»O nein! Und es ist ja auch nur ein kurzer Brief.«
Emma bedauerte den schlechten Geschmack ihrer Freundin, ging aber darüber hinweg mit einem »Das ist wahr«, und fügte dann hinzu, für die bäurischen Manieren, die Harriets Gefühl täglich und stündlich verletzen würden, wäre es ein schwacher Trost, daß ihr Mann einen schönen Brief schreiben könne.
»Ach ja! Was liegt schon an einem Brief! Die Hauptsache ist, unter netten Freunden immer glücklich zu sein. Ich bin fest entschlossen, ihm einen Korb zu geben. Aber wie soll ich das machen? Was soll ich sagen?«
Emma versicherte ihr, die Antwort sei nicht schwierig, und riet ihr, sie sofort zu schreiben, womit Harriet in der Hoffnung auf ihren Beistand einverstanden war. Emma wiederholte zwar, sie brauche keinen Beistand, half ihr aber in Wirklichkeit bei jedem Satz. Denn Harriet überflog seinen Brief noch einmal, während sie sich über die Antwort den Kopf zerbrach, und das hatte eine so herzerweichende Wirkung, daß es dringend nötig wurde, ihr mit ein paar entschiedenen Wendungen den Rücken zu stärken. Die Vorstellung, daß sie ihm einen Schmerz zufügte, ging ihr so nahe, und sie machte sich soviel Gedanken darüber, was seine Mutter und seine Schwestern sagen und denken würden, und daß sie sie für undankbar halten könnten, war ihr so quälend, daß Emma sich sagte, wenn der junge Mann in diesem Augenblick vor Harriet erschienen wäre, hätte sie ihn schließlich doch genommen.
Der Brief wurde geschrieben, gesiegelt und abgeschickt. Die Sache war abgetan und Harriet gerettet. Sie war den ganzen Abend über ziemlich niedergeschlagen, aber Emma hatte Nachsicht mit ihrem rührenden Kummer und linderte ihn, indem sie ihr immer wieder sagte, wie lieb sie sie habe, und ihr ab und zu Mr. Elton wieder in Erinnerung brachte.
»Sie werden mich nie mehr nach Abbey Mill einladen«, sagte Harriet in sehr bekümmertem Ton.
»Und wenn, dann könnte ich dich schwerlich entbehren. Wir brauchen dich in Hartfield viel zu sehr, um dich an Abbey Mill abzutreten.«
»Und ich möchte auch gar nicht mehr hin. Ich bin ja doch nirgends glücklich als in Hartfield.« Und nach einer Weile: »Ich glaube, Mrs. Goddard wäre sehr erstaunt, wenn sie das wüßte, und sicher auch Miss Nash – denn Miss Nash findet ihre Schwester schon sehr gut verheiratet, und die hat doch nur einen Leinwandhändler.«
»Eine Schullehrerin, die mehr Stolz und feinen Geschmack hätte, könnte einem ja auch leid tun, Harriet. Miss Nash würde dich bestimmt um eine solche Heiratsmöglichkeit beneiden. Schon diese Eroberung wäre in ihren Augen ein Himmelsgeschenk. Daß gar noch etwas Feineres für dich in Frage kommt, würde ihr wahrscheinlich nicht im Traum einfallen. Daß ein gewisser Jemand ein Auge auf dich geworfen hat, dürfte noch kaum bis zu den Klatschbasen von Highbury gedrungen sein. Bisher, glaube ich, sind du und ich die einzigen, denen seine Blicke und sein Benehmen etwas verraten.«
Harriet errötete und lächelte und murmelte etwas von Verwunderung, daß man sie so gern habe. Der Gedanke an Mr. Elton wirkte jedenfalls ermunternd. Doch nach einer Weile regten sich in ihr wieder zärtliche Gefühle für den verschmähten Mr. Martin.
»Jetzt hat er meinen Brief«, sagte sie leise. »Ich möchte wissen, was sie nun alle tun . . . ob er es seinen Schwestern sagt . . . Wenn er unglücklich ist, werden sie auch unglücklich sein. Hoffentlich nimmt er’s sich nicht so zu Herzen.«
»Komm, laß uns lieber an einen abwesenden Freund denken, der etwas Erfreulicheres zu tun hat«, rief Emma. »Vielleicht zeigt Mr. Elton in diesem Augenblick dein Bild seiner Mutter und seinen Schwestern und erzählt ihnen, wieviel schöner noch das Original ist, und wenn sie ihn fünf- oder sechsmal gefragt haben, dürfen sie auch deinen Namen erfahren, deinen einzig geliebten Namen.«
»Mein Bild? Aber er hat doch mein Bild in der Bond Street gelassen.«
»So, meinst du? Dann müßte ich Mr. Elton sehr verkennen. Nein, meine liebe, bescheidene kleine Harriet, verlaß dich drauf, das Bild wird nicht in die Bond Street gebracht vor morgen, kurz bevor er wieder zu Pferde steigt. Es wird ihm heute den ganzen Abend über Gesellschaft leisten, sein Trost, sein Entzücken. Es enthüllt seiner Familie, was er vorhat, es führt dich bei ihnen ein, es erregt die schönsten Empfindungen, die es für uns Frauen gibt – sie brennen jetzt vor Neugier und sind dir schon im voraus herzlich zugetan. Wie fröhlich, wie lebhaft, wie geschäftig mag ihre Phantasie jetzt arbeiten und sich in Vermutungen ergehen!«
Da lächelte Harriet wieder, und ihr Gesicht erhellte sich mehr und mehr.
Achtes Kapitel
Diese Nacht schlief Harriet in Hartfield. Seit ein paar Wochen hatte sie mehr als die Hälfte ihrer Zeit dort verbracht, und allmählich war man dazu übergegangen, ihr ein eigenes Schlafzimmer einzurichten. Emma hielt es in jeder Hinsicht für das Beste, Sicherste und Freundschaftlichste, sie gegenwärtig soviel wie möglich bei sich zu behalten. Am nächsten Morgen mußte sie für ein oder zwei Stunden zu Mrs. Goddard gehen, dann aber sollte vereinbart werden, daß sie zu einem regelrechten Besuch von ein paar Tagen nach Hartfield käme.
Während ihrer Abwesenheit kam Mr. Knightley und saß eine Weile bei Mr. Woodhouse und Emma, bis ihr Vater, der einen Spaziergang vorgehabt hatte, sich von ihr überreden ließ, ihn nicht aufzuschieben, und auf die Bitten beider – freilich gegen seine Höflichkeitsbedenken – schließlich Anstalten machte, sich von Mr. Knightley zu verabschieden. Mr. Knightley in seiner unzeremoniellen Art bot mit seinen kurzen, bündigen Antworten einen amüsanten Kontrast zu den endlosen Entschuldigungen und umständlichen Artigkeiten des andern.
»Nun gut, wenn Sie mich entschuldigen wollen, Mr. Knightley, und mich nicht für einen Grobian halter, will ich Emmas Rat befolgen und ein Viertelstündchen ausgehen. Da die Sonne herausgekommen ist, will ich meine drei Runden machen, solange sie scheint. Ihnen gegenüber bin ich ganz unzeremoniell, Mr. Knightley. Wir gebrechlichen Leute meinen immer, wir dürften uns Privilegien herausnehmen.«
»Mein lieber Mr. Woodhouse, behandeln Sie mich doch nicht wie einen Fremden.«
»Ich lasse Ihnen einen vortrefflichen Stellvertreter in meiner Tochter hier. Emma wird es eine Freude sein, Sie zu unterhalten. Und so will ich Sie denn bitten, mich zu entschuldigen, und meine drei Runden machen, meinen Winterspaziergang.«
»Sie können nichts Besseres tun, Sir.«
»Ich würde Sie um das Vergnügen Ihrer Gesellschaft bitten, Mr. Knightley, aber ich gehe sehr gemächlich, bei meinem Schritt würden Sie sich langweilen; und außerdem haben Sie ja bis Donwell Abbey noch einen weiten Weg vor sich.«
»Danke, Sir. In ein paar Minuten muß ich selber aufbrechen, und ich glaube, je eher Sie gehen, desto besser. Ich will Ihren Mantel holen und Ihnen das Gartentor öffnen.«
Endlich war Mr. Woodhouse gegangen. Aber Mr. Knightley, statt sich ebenfalls gleich auf den Weg zu machen, setzte sich wieder und schien geneigt, noch ein Weilchen zu plaudern. Er fing von Harriet an und sprach so lobend über sie, wie Emma ihn nie gehört hatte.
»Ich bin von ihrer Schönheit nicht so berückt wie Sie, aber sie ist ein hübsches kleines Geschöpf und mit guten Anlagen, möchte ich glauben. Ihr Charakter hängt zwar von den Menschen ab, mit denen sie umgeht, aber in guten Händen wird sie sich zu einer wertvollen Frau entwickeln.«
»Ich freue mich, daß Sie so denken; und an guten Händen fehlt es ja wohl nicht.«
»Kommen Sie«, sagte er, »Sie sind auf ein Kompliment erpicht; so will ich gern sagen, Sie haben sie gefördert. Sie haben ihr das Schulmädchengekicher ausgetrieben; sie macht Ihnen wirklich Ehre.«
»Danke. Es wäre mir auch bitter, wenn ich glauben müßte, ich hätte ihr nicht genützt. Aber wer lobt einen denn, wenn man einmal ein Lob verdient? Sie wenigstens überhäufen mich nicht oft damit.«
»Sie erwarten sie noch heute vormittags zurück, sagten Sie?«
»Jeden Augenblick. Sie bleibt schon länger aus, als sie wollte.«
»Wer weiß, was sie aufgehalten hat? Vielleicht hat sie Besuch bekommen.«
»Stadtklatsch