Unter ihrer aggressiven und schmutzigen Schale waren die Italiener indes fraglos begabt und verteidigten den Weltmeistertitel 1938 mit einer Mannschaft, die Pozzo für seine beste überhaupt hielt. Wiederum lag der Schwerpunkt auf einer stabilen Defensive. „Das größte Geheimnis der italienischen Auswahl ist ihre Fähigkeit, mit der geringstmöglichen Anzahl Männer anzugreifen, ohne die beiden Verteidiger jemals von ihrer Defensivaufgabe abzuziehen“, schrieb Zappa. Zu diesem Zeitpunkt war Österreich bereits von Deutschland „angeschlossen“ worden. Das aus den beiden Halbfinalisten von 1934 gebildete Team schnitt allerdings schwach ab und schied in der ersten Runde nach Wiederholungsspiel gegen die Schweizer unter Trainer Karl Rappan aus.
Die Tschechoslowakei musste im Viertelfinale gegen Brasilien die Segel streichen. Immerhin aber zog Ungarn ins Finale ein und bestritt dort die letzte Machtprobe zwischen dem Donaufußball und Pozzo. Dabei erwies sich Italien als zu schnell und zu athletisch. Michele Andreolo, ebenfalls Oriundo und Nachfolger Montis als Centro mediano, hielt Ungarns Mittelstürmer György Sárosi in Schach, und Meisls fußballerisches Konzept sah dementsprechend schwerfällig und antiquiert aus. Das Ende dieser Art von Fußball war besiegelt – jedoch nicht ohne Wehmut. „Wie wollen wir Fußball spielen?“, fragte der französische Journalist Jean Eskenazi. „Als ob wir Liebe machten oder als ob wir den Bus kriegen wollten?“
Andere faschistische Länder beschritten einen ganz ähnlichen Weg. In Spanien hatte der Fußball den gleichen Anfang genommen wie überall anders auch: Die Briten führten ihn ein. Genau genommen waren es Arbeiter in einer Bergbausiedlung in Minas de Riotinto im Südwesten Spaniens, die ihn einführten. Dort hatte ein britischer Investor namens Hugh Matheson 1873 für 3,5 Millionen Pfund eine kurz vor der Stilllegung stehende Mine gekauft. Die erste Rate wurde mit Goldmünzen bezahlt, die erst mit der Bahn und dann per Ochsenkarren transportiert werden mussten.
Das erste schriftlich überlieferte Spiel wurde 1887 zwischen zwei komplett aus Nichtspaniern bestehenden Mannschaften ausgetragen, auf einem heute unter einer riesigen Abraumhalde liegenden Platz. Es fand im Rahmen der Feierlichkeiten zum Namenstag des Heiligen Rochus von Montpellier statt. Traditionell hätte das Unterhaltungsprogramm aus Stierkampf bestanden, doch hatte die Bergbaugesellschaft drei Jahre zuvor die Stierkampfarena abgerissen. Ihrer Meinung nach war die Arena zum Sammelpunkt für Prostituierte und Säufer verkommen. Der Legende zufolge sollte das Match der Verbrüderung der Briten mit den Spaniern dienen, als ein Sportereignis unter Beteiligung beider Seiten. Laut Jimmy Burns entsprach das allerdings überhaupt nicht der Wirklichkeit. Vielmehr bestätigte das Fußballspiel die Unterschiede zwischen Briten und Spaniern. „Man kann sich gut vorstellen, dass die einheimischen Zuschauer zunächst wenig damit anzufangen wussten. … Dem Spiel … fehlten sowohl die Kreativität als auch der Nervenkitzel, die die beliebteste einheimische Unterhaltung auszeichneten.“ In Spanien sind die historischen Entwicklungen von Fußball und Stierkampf von jeher eng miteinander verflochten gewesen.
Durch das britische Engagement im Bergbausektor kam der Fußball auch nach Bilbao. Erst dort sollte er wirklich Wurzeln schlagen. Das erste speziell zu diesem Zweck gebaute Fußballstadion in Spanien war das San Mamés, errichtet 1913 in Bilbao. Es wurde zur eigentlichen Wiege des spanischen Fußballs, der sich bald durch Härte und Vitalität auszeichnen sollte und geprägt war durch die Werte der britischen Fabrikarbeit.
Bilbaos Athletic Club, die erste Supermacht im spanischen Fußball, wurde 1903 aus einem vorübergehenden Zusammenschluss zweier bereits bestehender Teams gegründet. Das eine bestand aus britischen Arbeitern in der Stadt, das andere war von Studenten des Gymnasiums Zamacois ins Leben gerufen worden, die das Spiel beim Studium in England kennengelernt hatten. Der erste Cheftrainer war ein Engländer, Mr. Shepherd – wenig überraschend angesichts der Hochachtung, die der britische Fußball genoss. Obwohl schon bald die berühmte Vorschrift eingeführt wurde, dass nur Menschen baskischer Abstammung bei Athletic spielen durften, blieb der Klub anglophil. Finanziell gestützt wurde er von dem Industrie- und Schifffahrtskonglomerat De la Sota, das im Ersten Weltkrieg auch die Alliierten unterstützte, indem es seine Handelsbeziehungen während der Feindseligkeiten aufrechterhielt. Die englandfreundliche Gesinnung des Klubs kam auch in der englischen Schreibweise des Vereinsnamens zu tragen, außerdem engagierte man mit Vorliebe englische Trainer.
Auf Shepherd folgte 1914 Billy Barnes, der 1902 im FA-Pokalfinale das Siegtor für Sheffield United erzielt hatte und später noch für West Ham United, Luton Town und Queens Park Rangers aufgelaufen war. Barnes konnte zweimal die Copa del Rey gewinnen. Er ging dann zurück nach Großbritannien und meldete sich freiwillig zum Dienst im Ersten Weltkrieg. Im August 1920 kehrte er schließlich zu Athletic zurück. „Der baskische Fußball hat sich enorm weiterentwickelt, seit ich zum letzten Mal hier war“, ließ Barnes verlauten. „Als ich das erste Mal hier war, war Fußball ein langsames Geduldsspiel mit kurzen Pässen – schick anzusehen, aber total unpraktisch, im schottischen Stil eben. Ich habe bei Athletic ein schnelles Spiel mit langen Pässen eingeführt, bei dem der Ball von Flügel zu Flügel wandert und schnelle Spieler mit Torschussqualität im Zentrum stehen. Heute finde ich, dass die meisten Klubs in etwa so spielen. Aber Athletic ist von diesem Weg abgekommen.“
Noch im selben Monat sollte der von Athletic eingeführte Powerfußball bei den Olympischen Spielen 1920 zur nationalen Spielweise werden. Die Spanier fuhren ohne hohe Erwartungen nach Antwerpen. Ihr Kader bestand hauptsächlich aus Spielern der nordspanischen Vereine. Die waren nämlich das Spiel auf Rasen gewohnt, während die Teams aus Zentralspanien und dem Süden eher auf trockener, nackter Erde kickten. Die Spanier schlugen im ersten Spiel Dänemark mit 1:0, verloren dann aber im Viertelfinale mit 1:3 gegen die späteren Goldmedaillengewinner aus Belgien. Damit war das Turnier allerdings noch nicht vorbei. Nun musste man durch ein kompliziertes Trostrundenkonstrukt, das zum Wettbewerb um die Silbermedaille wurde. Die Tschechoslowakei war nämlich disqualifiziert worden, nachdem ihre Spieler im Finale aus Protest gegen die Leitung des Spiels durch den britischen Schiedsrichter vom Feld gestürmt waren.
Die Spanier schlugen Schweden mit 2:1 und Italien mit 2:0. Im Spiel um Silber warteten die Niederlande. Spanien gewann das Entscheidungsmatch mit 3:1, und Félix Sesúmaga gelang ein Doppelpack. Als Held jedoch kam ein anderer Baske zurück. In der Partie gegen die Schweden hatte Spanien zur Pause mit 0:1 hintengelegen. In der 51. Minute glückte den Iberern der Ausgleichstreffer durch José María Belauste, eine vom Kampf gezeichnete Persönlichkeit. Seine Nase war durch regelmäßige Schläge plattgedrückt, und die geschwollenen Ohren wurden nach hinten gebogen vom zusammengeknoteten Taschentuch, unter dem Belauste seinen beginnenden Haarausfall verbarg. Zwei Minuten später gelang Domingo Acedo das Siegtor. Trotzdem blieb es Belaustes Tor – das Tor, mit dem der Aufschwung eingeleitet wurde –, das die baskische Spielweise gewissermaßen repräsentierte. „Als das Spiel nach der Halbzeitpause wieder begann“, schrieb Manolo de Castro unter dem Pseudonym Handicap, „schien Spanien geschlossen einem Schlachtruf zu folgen und stürmte so heftig drauflos, dass es innerhalb von zwei Minuten einen Freistoß direkt an der Strafraumgrenze zugesprochen bekam.“ Belauste warf sich einem Lupfer in die Mitte hinterher und riss diverse Schweden mit sich, als er den Ball über die Linie bugsierte. In den Worten Handicaps war es „ein wahrlich herkulisches Tor“. Tags darauf verglich eine niederländische Zeitung Spaniens Fußball mit der grausamen Strategie, mit der spanische Truppen 1576 Antwerpen in Schutt und Asche gelegt hatten. Sie prägte dabei den Begriff La Furia, den die Spanier nur zu gerne übernahmen.
Das Tor wurde zur Geburtsstunde von La Furia hochstilisiert und maßlos aufgebauscht. Torwartlegende Ricardo Zamora verstieg sich später zu der Behauptung, dass Belauste den Ball auf der Brust ins Tor geschleppt habe, während sich vier Schweden in sein Trikot gekrallt hätten. Bald waren die Spanier der festen Überzeugung, dass ihr Fußball, La Furia, die einzig wahre Art zu spielen sei. Burns charakterisiert La Furia als „eine besonders kraftvolle und aggressive Spielweise, die gleichzeitig noch erfolgreich war. Zwar beanspruchten auf Vereinsebene die Basken eigentlich bereits eine Art Markenschutz für diesen Stil, dennoch wurde nun auch die Nationalmannschaft damit in