7.
Shukkner
»Wo werden wir schlafen?«, fragte Klurn durch die Luke, in die ein Trichter eingebaut war. Sie hatten den Marktplatz wieder verlassen und fuhren über unebene Straßen. Das Fahrgestell quietschte und ächzte, der Dampfkessel bollerte, die Räder rumpelten, die Überdruckventile zischten. Doch dank der simplen Vorrichtung war eine Sprechverbindung zwischen der Kammer des Sklaven und der Fahrerkabine möglich.
»Wir werden Unterkunft in der Herberge von Obshez nehmen.« Shukkner hatte das Fahrzeug vom Marktplatz gesteuert, zurück in die stinkenden Straßen.
»Warum das? Es kostet Geld. Wir können genauso gut im Wagen schlafen, wie sonst auch.«
»Tun wir aber nicht. Und das hat Gründe.«
Von denen einer die Gestalt der reizvollen Tochter von Obshez hatte: Zhitiye!
Ohnehin musste er etwas mit dem Herbergsvater besprechen. Bei Shukkners letztem Besuch in Bossonu hatte Obshez angedeutet, dass der Henker ihm einen Gefallen erweisen könnte. Im Gegenzug würde er seine geliebte Tochter in Shukkners gute Hände entlassen.
Bei dem Gedanken an Zhitiye spielten seine Hormone verrückt. Die Schleimhäute des Nährmunds wurden feucht und heiß. Der Dovoin hechelte. Würde es in Bossonu nicht so stinken, würde er das Fenster herunterkurbeln, um frische Luft zu schnappen.
Aber bevor Zhitiye den Weg in seine Arme fand, hatte er eine knifflige Aufgabe zu lösen. Obshez wollte zu den Inseln von Tomonuta reisen, um dort nach einem Schatz zu suchen. Er hatte sich nicht näher darüber ausgelassen, und Shukkner hatte es nicht interessiert.
Dorthin zu gelangen war ein schwieriges Unterfangen, hieß es. Jeder Schiffsführer schien geeigneter, Obshez seinen Wunsch zu erfüllen. Nur fand der Herbergsvater keinen, der sich traute die verwunschenen Inseln anzusteuern.
Dovoin waren abergläubisch. Shukkner konnte förmlich die Münzen klirren hören, die er diesem Umstand zu verdanken hatte. Der Geisterglaube förderte manchen extravaganten Sonderwunsch zutage, von denen sich seine Delinquenten oder ihre Angehörigen eine gute Reise ins Jenseits und Schutz gegen Flüche versprachen.
Vor einem verwinkelten Gebilde aus übereinandergestapelten Kuben hielt Shukkner den Wagen an. Die Grund- und Dachflächen der windschiefen Häuser lagen nicht bündig übereinander, sondern waren leicht versetzt. Klapprige Geländer säumten die dadurch entstandenen schmalen Wege. Treppen und Leitern führten von einem der mehrstöckigen Gebäude zum nächsthöheren. Obshez' Herberge lag auf der vierten Ebene.
»Muss ich wirklich mit hinauf, Herr?«, versuchte Klurn ein letztes Mal halbherzig darum zu bitten, in seiner vertrauten Kammer im Wagen bleiben zu dürfen.
»Natürlich! Komm jetzt!« Shukkner zahlte die Matte, auf der Klurn neben dem Bett schlafen würde, ungern. Aber es würde einen schlechten Eindruck auf Obshez machen, käme Shukkner ohne Sklaven – als wäre er ein Ständeloser ...
Das kam nicht infrage!
8.
Pen Assid
12. bis 13. November 2046 NGZ
Trotz des Gewichts der zwei Suspensionsalkoven hatte Icho Tolot den Treffpunkt fünf Minuten vor Pen Assid als Erster erreicht. Mittlerweile war es Nacht und stockfinster. Auf der Innenseite ihres halb geöffneten Folienhelms projizierte die Positronik des SERUNS eine Darstellung des Waldes, errechnet aus Restlicht, Spektralanalyse und weiteren Ergebnissen der Außensensoren.
Pen lauschte nach Anzeichen feindlicher Annäherung. Sie hörte keine Schritte oder Stimmen, auch kein Pfeifen verdrängter Luft, das beim Fliegen mit Gravopak und durch Gleiter entstand.
Stattdessen zirpten und surrten die Insekten, nachtaktive Tiere raschelten und kreischten im Unterholz. Der Wind rauschte in den Kronen der Bäume. Kühle feuchte Nachtluft stieg ihr in die Nase, es roch nach Harz, Milch und dem Moder der faulenden Blätter. Das Laub unter ihren Füßen federte ihre Schritte ab und quietschte. Biolumineszierende Flugkäfer schwirrten zwischen den Zweigen der Laubbäume umher. Hin und wieder schnappte sich der Blütenkelch einer Hängepflanze, die sich um die armdicken Äste ringelten, einen Käfer.
Jalland Betazou stieß weitere zehn Minuten später zu der Gruppe. Er beteuerte wortreich, dass er sich von der Flora Zpuds nicht einen Moment lang hatte ablenken lassen. Sein Emot schimmerte bläulich-rosa vor Scham, Letzter gewesen zu sein.
Weder Tolot noch Pen sahen einen Grund dafür, Betazous Beteuerung anzuzweifeln. Sie klopfte ihm auf die Schulter und sagte: »Alles gut, Jalland, dir macht niemand Vorwürfe.«
»Ich habe den Erweckungsmodus der Alkoven aktiviert«, erklärte Tolot. »Es dauert nicht mehr lange, bis Gry O'Shannon und Bru Shaupaard aus der Suspension erwachen.«
Der Haluter hatte die mobilen Geräte unter einem umgefallenen Baumstamm versteckt. Selbst in horizontaler Lage überragte ihn das von orangefarbenem Moos überwucherte Totholz.
Pen trug Zweige herbei, die sie von den fächerartigen Gewächsen abgebrochen hatte, die an der Basis der bis zu fünfzig Meter hohen Bäume wuchsen. Sie bedeckte die Suspensionsalkoven damit. Womöglich brauchten sie sie ein weiteres Mal, da sollten sie in der Zwischenzeit wenigstens vor zufälliger Entdeckung geschützt sein.
Fand jemand die Alkoven und versuchte sie abzutransportieren, zu öffnen oder mit geeignetem Gerät zu untersuchen, aktivierte sich automatisch ein Selbstzerstörungsmechanismus. Gleiches galt für den Fall, dass ihre Gruppe nach mehr als drei Standardtagen nicht zurückkehrte. Notfalls vermochte Tolot die Alkoven per Fernzündung zu zerstören.
Während der Haluter den Erweckungsprozess kontrollierte, hielt Pen Wache. Ihr war bewusst, dass die Positronik des SERUNS die Aufgabe ohnehin übernahm, und zwar besser, als sie es mit ihren Sinnen jemals könnte. Aber Pen hasste das Gefühl, untätig zu sein.
Ein Schaben erklang unter der Decke faulender Blätter. Schwarze Fühler, in der Dunkelheit und vor der Farbe des Bodens kaum zu sehen, bohrten sich an die Oberfläche. Faulig-süßer Modergeruch stieg empor.
Am Riesenbaum, vor dem Pen stand, huschte ein federnbewehrtes, achtbeiniges Tier hoch. Es rammte die spitzen Vorderläufe an der Basis eines jungen Triebes in die Borke. Klare Flüssigkeit tropfte aus der Wunde herab. Pen bückte sich danach, nahm das klebrige Liquid mit einer Fingerspitze auf und roch daran. Es duftete nach Milch und Harz.
Inmitten dieser Wildnis fühlte sie sich schmerzhaft fehl am Platz. Pen wusste, dass das Gefühl der Fremdheit ambivalent war. Ihre berufliche Heimat waren schließlich die Eigenheiten fremder Sprachen.
Aber Gerüche, Pflanzen und Tiere ... All das nahm Pen wahr, begriff grundsätzlich deren Bedeutung und in Teilen die wissenschaftlichen Hintergründe. Nur erschloss es sich ihr nicht auf der emotionalen Ebene, die ihren Beruf zu einer Berufung für sie machte. Pen sehnte sich danach, auf vernunftbegabte Bewohner Zpuds zu stoßen.
Betazou hingegen genoss die fremde Natur. Er schnupperte an den Blüten orchideenartiger Gewächse, untersuchte Käfer und betastete die Borken der Bäume. Pen fragte sich, welche zusätzlichen Wahrnehmungen ihm die Horchhaut der Quantam an diesem Ort ermöglichte. Bisher hatte sie das Pflanzengeflecht nur als Hilfsmittel betrachtet, um Vektormaterie aufzuspüren.
»O'Shannon und Shaupaard erwachen«, teilte Tolot grollend mit. »Wir können bald aufbrechen.«
Pen beneidete die beiden Teammitglieder nicht um das Gefühl der Verwirrung, das während des Erwachens von ihnen Besitz ergriff. Sie erinnerte sich gut daran, wie es sich anfühlte, aus der Traumwelt der Suspension zurück in die Realität zu finden.
Es dauerte drei, vier Minuten, bis die Terranerin sich zurechtfand.
Bru Shaupaard, der die Suspension noch nie hatte erleben müssen, brauchte ein wenig länger. Seine erste Reaktion galt einer Frage, die Pen stellte. »Wie kommen wir