»Vorsicht!«, rief Jalland Betazou. Der Onryone hatte das beste Gehör und musste die Annäherung der Ladhonen bemerkt haben, die in diesem Moment aus den Schatten links von ihnen rannten.
Die Fünfergruppe stürzte sich auf Tolot. Sie hatten ihn als stärksten Gegner identifiziert, den sie ihrer Logik nach zuerst ausschalten mussten.
Das Schauspiel dauerte knapp zehn Sekunden. Pen bekam kaum mit, wie Tolot die Angreifer abschüttelte. Sie gingen zu Boden oder flogen gegen die Wände. Benommen von der Wucht blieben sie liegen.
Der Haluter stieß ein dumpfes Grollen aus, packte sich den Ladhonen, der sich als Erster auf ihn gestürzt hatte und stellte ihn aufrecht vor sich. »Ich habe euch besiegt.« Der Translator übersetzte. »Als Zeichen eures Respekts fordere ich dich auf, mich zu eurem Anführer zu bringen.«
Pen beobachtete die Reaktion des Fremden, den Tolot mit Stärke zu beeindrucken versuchte, wie es den Eigenheiten dieses Volkes entsprach. Der Ladhone betrachtete ihn aus seinem violett schillernden Facettenauge. Es bewegte sich auf einer Art Schiene vertikal hin und her, um die Dimensionen des Haluters zu erfassen.
»Ich werde meinen Stamm nicht in Gefahr bringen.« Er sprach Ladhonisch in dem fremden Dialekt, den Pen in den Hütten draußen gehört hatte.
»Mach dich nicht lächerlich«, grollte Tolot. »Wenn ich wollte, könnte ich das ganze Schiff verwüsten und deinen Stamm auslöschen – auch ohne deine Führung.«
Zum Beweis griff er nach einem stählernen Trägerstück, das auf dem Boden lag, riss mühelos ein Teil davon ab und stopfte es sich in den Schlund.
Das intensive Rot des Hautkamms, der sich über den Schädel des Ladhonen zog, wurde blasser. Die Schwellung klang ab. Offensichtlich hatte der Gefangene eingesehen, dass er Tolots Forderungen besser erfüllte.
Pen schnupperte. Der Ladhone roch ungewöhnlich. Inmitten des Gestanks von Knollen- und Lauchgewächsen, ranzigem Fett und metallischem Blut, nahm sie einen fremdartigen Geruch wahr, den sie nicht zuordnen konnte. Pen befragte den SERUN. Er identifizierte ihre Wahrnehmung als Ausdünstung der ladhonischen Körperdrüsen, genauer als Klar-Hormon, das für erhöhte Aufmerksamkeit sorgte.
Die übrigen vier flankierten sie lauernd, während ihr Anführer sie in eine Halle führte. Vor dem Absturz mochte sie als Übungsgelände für Rekruten dieses Volkes gedient haben, sogenannte Maate. Pen erinnerte sich lebhaft an den Bericht des Siganesen Sholotow Affatenga, der als erstes Besatzungsmitglied der RAS TSCHUBAI einen Ladhonenraumer von innen gesehen hatte. Sie konnte die simulierten Sümpfe regelrecht erkennen, durch die sich die Maate kämpften, ihren Streit darüber hören, welche Strategie wohl den größten Erfolg versprach. Roboterwracks hingen wie Trophäen an den Wänden, Trainingsmaschinen, gegen die die Rekruten einst hatten kämpfen müssen.
Pen stellte sich die in Lumpen gewickelten Ladhonen vor, wie sie sich in den Kampfanzügen ihrer Vorfahren gekleidet den Robotern widersetzten. Sie tänzelten umher, den Expanderarm zwischen den Schulterblättern angespannt, um sich überraschend nach vorne abzustoßen und zum Angriff überzugehen.
Doch das war pure Illusion, die Realität erschreckend. Vom stolzen Kriegervolk war nur ein Haufen zerrupfter Hungerleider übrig geblieben, der auf Nichtangriffspakte mit sogenannten Dovoin angewiesen zu sein schien.
Die Halle verlief über vier Ebenen. Pen erkannte Projektoren für Hologramme, Prallfelder und Lautsprecher. Sie entdeckte Düsen, die sowohl Gerüche versprüht haben mochten als auch Klar-, An- und Ab-Hormone, auf die die jungen Maate sensibel reagierten.
In einem mehrstöckigen Gebäude, das durch nachträglich eingezogene Stahlträger gestützt wurde, stiegen sie eine rostige Treppe hoch. Sie knarzte und quietschte. Stählerne Schotte öffneten sich knirschend vor ihnen. Pen erkannte einen Ladhonen, der ächzend an einem Handrad drehte.
Talgkerzen flackerten und warfen zitternde Schatten an die mit Teppichen geschmückten Wände. Stickereien darauf zeigten Ladhonen im Kampf mit Wesen, die humanoid schienen, gebeugt gingen und auf vorgestreckten Hälsen Köpfe trugen, die wie aus zwei Kugeln zusammengefügt aussahen. Es war stickig in dem Raum, verraucht und muffig.
Auf dicken Kissen, die mit Buntmetallfäden durchwirkt waren, saß ein Ladhone. Der dunkelblaue, fast schwarze Haarflaum, konnte sein fortgeschrittenes Alter nicht verbergen.
»Dies ist der Taath«, stellte ihr Führer ihn vor. Er positionierte sich hinter dem Alten, der eine Art Stammesoberhaupt zu sein schien, und verschränkte die Arme vor der dürren Brust.
Der Titel Taath musste sich von der einstigen Bezeichnung des Raumschiffs ableiten. Alle Schiffe der TATHUM-Klasse trugen das Kürzel TAT mit dem Zusatz einer Nummerierung.
»Wir sind Besucher, Fremde, die gekommen sind, um dieses Land zu erkunden«, übernahm Pen die Verhandlung.
Tolot positionierte sich hinter ihr. Hin und wieder, wenn der Taath sich widerspenstig zeigte, stieß der Haluter ein tiefes Grollen aus. Im Zusammenklang mit Pens milder Para-Gabe des suggestiven Zuhörens war der Widerstand bald gebrochen.
Die Sprache der Wrackbewohner war nicht so verschliffen, wie Pen zunächst befürchtet hatte. Es gelang ihr unverhofft rasch, die semantischen Eigenheiten zu erkennen, die sich im Laufe der Jahrhunderte in das Ladhonische dieses Stammes eingeschlichen hatten.
Was den einst mächtigen TATHUM-Raumer zum Absturz gebracht hatte, vermochte der Taath nicht zu sagen. Dafür berichtete er von seinem Verständnis über ihre aktuelle Heimat.
»Wir leben im Schatten der vergangenen Unvergänglichen«, erklärte er. Die sich überschlagende Stimme drang aus vertikalen fingerlangen Lamellen unterhalb des Auges. Immer wieder legte er den Kopf in den Nacken und starrte Tolot an.
»Im Schatten der vergangenen Unvergänglichen«, wiederholte Pen die Worte des Taath. »Die Bewohner des Wracks leben anscheinend in einem Götterglauben.«
»Und der Titel dieser Gottheit gibt einen deutlichen Hinweis darauf, um wen es sich dabei handelt«, mischte sich Bru Shaupaard ein. Er schien für seine Verhältnisse elektrisiert. »Die VECU ist unvergänglich und doch für den Großteil des Galaxien-Gevierts vergangen, da sie nur noch in Form der Sextadim-Späne besteht.«
Als der Cairaner das Wort ergriff, meinte Pen, Erkennen im Verhalten des Taath entdeckt zu haben. Der Hautkamm pulsierte, während das violette Sehorgan auf dem Cairaner verharrte. Sein Volk mochte für die hiesigen Ladhonen in Legenden weiter existiert haben. Oder siedelten sogar Cairaner auf Zpud?
Pen fragte nach, ob der Taath andere Cairaner kannte. Er bestätigte, dass er zumindest von solchen gehört hatte, dass sie ebenfalls in Wracks lebten.
»Und weshalb sind eure Ahnen hierhergekommen? An diesen Ort?«
»Wegen der vergangenen Unvergänglichen!«
Shaupaard atmete tief ein. Die Flecken auf seiner goldenen Haut schienen zu tanzen. »Wenn die Ladhonen im Schatten der vergangenen Unvergänglichen leben und sie es war, derentwegen sie hierherkamen, muss das Verlies der VECU nahe sein. So nah, dass sie einen metaphorischen Schatten zu werfen vermag.«
»In erster Linie sind das verbrämte Legenden«, sagte Tolot. »Ein wahrer Kern mag dem aber zweifellos zugrunde liegen. Pen, frag den Taath bitte, wo die Ladhonen die vergangene Unvergängliche vermuten.«
Pen gab die Frage weiter.
Während ihres Gesprächs war der Ladhone an seinem Expanderarm, mit dem er sich an einer Querstange festhielt, vor und zurück gewippt. Sein Facettenauge huschte zwischen Tolot und Shaupaard hin und her. Der Hautkamm des Taaths stellte sich auf und pulsierte blau-rot.
Pen konsultierte die Positronik, die in ihren Datenspeichern Geheimdienstinformationen über die Milchstraßen-Ladhonen besaß, was die Verfärbung bedeutete.
Sie wurde fündig: Der Taath fürchtete sich!
»Im Schlund!«, brach es aus dem Alten heraus. »Im Schlund existiert sie! Dem Schlund, dem wir uns im Leben nicht nähern würden!«