Auch in Bilbao gab es Veränderungen. Barnes blieb zwar nur eine Saison, gewann aber in dieser Zeit noch einmal die Copa del Rey. Athletic suchte nun in England per Anzeigen in der Daily Mail und Sporting Life einen Nachfolger und entschied sich unter mehreren Hundert Bewerbern für einen gewissen Mr. Burton. Allerdings versagte nach nur zwei Monaten Tätigkeit dessen Lunge, die im Krieg durch Giftgas geschwächt worden war. Zwischenzeitlich leitete ein Stab aus dem Kapitän und zwei weiteren Spielern die Mannschaft, dann wurde Athletic durch Fred Pentland gerettet. Er sollte der am meisten verehrte aller britischen Trainer werden, die in der Zwischenkriegszeit in Spanien arbeiteten.
Pentland war der Sohn des Lord Mayor von Birmingham und hatte als Rechtsaußen in Blackburn, bei Queens Park Rangers und in Middlesbrough gespielt. Hinzu kamen fünf Einsätze für England. 1913 beendete Pentland seine Karriere als Spieler und ging nach Berlin, wo er Trainer der deutschen Olympiamannschaft wurde – nachdem Jimmy Hogan die Stelle ausgeschlagen hatte, um bei den Österreichern zu arbeiten. Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges wurde Pentland im Gefangenenlager für Zivilisten in Ruhleben interniert, einer Trabrennbahn etwa zehn Kilometer westlich des damaligen Berlin. Anfangs waren die Bedingungen grauenhaft. Die Gefangenen mussten in von Läusen befallenen Pferdeboxen auf Stroh schlafen, hatten lediglich ein einziges Wasserrohr zum Waschen und trugen Holzpantoffeln und Mäntel, die ihnen großzügigerweise von Einheimischen gespendet worden waren. Die Tagesration bestand aus einer Kelle wässerigem Haferbrei und einem Stück Blutwurst.
Bald jedoch gestanden die deutschen Dienststellen den Internierten eine gewisse Autonomie zu. Eine komplett neue Lebensgemeinschaft wuchs heran, einschließlich Postdienst, Polizeikräften, Warenlager und Bücherei. Auf einem Plan des Lagers sind Tennisplätze, ein YMCA, ein Kasino, ein Postamt, ein Teehaus, Bürobaracken, Waschbaracken und zwei große Fußballplätze zu sehen. Es war, wie Barney Ronay es in Ausgabe drei des Fußballmagazins The Blizzard ausdrückte, „eine Hommage an die beherzte britische Art, sich selbst zu organisieren. Gleichzeitig kam darin die kreative kulturelle Mischung zum Ausdruck, die eine Folge des Empire ist, die angesichts seines zweifelhaften Vermächtnisses häufig gar nicht wahrgenommen wird.“
Die Einwohnerschaft war ausschließlich männlich, ansonsten aber von erstaunlicher Vielfalt. „Vom Herrenhaus bis zum Armenviertel: Es gab kaum eine Spezies oder Profession, die nicht vertreten gewesen wäre“, schrieb ein Internierter in einem kurz nach Kriegsende gedruckten Pamphlet. „Alle Mann waren in einem kleinen Stallhof zusammengepfercht – Betriebsleiter und Seeleute, Konzertmusiker und Fabrikarbeiter, Universitätsprofessoren und Jockeys. … Wir waren wahrlich eine bunt gemischte Truppe. Ich bin gemeinsam mit dem Earl of Perth (Spitzname: ‚Pearl of the earth‘), einem Farbigen und einem Feuerwehrmann zur Küche marschiert.“
Das Lager war voller großer Persönlichkeiten und Exzentriker. Da waren F. Charles Adler, ein Dirigent von Weltruf und Schüler Gustav Mahlers, ferner Sir James Chadwick, Physiker und Nobelpreisträger, der als Erster die Idee einer Atombombe entwickelte, und Prince Monolulu, Tipster für Pferderennen und der wohl bekannteste dunkelhäutige Promi im damaligen Großbritannien. Ebenfalls interniert waren „Bertie“ Smylie, der dem Alkohol verfallene und gewöhnlich Sombrero tragende Herausgeber der Irish Times, und schließlich Geoffrey Pyke, der den Flugzeugträger aus Eis erfunden und diesen einst in seinem Badezimmer Winston Churchill vorgeführt hatte.
Außerdem gab es neben Pentland eine bemerkenswerte Zahl weiterer Fußballspieler, aktive wie ehemalige. Dazu zählten Steve Bloomer, Pentlands ehemaliger Mitspieler bei Middlesbrough, der in seinen 23 Partien für England 28-mal getroffen hatte und im Juli 1914 zum Trainer von Britannia 92 Berlin ernannt worden war; Verteidiger Sam Wolstenholme, ehemaliger Mitspieler Pentlands bei den Blackburn Rovers und seit Frühjahr 1914 Cheftrainer der Auswahl des Norddeutschen Fußball-Verbands; Fred Spiksley, ehemaliger Linksaußen von Sheffield Wednesday, der als Trainer noch die Landesmeisterschaften in Schweden und Deutschland (1927 mit dem 1. FC Nürnberg) gewinnen sollte, nachdem ihm das 1911 bereits in Mexiko gelungen war; John Cameron, Trainer beim Dresdner SC und vormaliger schottischer Nationalspieler und Spielertrainer von Tottenham Hotspur; John Brearley, der unter Cameron bei den Spurs gespielt und den Trainerposten bei Viktoria 89 Berlin übernommen hatte; und schließlich der deutsche Nationalspieler Edwin Dutton, dessen Eltern von South Shields in Nordengland nach Deutschland ausgewandert waren.
Befreit von den normalen Zwängen des Lebens, begannen die Gefangenen, sich weiterzubilden, und ließen dabei den Spaß nicht zu kurz kommen. „Die Aktivitäten wurden so sehr ausgeweitet, verbessert, vielgliedrig gemacht und verfeinert, bis aus Ruhleben eine eigene Welt wurde“, schrieb der Journalist Israel Cohen, ebenfalls ein Insasse. „Das war unumgänglich, wenn wir fit bleiben und uns vor Langeweile und Trägheit schützen wollten.“ Es gab Kurse in Analysis, Elementarphysik, anorganischer und organischer Chemie, über Radioaktivität, in Vererbungslehre, Biologie, Musik, Literatur, darunter Kurse zu deutscher Literatur (auf Deutsch), italienischer Literatur (auf Italienisch), über Shakespeare und über Euripides. Man gründete ein Theater mit einem Berufsorchester und zog Music-Hall-Shows auf, wobei die Darsteller von Frauen besondere Popularität genossen.
Nur einen Tag nach Eröffnung des Lagers hatte man bereits erstmals zum Spaß gekickt, und innerhalb von zwei Wochen waren Mannschaften namens Tottenham Hotspurs, Manchester Rangers und Bolton Wanderers entstanden. „Es gab nur einen einzigen Fußball, und der war nicht besonders robust“, erinnerte sich Cohen. Die Tore wurden mittels „aufgetürmter Jacken“ markiert. Lagerkommandant General von Kessel missbilligte das Fußballspielen, und mit Anbruch des Winters wurde der boomende Ligabetrieb ausgesetzt. Bis zum Frühjahr indessen scheint von Kessel seine Meinung geändert zu haben. Er stellte eine freie Fläche neben dem Lager zur Verfügung, auf der zwei Spielfelder abgekreidet wurden. Pentland, Bloomer und Cameron gründeten die Ruhleben Football Association, ihren eigenen Fußballverband. Die erste Partie nach deren Regeln fand am 29. März 1915 zwischen Ruhleben mit Kapitän Bloomer und „dem Rest“ mit einem gewissen Mr. Richards als Mannschaftsführer statt.
„Die Form in diesem Spiel war so gut, dass jedermann sehen konnte, dass der Fußball mit etwas Training ein recht hohes Niveau erreichen kann“, berichtete die Lagerzeitung. Am 2. Mai trat eine Englandauswahl mit Pentland, Wolstenholme und Bloomer gegen eine Weltauswahl mit Cameron als Kapitän an. Jede der 14 Baracken stellte zwei Teams für eine Liga, die so heiß umkämpft war und so begeistert verfolgt wurde, dass Zuschauerzahlen von über 1.000 nicht ungewöhnlich waren.
Im September 1915 brachte die Ruhleben Football Association ihr Handbuch heraus. „Unter großen Kosten und Mühen“ in Berlin gedruckt, kam es auf 48 Seiten und enthielt Spielerbiografien, Interviews mit Kapitänen und etwas Taktikdiskussion. Ronay schrieb: „Es war auf seine eigene Art ein Novum, war es doch das erste Mal, dass etwas geschrieben wurde, das einem Trainingshandbuch oder einem taktischen Leitfaden nahekam. Es war das Destillat des kopflastigen Intellektualismus der multidisziplinären Schule von Ruhleben. Die Ruhleben FA war vom literarischen Bazillus infiziert worden. Das Handbuch lässt erahnen, was die Folge hätte sein können, wenn der englische Fußball auch nur einen Funken des wilden Fortschrittsgeists, der zu den Spitzenzeiten in Ruhleben herrschte, übernommen hätte.“
Pentland lernte das Kurzpassspiel zu schätzen, mit dem er vermutlich schon in Blackburn in Berührung gekommen war. Doch Ronay stellt fest, dass es dafür kaum einen Beleg gibt und dass es mindestens ebenso wahrscheinlich ist, dass er in Ruhleben zu seinen Schlussfolgerungen über die richtige Spielweise im Fußball gekommen war. Die dortige Kultur förderte das Infragestellen alter Gepflogenheiten. Zudem gab es nur geringen Ergebnisdruck und keine Zuschauermassen, die lautstark forderten, den Ball nach vorne zu