Tab. 1:
Erwartungen russischsprachiger PatientInnen nach Juszczak (2017: 50f.)
Zu den Erwartungen der PatientInnen mit hoher Wichtigkeit zählen außerdem translatorische Leistungen in Form von Übersetzungen und Dolmetschungen. Obwohl sich Tab. 1 nur auf russische PatientInnen bezieht, ist anzunehmen, dass manche dieser Erwartungen sprach- und kulturübergreifend sind. Andere Erwartungen könnten hingegen vom PatientInnenstatus und von der Auswahl der Destination abhängen (vgl. Kirsch 2017: 14). So weist Spielberg bezogen auf arabische PatientInnen in Deutschland darauf hin, dass viele PatientInnen hohe Erwartungen hegen, neben dem medizinischen Produkt eine Reihe von Dienstleistungen benötigen und sich häufig eine individuelle Rundumbetreuung „einschließlich touristischer Angebote, Rücksichtnahme auf Ernährungs- und religiöse Gewohnheiten, Transfer- und Dolmetscherdienste […]“ wünschen (Spielberg 2009: 2).
1.5.3 Stakeholder im Medizintourismus
An der medizintouristischen Servicekette können mehrere Stakeholder beteiligt sein, die über unterschiedliche wirtschaftliche Interessen und Angebote verfügen. Zu diesen zählen laut Klobassa (2016: 11):
Versicherungen, die die Risiken der PatientInnen übernehmen und die Ausführenden der Behandlung versichern
AnbieterInnen von Gesundheitsleistungen
AnbieterInnen von Konferenzen zum Medizintourismus, die den verschiedenen Stakeholdern Weiterbildungsmaßnahmen und Informationsaustausch zu aktuellen Marktentwicklungen ermöglichen
Finanzdienstleistungsunternehmen, die die PatientInnen bei der Finanzierung der Reise unterstützen
Reiseagenturen, die die medizinische Reise vermitteln sowie organisieren und die PatientInnen betreuen
verschiedene PatientInnenvermittlungsinstanzen, die als Broker die Geschäftstransaktionen auf Provisionsbasis ermöglichen
Circa 90% der Krankenhäuser in Deutschland, die im Medizintourismus tätig sind, greifen auf PatientInnenvermittlerInnen zurück (vgl. Juszczak 2017: 61). Die Bezeichnung PatientInnenvermittlerIn kann nicht einheitlich definiert werden, da sie sowohl Einzelpersonen, die über Auslandskontakte verfügen, als auch professionelle Agenturen, die MitarbeiterInnen oder Niederlassungen im Ausland haben, oder Reisebüros, die auch Check-ups vermitteln, umfasst (vgl. Juszczak 2017: 61). Klobassa (2016: 18) bezeichnet die PatientInnenvermittlerInnen als medical tourism companies, als im Medizintourismus aktive Instanzen, die zwischen den anderen Stakeholdern, insbesondere zwischen AnbieterInnen der medizinischen Behandlung, Kliniken und PatientInnen vermitteln.
Im Rahmen ihrer Studie zu den Bedürfnissen internationaler PatientInnen führt Boscher (2017: 115f.), Expertin im Bereich PatientInnenvermittlung, jene Tätigkeiten an, die notwendig sind, damit PatientInnen die gewünschte medizinische Leistung im Ausland in Anspruch nehmen können. Dazu gehören:
die Kontaktherstellung
die Bearbeitung der Erstanfrage
die Ermittlung der medizinischen Ausgangssituation oder des medizinischen Problems
die Recherchetätigkeit, um die richtige medizinische Einrichtung sowie die passenden SpezialistInnen zu finden
die Sammlung aller Daten und Unterlagen zur Krankengeschichte
die Einholung von Behandlungsangeboten und Kostenvoranschlägen
die Erklärung der Inhalte im Gespräch mit den PatientInnen
die Abklärung finanzieller Angelegenheiten
die Unterstützung bei der Visumbeantragung
die Organisation der Termine
die Organisation der An- und Abreise sowie der Unterkunft
Einige dieser Tätigkeiten – in manchen Fällen sogar alle – können von PatientInnenvermittlerInnen übernommen werden. Sie organisieren und koordinieren wesentliche oder eben alle Bereiche der medizinischen Reise und entlasten dadurch die PatientInnen. In vielen Fällen verfügen sie sowohl im Quell- als auch im Zielland über ein Büro sowie über einen starken Internetauftritt in allen für ihren Markt relevanten Sprachen. Boscher (2017) führt an, dass die meisten PatientInnenvermittlerInnen informell arbeiten und sich ihres Netzwerkes im Herkunftsland der PatientInnen bedienen, um die Zielgruppe zu erreichen. Sie stammen zumeist aus dem Herkunftsland der PatientInnen, leben im medizintouristischen Zielland und sind mit dessen Gesundheitssystem vertraut. PatientInnenvermittlerInnen schließen entweder mit den PatientInnen oder mit Kliniken einen Vertrag ab, der den Umfang der Dienstleistung und deren Honorierung festlegt (vgl. Boscher 2017: 120ff.). Allerdings ist die reine Vermittlung von PatientInnen sowohl in Deutschland als auch in Österreich problematisch, da ÄrztInnen laut ihrer Berufsordnung keine Provision für die Vermittlung von PatientInnen kassieren dürfen (vgl. Boscher 2017: 122f.). Darüber hinaus wurde in Deutschland die Dienstleistung des reinen Vermittelns für unzulässig und sittenwidrig erklärt, da Vermittlungsinstanzen nicht über das nötige fachlich-medizinische Wissen verfügen, um PatientInnen an angemessene Kliniken zu vermitteln, und die Gefahr besteht, dass sie nur jene Kliniken, mit denen sie einen Vertrag abgeschlossen haben, weiterempfehlen (vgl. Boscher 2017: 123f.). Diese Umstände führten dazu, dass viele PatientInnenvermittlerInnen ihre Leistung als PatientInnenbetreuung deklarieren und in Rechnung stellen (vgl. Stuckenberg 2018). Zu den wichtigsten Kompetenzen von PatientInnenvermittlerInnen zählt Boscher die Sprach- und Kulturkompetenz (vgl. Boscher 2017: 119). Für ärztliche Gespräche arbeiten einige PatientInnenvermittlerInnen mit DolmetscherInnen zusammen, die sie nach erfolgreicher Vermittlung der medizinischen Reise häufig wieder kontaktieren (vgl. Boscher 2017: 128ff.). In vielen Fällen scheint aber die Qualität der translatorischen Leistung zur Überwindung von Sprachbarrieren für PatientInnenvermittlerInnen keine primäre Rolle zu spielen (vgl. u.a. Slavu 2017, Weissenhofer 2017). Alle Stakeholder, die als Teil der medizintouristischen Servicekette fungieren, sind verschiedenen Risiken – u.a. Problemen während des Transports, Unfällen jeglicher Art oder unerwarteten Erkrankungen vor dem Antritt der Reise oder am Behandlungsort – ausgesetzt, die zu einer Behinderung oder Stornierung der Behandlung führen können. So ein Fall kann für alle Beteiligten schwerwiegende Folgen haben, die in vertraglichen Vereinbarungen jedoch geregelt sein können. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass eine plötzliche Erkrankung oder der Tod von PatientInnen ebenso für die DolmetscherInnen erhebliche Schwierigkeiten finanzieller, organisatorischer und psychologischer Natur mit sich bringen. Daher sollten DolmetscherInnen genauso Vorkehrungsmaßnahmen treffen, um in solchen Situationen über eine finanzielle Vorsorge oder einen psychologischen Selbstschutz (Self-Care-Maßnahmen) zu verfügen.
In manchen Fällen können sogar Krankenhäuser, ÄrztInnen oder PatientInnen die Aufgaben der PatientInnenvermittlung oder die Koordination übernehmen. Krankenhäuser spielen im Medizintourismus in Deutschland (vgl. Berg 2008: 173) und Österreich (vgl. Gottsauner-Wolf 2012: 2) eine umstrittene Rolle, da ihnen häufig vorgeworfen wird, mit der Beteiligung am Medizintourismus auf zusätzlichen Profit abzuzielen und ihren eigentlichen Zweck – die nationale Gesundheitsversorgung – aus den Augen zu verlieren. In Deutschland und Österreich haben zwar zahlreiche Krankenhäuser den Medizintourismus als attraktive zusätzliche Einnahmequelle (vgl. Berg 2008: 173) erkannt, allerdings nehmen sie kaum Risiken auf sich, da neue Märkte wie der Medizintourismus nur schwer vorhersehbar sind (vgl. Gottsauner-Wolf 2012: 3). In Deutschland finden sich – insbesondere in großen Städten – zahlreiche Krankenhäuser (vgl. Elsholz 2013: 36f., Klinikum der Universität München 2020, UKE 2020), die internationale PatientInnen anwerben und über international offices verfügen, die den PatientInnen den organisatorischen Aufwand, der mit einer medizinischen Behandlung im Ausland verbunden ist, abnehmen. Auch in Österreich steigt – wie bereits erwähnt – die Zahl privater Krankenhäuser, die ausländische PatientInnen aktiv umwerben und die hochqualitative österreichische Medizin