Gesundheitstourismus hat das Ziel, einen Gleichgewichtszustand zwischen körperlichem und seelischem Leistungsvermögen und den tagtäglichen Anforderungen von Umwelt, Mitwelt und Selbstwelt zu erreichen. Die zur Zielerreichung verwendeten Verfahren (Methoden) sind salutogenetische, medizinische sowie ergänzende und werden an Orten (Spa, Region) abseits vom gewöhnlichen Lebensumfeld angeboten, die durch die behandlerische Kompetenz der dort arbeitenden Fachkräfte wie auch des Gebäudes und der natürlichen Umwelt gekennzeichnet sind. (Illing 2009: 49)
Medizinische Behandlungen, die einen Aufenthalt in einem ausländischen Krankenhaus und eine ärztliche Untersuchung im Ausland voraussetzen, sind hingegen dem Medizintourismus zuzuschreiben (vgl. Illing 2009: 6, Quast 2009: 9). In ihrer betriebswirtschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Medizintourismus definiert ihn Quast wie folgt:
Medizintourismus ist ein Synonym für die Begriffe Patienten-, Klinik- und Operationstourismus und beschreibt die Bewegung von Patienten, die aus unterschiedlichen Gründen medizinische Dienstleistungen an Orten außerhalb ihres gewöhnlichen Umfeldes in Anspruch nehmen, wobei der Aufenthalt die Dauer eines Urlaubes nicht überschreitet und vielfach mit der Nachfrage touristischer Aktivitäten kombiniert wird. (Quast 2009: 6)
Medizintourismus kann für Quast einen nationalen oder einen internationalen Charakter aufweisen und in freiwilligen Patiententourismus und staatlichen Operationstourismus unterteilt werden.2 In der ersten Kategorie sind günstigere Behandlungen im Inland oder Ausland anzuführen, deren Kosten zum größten Teil von den PatientInnen getragen werden. Im staatlichen Operationstourismus sind PatientInnen hingegen aufgrund von Versorgungsengpässen gezwungen, medizinische Dienstleistungen im Ausland zu beziehen, deren Kosten von der Krankenversicherung übernommen werden. Der freiwillige Patiententourismus kann laut Quast wiederum in medizinische Patientenreise und touristische Patientenreise unterteilt werden, abhängig davon, ob die Reise hauptsächlich aus medizinischen Gründen unternommen oder ob die medizinische Behandlung mit einem Urlaub kombiniert wird (vgl. Quast 2009: 7f.). Differenziert wird des Weiteren zwischen krankheitsorientierten Reisen, die darauf abzielen, einen Krankheitszustand zu bekämpfen, und nicht krankheitsorientierten Reisen, deren Ziel die Durchführung von gründlichen Untersuchungen oder kosmetischen Eingriffen darstellt (vgl. Quast 2009: 7). Beide Behandlungsarten können sowohl ambulant als auch stationär erfolgen. Für Quast ist Gesundheitstourismus eine Unterform des Tourismus und erfolgt präventiv oder aus medizinischen Gründen. Unter den präventiven Gesundheitsreisen finden sich als Sonderformen der Erholungs-, Wellness-, Fitness- und Sport- sowie Beauty-Tourismus, während die medizinische Gesundheitsreise in Rehabilitations-, Kur- und Heilbäder- sowie Medizintourismus unterteilt werden kann (vgl. Quast 2009: 9ff.).
Berg beschreibt den Medizintourismus ebenfalls als spezielle Unterform des Gesundheitstourismus und bezeichnet ihn als Patiententourismus. Dabei geht es um „die selbstbestimmte und bewusste Entscheidung, medizinische Leistungen in einem anderen Land als dem Herkunftsland in Anspruch zu nehmen und diese überwiegend selbst zu bezahlen“ (Berg 2008: 169). Er weist darauf hin, dass in der Vergangenheit diese Art des Gesundheitstourismus vorwiegend in eine bestimmte Richtung ging – aus dem Ausland nach Deutschland, Österreich, in die Schweiz und USA –, während heutzutage auch BürgerInnen der oben erwähnten Staaten medizinische Reisen in andere Länder unternehmen. In all diesen Definitionen bildet also die Tourismus- bzw. Reisekomponente den gemeinsamen Nenner von Gesundheits- und Medizintourismus: In beiden Fällen wird eine gesundheitlich oder rein medizinisch bedingte Reise in ein anderes Land als das Herkunftsland geplant. Im Gesundheitstourismus zielen die in Anspruch genommenen Dienstleistungen auf die Erhaltung oder Förderung der Gesundheit ab. Im Medizintourismus werden hingegen Dienstleistungen angeboten, mit denen die Wiederherstellung der Gesundheit im Rahmen einer medizinischen Leistung beabsichtigt wird.
Reisewitz beschreibt ein weiteres Unterscheidungsmerkmal zwischen Gesundheits- und Medizintourismus: Im Medizintourismus stellt die geplante Maßnahme eine medizinische Dienstleistung dar, die „Eingriffe in die körperliche Integrität von einer gewissen Schwere“ (Reisewitz 2015: 8) mit sich bringt, und für deren Ausübung ein hohes Maß an fachlicher Qualifikation seitens der Ausführenden erforderlich ist. Medizintourismus ist jene
Aktivität von Personen, die sich an einen im Ausland belegenen [sic!] Ort außerhalb ihres gewöhnlichen Umfeldes begeben, um sich dort ohne Verlagerung ihres Lebensmittelpunktes für einen gewissen Zeitraum aufzuhalten, und die dabei Dienstleistungen in Anspruch nehmen, die in Deutschland als Ausübung der Heilkunde gemäß §1 Abs. 2 HeilPraktG angesehen werden und deren Notwendigkeit sich nicht erst vor Ort akut ergeben hat. (Reisewitz 2015: 9)
Berufe, die diese Qualifikationen aufweisen und in deren Ausübung die oben erwähnten Eingriffe vorgenommen werden dürfen, sind laut Reisewitz in Anlehnung an §1 Abs. 2 HeilPraktG ÄrztInnen, ZahnärztInnen sowie HeilpraktikerInnen.3 Zu den von ihnen durchgeführten Eingriffen zählen auch plastische bzw. Schönheitsoperationen, da sie einen höheren Schwierigkeitsgrad aufweisen und die durchführenden ÄrztInnen bestimmte Fachkompetenzen benötigen, obwohl die chirurgischen Maßnahmen nicht immer als reine gesundheitswiederherstellende Maßnahmen zu betrachten sind. In seiner Auseinandersetzung mit den rechtlichen Fragen des Medizintourismus unterscheidet Reisewitz – je nachdem, wann und wo der Entschluss zur Behandlung gefasst wird – zwischen zwei Arten von Behandlungsreisen: Spontanbehandlungen und geplanten Behandlungsreisen (vgl. Reisewitz 2015: 10f.). Im ersten Fall wird der Entschluss erst am Behandlungsort gefasst, d.h., der Zweck der Reise ist nicht die Behandlung; im zweiten Fall wird die Behandlung im Vorfeld geplant. Reisewitz weist darauf hin, dass bei einer geplanten Behandlungsreise die ausgewiesenen Risiken wegen der guten Planungsmöglichkeiten geringer als bei Spontanbehandlungen sind.
Auch im englischen Sprachraum verweden die Termini medical tourism und health tourism verwendet. In der Encyclopædia Britannica wird medical tourism mit den Bezeichnungen health tourism, surgical tourism, medical travel und internation travel for the purpose of receiving medical care gleichgesetzt (vgl. Rogers 2016) und als Mobilität von PatientInnen definiert, die eine medizinische Behandlung in einem anderen Land aus unterschiedlichen Gründen in Anspruch nehmen. Connell (2011: 7) verwendet in seinen früheren Werken zum Medizintourismus den Terminus medical tourism als Überbegriff für etwaige Reisen, bei denen die Gesundheit die wichtigste Rolle spielt und eine Behandlung mit einer gewissen Schwere beabsichtigt wird. In der englischsprachigen Literatur wird allerdings immer wieder die Frage aufgeworfen, ob das Wort tourism adäquat ist. Obwohl der Bezeichnung medical tourism eine Tourismusdefinition als reine Ortsverlegung bzw. PatientInnenmobilität zugrunde liegt, soll das Wort Tourismus auch „pleasure and relaxation“ (Connell 2011: 3) suggerieren. Dabei wird argumentiert, dass diese beiden Komponenten nicht immer im Vordergrund stehen. So betont Connell (2015: 398) in einem späteren Werk, dass der Terminus medical tourism inadäquat sei, da viele PatientInnen auf medizinisch bedingte Reisen verzichten würden, wenn sie sich der gewünschten Behandlung in ihrem Herkunftsland unterziehen könnten oder dürften. Englischsprachige AutorInnen, die ebenso diese Meinung vertreten, bevorzugen Bezeichnungen wie international medical travel (vgl. Ormond 2015) oder transnational health care (vgl. Botterill et al. 2013 und Connell 2015).
Im Rahmen der vorliegenden Studie wird aufgrund seiner Verbreitung im deutschsprachigen Raum der Terminus Medizintourismus verwendet. Die Autorin versteht darunter eine vorübergehende Verlegung des Wohnortes der PatientInnen ins Ausland aus medizinischen Gründen. Im Rahmen des Medizintourismus unterziehen sich PatientInnen entweder einer geplanten gesundheitswiederherstellenden Behandlung, zu der häufig im Herkunftsland kein Zugang besteht, oder suchen nach einer Diagnose für eine seltene und somit schwer diagnostizierbare Krankheit bzw. einer ärztlichen Zweitmeinung zu einer Diagnose oder zu einem Therapievorschlag.
1.2 Die wirtschaftliche Bedeutung des Medizintourismus
Aufgrund seiner wirtschaftlichen Bedeutung scheint der Medizintourismus das Potenzial zu haben, ein weiteres Marktsegment für DolmetscherInnen zu werden, die im Bereich Medizin arbeiten bzw. ihr Angebot an translatorischen Dienstleistungen diversifizieren möchten. Schon im Jahr 2006 verzeichnete die weltweite Gesundheits- und Medizintourismusindustrie einen