Unterdessen sind mit den seit Jahrzehnten aufgehäuften Schulden alle Voraussetzungen für einen Jahrhundertcrash geschaffen – wir sehen es um uns herum; der Crash hat das Potential, erhebliche politische Unruhe und viel Leid für die Menschen zu bringen.
Das Ergebnis: Wir erleben einen perfekten Sturm aus gleichzeitigen Krisen, die zusammen einen Wendepunkt in der Geschichte der Menschheit markieren. Wir sind Zeugen und Beteiligte bei der Wende von Jahrzehnten des wirtschaftlichen Wachstums zu Jahrzehnten einer schrumpfenden Wirtschaft.
Das Ende des Wachstums kommt eigentlich nicht überraschend
Der Gedanke, daß das Wachstum irgendwann in diesem Jahrhundert enden wird, ist nicht neu. Bereits 1972 erschien ein Buch mit dem Titel Die Grenzen des Wachstums, es wurde zu dem ökologischen Bestseller schlechthin.1
Das Buch basierte auf den ersten Versuchen, in Computermodellen das wahrscheinliche Zusammenspiel der Veränderungen bei Ressourcen, Konsum und Bevölkerungsentwicklung abzubilden. Außerdem war es die erste große wissenschaftliche Untersuchung, die die Annahme infrage stellte, das Wirtschaftswachstum könne und werde in der absehbaren Zukunft mehr oder weniger ungebrochen weitergehen.
Damals klang das ketzerisch – und heute immer noch. Die Vorstellung, daß das Wachstum über einen bestimmten Punkt hinaus nicht weitergehen kann und nicht weitergehen wird, war für manche Kreise höchst ärgerlich, und bald schon wurde Die Grenzen des Wachstums durch Wirtschaftsinteressen, die auf Wachstum setzen, »entlarvt«. Tatsächlich beschränkte sich die »Entlarvung« darauf, ein paar Zahlen in dem Buch vollständig aus dem Zusammenhang zu reißen, sie als »Vorhersagen« (was sie ausdrücklich nicht waren) zu deklarieren und dann zu erklären, die Vorhersagen seien nicht eingetroffen.2 Der Trick wurde rasch aufgedeckt, aber Widerlegungen bekommen oft nicht annähernd so viel Aufmerksamkeit wie Anklagen, und bis heute glauben Millionen Menschen, es sei seit langem klar, daß das Buch nicht glaubwürdig sei. In Wahrheit haben sich die Szenarien aus dem Buch ganz gut behauptet. (Kürzlich kam eine Untersuchung der Australian Commonwealth Scientific and Industrial Research Organization, CSIRO, zu dem Schluß: »[Unsere] Analysen zeigen, daß die Daten aus 30 Jahren ziemlich gut dazu passen, wie [in Die Grenzen des Wachstums] die Weiter-So-Szenarien beschrieben werden …«)3
Grafik 1. Das Szenario »Grenzen des Wachstums«.
Quelle: Grenzen des Wachstums – Das 30-Jahre-Update (2006), S. 260.
Die Autoren fütterten ihre Computer mit Daten zum Bevölkerungswachstum, zu Konsumtrends und den Vorräten an wichtigen Ressourcen, ließen dann die Modellrechnungen laufen und folgerten am Schluß, das Ende des Wachstums werde irgendwann zwischen 2010 und 2050 erreicht sein. Von da an werde die Industrie- und Nahrungsmittelproduktion sinken und die Bevölkerungszahl zurückgehen.
Das Szenario aus Die Grenzen des Wachstums wurde in den Jahren nach der Veröffentlichung des Buchs wiederholt durchgespielt, mit immer raffinierterer Software und aktualisierten Daten. Die Ergebnisse waren jedesmal ähnlich.4
Warum ist Wachstum so wichtig?
In den letzten beiden Jahrhunderten entwickelte sich das Wirtschaftswachstum zum praktisch einzigen Index für das Wohlergehen eines Landes. Wenn die Wirtschaft wuchs, entstanden neue Jobs, und Investitionen brachten hohe Renditen. Wenn die Wirtschaft vorübergehend nicht wuchs, wie während der Weltwirtschaftskrise, führte das zu einem finanziellen Aderlaß.
In diesem Zeitraum nahm die Weltbevölkerung zu – von unter zwei Milliarden Menschen im Jahr 1900 auf über sieben Milliarden heute, jedes Jahr kommen rund 70 Millionen neue »Konsumenten« hinzu. Deshalb ist künftiges Wirtschaftswachstum noch wichtiger: Wenn die Wirtschaft stagniert, können pro Kopf weniger Güter und Dienstleistungen zirkulieren.
Wir bauen auf Wirtschaftswachstum, wenn es um die »Entwicklung« der ärmsten Volkswirtschaften geht. Ohne Wachstum müssen wir ernsthaft die Möglichkeit in Erwägung ziehen, daß Hunderte Millionen – vielleicht Milliarden – Menschen niemals beim Konsum den Lebensstandard der Menschen in den Industrieländern erreichen werden. Künftig werden sich die Bemühungen, die Lebensqualität in den armen Ländern zu verbessern, viel mehr auf Faktoren wie kulturelle Möglichkeiten, politische Freiheiten und staatsbürgerliche Rechte konzentrieren müssen und weniger auf das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP).
Überdies haben wir Währungs- und Finanzsysteme geschaffen, die Wachstum erfordern. Solange die Wirtschaft wächst, sind Geld und Kredit verfügbar, die Erwartungen sind hoch, die Menschen kaufen mehr Waren, die Unternehmen leihen sich mehr Geld, und vorhandene Kredite können bedient werden.5 Aber wenn die Wirtschaft nicht wächst, fließt kein neues Geld in das System, und die Zinsen können nicht bezahlt werden. In der Folge gehen Unternehmen reihenweise bankrott, Arbeitsplätze verschwinden, die Einkommen sinken, und die Konsumenten geben weniger Geld aus – was die Unternehmen veranlaßt, weniger Kredite aufzunehmen, wodurch noch weniger Geld in den Wirtschaftskreislauf gelangt. Diese sich selbst verstärkende negative Feedbackschleife ist schwer zu durchbrechen.
Mit anderen Worten: Unsere Marktwirtschaft kennt keinen »stabilen« oder »neutralen« Zustand, es gibt nur Wachstum oder Schrumpfen. Und »Schrumpfen« ist manchmal nur ein harmloserer Name für Rezession oder Krise – eine lange Phase von Arbeitsplatzverlusten, Zwangsvollstreckungen, Insolvenzen und Bankrotten.
Weil wir mittlerweile so an Wachstum gewöhnt sind, wissen wir kaum noch, daß es sich dabei um ein ziemlich neues Phänomen handelt.
In den letzten Jahrtausenden sind Imperien aufgestiegen und zusammengebrochen, lokal hat die Wirtschaft Fortschritte gemacht oder Rückschritte – während die Weltwirtschaft insgesamt nur langsam expandierte und immer wieder Rückschläge erlitt. Doch dank der durch die fossilen Brennstoffe ausgelösten Revolution in den letzten eineinhalb Jahrhunderten erlebten wir Wirtschaftswachstum in einem Tempo und einer Größenordnung, wie es das in der Geschichte der Menschheit bisher noch nicht gegeben hat.6 Wir nutzten die Energie aus Kohle, Öl und Gas, um Autos, Lastwagen, Autobahnen, Flughäfen, Flugzeuge und Stromnetze zu bauen und zu betreiben – all die Dinge, ohne die eine moderne Industriegesellschaft nicht funktionieren kann. Durch den nicht wiederholbaren Vorgang, die Kraft von Jahrmillionen chemisch gespeichertem Sonnenlicht zu extrahieren und zu verbrennen, errichteten wir eine Maschinerie, die (einen kurzen, strahlenden Augenblick lang) immerwährendes Wachstum zu verheißen schien. Nach und nach hielten wir eine außerordentliche Situation für selbstverständlich. Sie wurde normal für uns.
Doch nun, da die Ära der billigen, reichlich vorhandenen fossilen Brennstoffe zu Ende geht, werden unsere Vorstellungen von permanenter Expansion bis in den Kern erschüttert. Das Ende des Wachstums ist in der Tat ein kritisches Ereignis. Es bedeutet das Ende einer Ära und das Ende der Art und Weise, wie wir bisher unsere Wirtschaft, unsere Politik und unseren Alltag organisiert haben.
Es ist lebenswichtig, daß wir die Bedeutung dieses historischen Augenblicks erkennen und begreifen: Wenn wir wirklich das Ende des Zeitalters der von fossilen Brennstoffen getriebenen Expansion erreicht haben, dann sind alle Bestrebungen der politisch Verantwortlichen, weiter trügerischem Wachstum nachzujagen, nichts anderes als eine Flucht vor der Realität. Wenn die politisch Verantwortlichen weltweit Illusionen über unsere Situation hegen, werden sie den Aufbau der Unterstützungssysteme hinauszögern, die das Leben in einer Wirtschaft ohne Wachstum erträglich machen können, und sie werden ziemlich sicher die erforderlichen grundlegenden Veränderungen in den Bereichen Währung, Finanzen,