Seitdem hatte die Einsamkeit etwas wie einen weißen Kreis um Bull gezogen; nicht sichtbar für menschliche Augen, aber spürbar für menschliches Gemüt.
Eine Báalol kommandierte die Steuerstation. Warum auch nicht? Trakarat lag nah, und das Doppelsonnensystem Aptut hatte einst, ebenso wie der Archimedes-Sonnendreieck-Transmitter, zum 81. Tamanium der Lemurer gehört.
»Noch nichts Neues, Jophenna?«, fragte Fero Luuk.
Die Báalol schüttelte so kräftig den Kopf, dass ihre schulterlangen auberginefarbenen Haare flogen. »Nichts Neues«, bestätigte sie. »Der Sonnentransmitter kann weder senden noch empfangen. Wir wissen nicht, was diese Fehlfunktion verursacht. Und das seit einem Monat.« Ihre Augen verengten sich kurz, dann waren ihre Iriden wieder ganz zu sehen mit ihrem Stich ins Violette. Sie schaute Bull an. »Das Dadion-Trio? Molanc? Der Sonnendodekaeder von Kharag?«
»Alle Sonnentransmitter der Milchstraße sind außer Betrieb«, sagte Bull. »Jedenfalls soweit wir sehen. Der Tamaron wird uns, sobald er eingetroffen ist, sicher noch etwas über Vengil sagen können. Ob uns das weiterhilft ...« Bull ließ den Satz offen.
»Welche Transmission war die letzte uns bekannte?«, fragte die Báalol.
Bull sagte: »Das Ecloos-Trio in Draco hat vor 36 Tagen eine Sendung aus Andromeda empfangen. Absender war, soweit wir wissen, das Holoin-Sonnenfünfeck im Sektor Kota-72. Es handelte sich unserer Rekonstruktion zufolge um eine Kommunikationssonde der Tefroder. Sie ist unmittelbar nach der Rematerialisation explodiert.«
Es war seit etwa eineinhalb Jahrhunderten gängige Praxis, dass die großen Mächte der beiden benachbarten Galaxien Informationen austauschten. Für einen Warenhandel waren die Distanzen und die damit zusammenhängenden logistischen Aufwände allerdings zu gigantisch, um profitabel zu sein.
Auch der Austausch an Personen zwischen den beiden Schwestergalaxien hatte sich, seit der Weltenbrand erlosch, in engen Grenzen gehalten.
Leider erfolgte das Abklingen der Ekpyrosis nicht in allen Regionen der Milchstraße gleichmäßig. Zu den Sektoren, deren Bevölkerungen noch spürbar unter dessen Auswirkungen zu leiden hatten, gehörten die Eastside und damit neben etlichen Jülziish-Staaten das kleine Sternenreich der Linguiden sowie das Neue Tamanium.
Zwar hatten die Tefroder sich während der vergangenen 80 Jahre in das Innere ihrer Planeten geflüchtet und dort Unterstädte gebaut, oder sie waren in sternferne Habitate ausgewichen, aber für den Tamaron und seine Regierung hatte es immer eine Rolle gespielt, mit dem Sonnentransmitter von Vengil über eine Art Notausgang zu verfügen. Auch – oder gerade – weil das Vengil-Trio in der Grymrel-Ballung lag, etwa 8500 Lichtjahre unterhalb der galaktischen Hauptebene: Wer Grymrel erreichte, war dem Weltenbrand fast schon entkommen.
Jophenna und Bull sahen einander eine Weil stumm an.
»Alles ist möglich«, sagte sie. »Eine großflächige Störung. Eine Veränderung in den Transmissionsbereichen des Hyperraums. Ein Angriff mit uns unbekannten Mitteln.«
»Wer sollte denn angreifen?«
Die Báalol lachte kurz und trocken auf. »Als hätte es euch Terranern je an Angreifern gemangelt. Möglich, dass der Raptus von Terra und Luna nur das Vorspiel gewesen ist.«
Ich hörte, wie Fero Luuk sich räusperte, sah die Wärme, die sich auf seinen Wangen und seiner Stirn ausbreitete, spürte, wie seine Gehirnwellenfrequenz sich änderte: 35 Hertz, 36, 37. Alarmbereitschaft! »Lass uns bei der Sache bleiben«, bat er. Seine Stimme klang plötzlich rau.
Bull warf ihm einen besorgten Blick zu.
Das Terranische Odium, dachte ich. Dieses befremdliche, psychomentale Phänomen, das vor allem jüngere Terraner betrifft. Davon Befallene wollten nichts mehr von Terra hören. Manche halten dieses Odium für eine Modeerscheinung, die Äußerung einer Jugendkultur, ein Lass-uns-mit-diesen-alten-Geschichte-in-Ruhe. Die übliche, wenn auch stark emotionalisierte Absetzbewegung junger Erwachsener von der älteren Generation.
Ich hatte da meine Zweifel. Ich sah mir die elektrischen Wellen an, die sich in den Gehirnen anderer Besatzungsmitglieder der Zentrale abspielten: dasselbe Muster. Eine geradezu synchronisierte Reaktion.
Reginald Bull wirkte geradezu erleichtert, als einer der Ortungsoffiziere mitteilte: »Die VOHRATA ist aus dem Linearraum getreten und ruft uns an. Der Tamaron bittet um Einflugerlaubnis in den Archimedes-Sektor.«
»Erlaubnis erteilt«, sagte Bull.
*
Der Tamaron hatte höflich darauf bestanden, dass wir an Bord seines Schiffes wechselten. Wir setzten mit einer Space-Jet über, die Bull im Handbetrieb steuerte.
Ich hatte Vetris-Molaud seit einem kurzen Gespräch nicht mehr gesehen, das wenige Wochen nach dem Raptus der Erde und ihres Mondes Anfang des Jahres 1614 NGZ stattgefunden hatte. Seitdem hatte sich für diese vier verhängnisvollen Tage der Begriff der Quadratur eingebürgert. Die VOHRATA hatte sich in den 23 Jahren nach der Quadratur nicht sehr verändert; die Milchstraße schon. Ihrer beiden alten Zentren beraubt, des Arkonsystems einer- wie Terras und Lunas andererseits, schien sie mehr und mehr aus den Fugen zu geraten, wie sehr sich der Resident und mit ihm die Liga auch dagegenstemmten.
Der Verlust von staatsmännisch erfahrenen Persönlichkeiten wie Perry Rhodan, Bostich, Atlan oder Homer G. Adams, der Tod von Hekéner Sharoun, das Schweigen des Tormanac da Hozarius, die Abwendung seines Messingimperiums von den Belangen der Stofflichkeit, all dies hatte zur Destabilisierung der galaktopolitischen Lage beigetragen.
Viele Menschen, mit denen ich in den letzten Jahren gesprochen hatte, hatten den Eindruck, als wäre die Galaxis in einen verhängnisvollen Sog geraten, der sie unaufhaltsam einem namenlosen Abgrund entgegenzerrte.
Mir schien diese apokalyptische Sorge kurzsichtig. Doch ich musste zugeben, dass – anders als in vielen anderen Krisenfällen, die im Solsystem oder bei Arkon ihren Brennpunkt gefunden hatten – der Weltenbrand von anderer Qualität war. Die Ekpyrosis hatte sich unentrinnbar in jedermann abgespielt, der nicht die Flucht ergriff. Jeder hatte gelitten; jeder hatte seine Kinder und jedes Kind hatte seine Eltern leiden sehen. Jeder hatte wenigstens einmal an eine Flucht gedacht. Aber zu fliehen bedeutete, seine Wurzeln aufzugeben und den Boden unter den Füßen zu verlieren.
Der Weltenbrand hatte in der gesamten Milchstraße eine mentale Landschaft hinterlassen, die wie erschöpft von einem langen, hohen Fieber darniederlag.
Und im Reich des Tamarons wütete er immer noch, wenn auch in allmählich nachlassender Intensität.
Meine Behauptung, die VOHRATA hat sich nicht verändert, umschreibt natürlich nur ihre materielle Gegebenheit. Die Mannschaft war neu. Den Kommandanten des Schiffes hatte ich vor Jahrzehnten als jungen Jägerpiloten kennengelernt, hatte ihn einmal sogar auf einem der 39-Monde-Flüge um die Trabanten des Gasriesen Laumhu begleitet, mit denen tefrodische Offiziere ihre Beförderung im Helitassystem feierten. Sein Name war Kakola-Barr, mit lange rollendem R, worauf er Wert legte.
Kakola-Barr empfing uns persönlich im Hangar. Er nickte mir zu und salutierte auf tefrodische Art vor dem Residenten. Seine Uniform war schmucklos bis auf das Symbol knapp oberhalb des Herzens, das ihn als Kommandanten des NEBERU-Raumers auswies; weder Sicherheitspersonal noch Roboter begleiteten ihn. Wir wechselten ein paar Worte über die alten Zeiten. Dann beförderte uns ein Antigravschacht etwas mehr als 200 Meter hoch in die Zentrale der VOHRATA.
Die Besatzung erhob sich kurz in einem synchronen Akt, als der Resident die Zentrale betrat. Auf einen Wink Kakola-Barrs setzte man sich wieder. Kakola-Barr nahm im Kommandantensessel Platz.
Ein Schott öffnete sich: Der Tamaron traf ein.
Fast unmerklich strafften sich etliche Besatzungsmitglieder. Kaum einen ließ der Auftritt des Tamarons kalt. Ich hatte immer