E.1ABER ERHOLT SICH DIE US-WIRTSCHAFT DENN NICHT?
Von Juli 2009 bis Ende 2010 vermeldete die US-Wirtschaft Zuwächse beim BIP – das heißt Anzeichen von Wachstum. Mitte 2010 lag das nominale BIP wieder über den Werten vor der Rezession und das inflationsbereinigte BIP ziemlich genau auf dem Wert vor der Rezession.7 Dieser Anstieg folgte auf einen Rückgang des BIP von Dezember 2007 bis Juni 2009.8
Doch wie wir in Kapitel 6 sehen werden, ist das BIP ein schlechter Maßstab für die generelle Gesundheit einer Volkswirtschaft. Zwar hat das BIP seine früheren Werte wieder erreicht, doch die US-amerikanische Wirtschaft hat sich fundamental verändert: Die Arbeitslosigkeit ist viel höher, und die Steuereinnahmen der Bundes und der Einzelstaaten sind eingebrochen. Einige Ökonomen definieren diesen Zustand vielleicht technisch als eine in Erholung und Wachstum begriffene Volkswirtschaft, aber eine gesunde Volkswirtschaft ist es gewiß nicht.
Überdies verdankt sich ein Großteil dieses scheinbaren Wachstums den enormen Geldspritzen und Rettungspaketen der Regierung in Washington. Wenn man diese Summen abzieht, bleibt vom Wirtschaftswachstum etwa der letzten zwei Jahre praktisch nichts übrig.
Ausgehend von der historischen Analyse früherer Finanzkrisen kommen die Ökonomen Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff zu dem Schluß, die Wirtschaftskrise des Jahres 2008 werde
»… tiefe und bleibende Auswirkungen auf Vermögenspreise, Produktion und Beschäftigung haben. Die Arbeitslosenzahlen werden über fünf Jahre weiter steigen und die Immobilienpreise über sechs Jahre weiter fallen. Positiv ist zu vermerken, daß Produktionsrückgänge im Durchschnitt nur zwei Jahre anhalten. Selbst Rezessionen, die durch Finanzkrisen verursacht wurden, enden schließlich, allerdings fast immer unweigerlich begleitet von einer massiven Erhöhung der Staatsverschuldung … Die globale Natur der [gegenwärtigen] Krise wird es für viele Länder sehr viel schwieriger machen, sich durch höhere Exporte daraus zu befreien oder die Auswirkungen auf den Konsum durch Kreditaufnahme im Ausland zu mildern. Unter solchen Umständen ist damit zu rechnen, daß es mit der gegenwärtigen Ruhe bei Staatsbankrotten bald vorbei sein wird.«9
Diese Analyse betrachtet jedoch nur die finanziellen Aspekte der Krise und geht nicht auf die grundsätzlicheren Probleme bei Energie, Ressourcen und Umwelt ein. Die 2009 begonnene »Erholung« fand vor dem Hintergrund gesunkener Energiepreise statt, die gegenüber ihrem Höhepunkt Mitte 2008 deutlich zurückgegangen waren. Doch als die Konsumentennachfrage Ende 2010 zaghafte Ansätze einer Wiederbelebung zeigte, kletterten die Ölpreise sofort wieder. Wenn diese »Erholung« weitergeht, werden die Energiepreise noch höher steigen, und die Wirtschaft wird wieder schrumpfen.
Kurz gesagt: Es mag sein, daß die US-Wirtschaft für die Jahre 2009 bis 2010 Wachstum (im technischen Sinn) vermeldet hat, aber sie läuft in einem grundsätzlich anderen Modus als zuvor: Sie ist sehr viel mehr von Ausgaben der Regierung (im Gegensatz zu Ausgaben der Konsumenten) abhängig, und sie ist eine Geisel der Energiepreise.
Grafik 2. Wirtschaftswachstum und Arbeitslosigkeit, 2006–2010. Als die US-Wirtschaft infolge der Finanzkrise 2008 schrumpfte, fiel das Wachstum in den negativen Bereich, und die Arbeitslosenquote stieg steil an.
Quelle: US Bureau of Labor Statistics, US Bureau of Economic Analysis.
Grafik 3. Wirtschaftswachstum, Stimulus- und Rettungspakete. »Rettung und Stimulus« bezieht sich auf das amerikanische TARP-Programm (Troubled Asset Relief Program, Programm zur Stabilisierung des Finanzsektors) und auf den American Recovery and Reinvestment Act (Konjunkturprogramm der Regierung Obama; Anm. d. Übers.) von 2009. Wie die Kurve zeigt, waren diese staatlichen Ausgaben die Hauptquelle für Wirtschaftswachstum seit der Finanzkrise 2008. Was passiert, wenn die Regierung die Banken nicht mehr retten und die Wirtschaft nicht mehr stimulieren kann?
Quelle: US Bureau of Economic Analysis, The Committee for a Responsible Federal Budget.
Aber ist Wachstum nicht normal?
Volkswirtschaften sind Systeme, und als solche gehorchen sie (bis zu einem gewissen Grad) ähnlichen Regeln wie biologische Systeme. Pflanzen und Tiere wachsen schnell, wenn sie jung sind, aber ausgewachsen haben sie eine mehr oder weniger stabile Größe. Bei Organismen wird das Wachstum größtenteils von den Genen kontrolliert, allerdings spielt auch die Verfügbarkeit von Nahrung eine Rolle.
Bei Volkswirtschaften scheint das Wachstum von der Verfügbarkeit von Ressourcen abzuhängen, hauptsächlich Energie (»Nahrung« für die Industrie) und Kredit (»Sauerstoff« für die Wirtschaft) – und darüber hinaus von wirtschaftlicher Planung.
In den letzten 150 Jahren ermöglichten billige und reichlich vorhandene fossile Brennstoffe eine rasche wirtschaftliche Expansion mit einer jährlichen Rate von durchschnittlich 3 Prozent. Die Wirtschaftsplaner nahmen dies bald als selbstverständlich hin. Die Finanzsysteme verinnerlichten die Wachstumserwartung als Versprechen künftiger Renditen aus Investitionen.
Die meisten Organismen hören auf zu wachsen, wenn sie ausgereift sind. Wären Grenzen des Wachstums nicht genetisch programmiert, würden Pflanzen und Tiere an eine Reihe praktischer Hindernisse stoßen: Stellen wir uns zum Beispiel nur vor, welche Probleme ein zwei Pfund schwerer Kolibri hätte. Wenn die Analogie trägt, müssen auch Volkswirtschaften irgendwann zu wachsen aufhören. Da können die Wirtschaftsplaner (das gesellschaftliche Äquivalent zur regulierenden DNA) noch soviel Wachstum verlangen, an einem bestimmten Punkt werden immer mehr »Nahrung« und »Sauerstoff« einfach nicht mehr verfügbar sein. Oder die Abfälle sammeln sich so stark an, daß die biologischen Systeme, die der Wirtschaftstätigkeit zugrunde liegen (wie Wälder, Anbauflächen und die Menschen), erstickt und vergiftet werden.
Doch viele Ökonomen sehen das nicht so, wahrscheinlich deshalb, weil die heute gültigen ökonomischen Theorien in der historischen Ausnahmephase anhaltenden Wachstums formuliert wurden, die nun zu Ende geht. Die Ökonomen verallgemeinern nur ihre Erfahrung: Sie können auf Jahrzehnte stetigen Wachstums in der jüngsten Vergangenheit verweisen und projizieren das in die Zukunft.10 Außerdem haben sie Theorien, die erklären, warum moderne Marktwirtschaften gegen Grenzen, wie sie natürliche Systeme kennen, immun sind: Die beiden wichtigsten Theorien drehen sich um Substitution und Effizienz.
Wenn eine nützliche Ressource knapp wird, steigt ihr Preis, und das schafft einen Anreiz für die Nutzer der Ressource, Ersatz zu suchen. Wenn zum Beispiel der Ölpreis ein bestimmtes Niveau erreicht, kommen die Energieunternehmen vielleicht auf die Idee, flüssige Brennstoffe aus Kohle zu erzeugen. Oder sie werden andere Energiequellen erschließen, von denen wir heute noch nicht einmal träumen. Viele Ökonomen vertreten die Auffassung, daß dieser Substitutionsprozeß immer so weitergehen könne. Er ist Teil der Magie des freien Marktes.
Die Effizienz zu steigern bedeutet, mehr mit weniger Aufwand zu erreichen. In den Vereinigten Staaten ist der Dollarerlös pro verbrauchter Energieeinheit in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich gestiegen.11 Zum Teil ist die Effizienzsteigerung auf Produktionsverlagerungen in andere Länder zurückzuführen – diese Länder verbrennen dann Kohle, Öl und Gas bei der Herstellung unserer Produkte. (Würden wir unsere Laufschuhe und LCD-Fernseher selbst produzieren, würden wir die Brennstoffe im eigenen Land verbrauchen.)12 Die Ökonomen verweisen noch auf eine andere, verwandte Form der Effizienz, die weniger mit Energie zu tun hat (zumindest im direkten Sinn): die Suche nach den billigsten Quellen für Rohstoffe und den Orten, wo die Arbeitskräfte entweder besonders produktiv sind oder für besonders