Zwei Dinge jedoch ließen sich mit Gewissheit feststellen, und das sorgte für unendliche Erleichterung im Kuppelsaal des Nordost-Turms auf dem größten Raumhafen von Terrania City.
Erstens funktionierte das neue Linearraumtriebwerk und hatte die STARDUST – vor dem Umbau ein namenloses Beiboot eines Raumers der MARS-Klasse – über neun Lichtjahre in Richtung Wegasystem gebracht.
Und zweitens zeigten auch die beiden Hyperfunksender und -empfänger, die den Kuppelsaal mit der STARDUST verbanden, die besten Leistungswerte. So erscholl der Jubel zwar neun Lichtjahre voneinander entfernt, aber gleichzeitig.
Als die Begeisterung abebbte und die Techniker an Bord das Linearraumtriebwerk für die nächste Etappe vorbereiteten, saß Homer G. Adams weiterhin als stiller Beobachter – eine Rolle, in der er sich durchaus gefiel – am Rand des Raumes. In einem erstaunlich unbequemen Stuhl, was ihm wiederum nicht so gut gefiel, ihm allerdings nicht wichtig genug vorkam, sich darüber zu beschweren.
Ihn entschädigte, dass Amalia ihn begleitete.
»Das ist«, sagte sie, »das erste Mal, dass ich so etwas verfolge. Ehrlich gesagt habe ich nie einen Raumflug unternommen, ehe ich mit dir zum Mars geflogen bin.«
»Du hast Terra nie verlassen?«
»Oh, ich war einmal auf Luna, via Transmitter, als Kind, weil meine Eltern behaupteten, die Aussicht vom Mons Huygens über das Mare Imbrium wäre der schönste, den das gesamte Universum zu bieten hätte. Ein Blick aus Gold, hatte mein Vater geschwärmt. Mir wurde übel in der Höhe. Die Ebene liegt vier Kilometer tiefer, meine Güte!«
»Mehr als fünf«, verbesserte Adams automatisch.
»Jedenfalls hat mich dieses Erlebnis gelehrt, dass es mir auf der Erde besser geht. Als ich erwachsen geworden bin, habe ich auf Terra Arbeit gefunden, meinen Mann kennengelernt und ...«
»Du warst verheiratet?«
»Sind das nicht die meisten Leute irgendwann?«
»Du hast nie davon geredet.«
»Ich rede auch nie über diesen verflixt hartnäckigen Fußpilz, und trotzdem gibt es ihn. Im Unterschied zu meinem Ex-Mann.«
»Ist er gestorben?«
»Keine Ahnung. Aber für mich existiert er nicht mehr. Ziemlich hässliche Sache, die er sich geleistet hat.«
»Tut mir leid.«
»Mir auch.«
Der Start in die zweite Etappe war schon vor dem Aufbruch von Terra bestens vorbereitet worden. Er kostete nur den Austausch etlicher Aggregate – wobei nur bei der Größe und den Kosten der Maschinen zu harmlos klang. Dennoch, die Techniker der STARDUST schafften es, das Schiff in weniger als einer halben Stunde startklar zu machen und auf die nächste, erneut neun Lichtjahre währende Reise zu schicken.
Der zweite und letzte Wechsel würde einige Mühe mehr bereiten, weil weite Teile des Triebwerks gewartet und voraussichtlich repariert werden mussten. Im Wegasystem angekommen, würde vor der Rückkehr eine längere Phase anstehen, in der die Techniker die Sonnenenergie nutzten, um neue Energie zu tanken. Aber das war Zukunftsmusik. Zunächst galt es, die Hinreise zu bewältigen.
Adams und Amalia hörten ebenso wie alle anderen im Kuppelraum, wie sich Kommandant Sirius Ellant von ihnen verabschiedete und versprach, sich nach dem Rücksturz in den Normalraum sofort per Hyperfunk zu melden.
Was auch geschah, allerdings schneller als erwartet. Und nicht vom angepeilten zweiten Zwischenstopp, sondern nur etwa anderthalb Lichtjahre von der letzten Position entfernt – die Beobachter erhielten nur ungefähre Koordinaten.
Im Hintergrund heulten Alarmsirenen.
»Etwas ... es hat uns ... aus dem Linearraum geworfen!«, rief Ellant stockend. »Das Schiff ist beschädigt. Ich erhalte Bildaufnahmen von ... nein, das – bei den lepsotischen Sternengöttern, das gibt es nicht!«
»Reiß dich zusammen, wir brauchen einen klaren Bericht!« Der Missionsleiter stieß diesen Befehl keine zwanzig Meter von Homer G. Adams entfernt aus. Und doch kam es dem vor, als wäre ihm Sirius Ellant weitaus näher – er hing geradezu an den Lippen des Kommandanten.
Der Hyperfunk übertrug das Bild des entsetzt blickenden Gesichtes. »Es gibt einen Hüllenriss im unteren Bereich der Kugel! Er zieht sich über sechs Decks. Ein Hangar ist völlig zerstört. Der Riss weitet sich aus. Wir versuchen ihn mit Schutzfeldern einzudämmen. Reparaturroboter arbeiten daran. Wir sind nicht aus dem Linearraum gefallen, wir ... ich weiß, es klingt unmöglich, aber es gab eine Kollision.«
»Im Linearraum?«
»Eine Manifestation – die Orter haben das Gebilde aufgezeichnet. Es ist wie ein höherdimensionaler Eisberg, der durch den Linearraum treibt. Es ist, als ob die STARDUST das Ding angezogen hätte. Wir sind zusammengestoßen und ...«
Der Funkkontakt brach ab.
»Ellant! Kommandant, melde dich!«
Es blieb still.
*
Man hörte nie wieder von der STARDUST.
Die Positionsangabe beim letzten Hyperfunkkontakt war zu ungenau, um das Schiff – oder sein Wrack – finden zu können. Eine Mission, die den Raumer suchte, konnte erst nach einer Woche fieberhafter Vorbereitung starten und musste schließlich erfolglos abgebrochen werden.
Das Phänomen, das Kommandant Ellant als Manifestation und höherdimensionalen Eisberg bezeichnet hatte, bestätigte sich allerdings rasch.
Es fand sich überall.
Der Linearraum in dem Gefilde, in das es Terra und Luna verschlagen hatte, war davon durchsetzt. Keine Reise über einige Lichtjahre war möglich, ohne auf ein solches Phänomen zu stoßen – pures Glück, dass die STARDUST nicht schon bei ihrer ersten Etappe eine Kollision erlitten hatte.
Die Linearraummanifestationen schienen Fernreisen gänzlich zu verhindern, doch Terraner hatten sich von Schwierigkeiten noch nie aufhalten lassen.
Ingenieure entwickelten auf Basis der onryonischen Linearraumtechnologie spezielle Sonden. Diese Lookouts genannten Maschinen ermöglichten es, vor jeder Etappe den Linearraum genauestens abzusuchen, um einen Kurs zu programmieren, der durch das Linear-Labyrinth führte – ein weiterer Begriff, der rasch die Runde machte.
Trotz dieser Erschwernisse erreichte die Menschheit schließlich 1626 NGZ, nach zwölf Jahren im neuen Solsystem, das Wegasystem.
Und fand ein totes Sonnensystem vor.
Alle bekannten Planeten existierten, sogar einer mehr – was die Vermutung aufwarf, dass es diese Welt auch im Einstein-Universum gegeben hatte, sie jedoch in der Vergangenheit zerstört worden war.
Die Expedition fand zwar Ferrol, zu Hause die Heimat der Ferronen, aber an diesem Ort war es anders. Nirgends in diesem Wegasystem gab es Leben.
Das Universum blieb still.
Unbelebt.
Tot.
Diese Erkenntnis weckte ein Empfinden, das eine kollektive Depression nährte. Viele fühlten sich einsam, in einem starken, auch unlogischen Maß – umgeben von Menschenmassen auf Terra.
Doch die Gefühle scherten sich nicht um Logik, und bald breiteten sich Angststörungen wie eine Welle über den Planeten und seinen Mond aus.
In jener dunkelsten Stunde trat zum ersten Mal der Fremde in Erscheinung.