung am Schluß beeindruckt.
»Ach ja, das ist sehr richtig, fürwahr, sehr treffend gesagt. Sehr wahr. ›Die holde Frau . . .‹ Es ist eine so hübsche Scharade, mein Liebes, daß ich leicht errate, welche Fee sie gebracht hat – niemand anders als du, Emma, kann etwas so Hübsches geschrieben haben.«
Emma nickte nur und lächelte vor sich hin.