Man wird dagegen zunächst sagen: Der Mond, der dort oben 360 000 Kilometer von der Erde entfernt steht, und meine Vorstellung vom Monde, das sind doch zwei verschiedene Sachen; der eine ist draußen im Raum, die andere ist drin in meiner Seele.
Das Letztere gerade bestreiten wir, sofern es einen Gegensatz zur räumlichen Existenz bezeichnen soll. Oder hat sich schon einmal jemand den Mond anders vorgestellt als im Raume? Der vorgestellte Mond ist also ebensogut im Raume wie der objektive Mond, und was ihn davon unterscheidet, ist nicht eine andere Art des Seins, sondern nur eine andere Verbindung von Bestandteilen desselben Seins, infolge deren das eine als objektiv, das andere als subjektiv bezeichnet wird. Und wenn man dann entgegnet: Aber ich reiche doch nicht bis zum Monde, wie soll also der vorgestellte Mond in mir sein? – so sagen wir. Wenn das »Ich« bedeuten soll meinen Leib, soweit er von der Haut als ein Stück des Raumes abgegrenzt wird, so reiche ich freilich nicht bis zum Monde, und eben deshalb bezeichnet man den Mond als »draußen«. Aber wenn das »Ich« alles das bedeutet, was den augenblicklichen Inhalt meines Daseins ausmacht, die ganze Fülle der Beziehungen, wodurch ein Teil des Weltinhalts so verbunden ist, daß ich diesen Komplex erlebe, so gehört der Mond allerdings ebensogut zu mir, wie auch mein Leib zu mir gehört. Alles, was wir in diesem Sinne zu unserem Ich rechnen, nennen wir dann unsere Vorstellung, um es von dem zu unterscheiden, was auch ohne unser Ich sein kann; aber ein anderer Unterschied als die Verschiedenheit des vereinigten Inhalts besteht nicht.
Der Mond nämlich und die Erde, ihre Bewegungen, der Gang der Lichtstrahlen, und was alles dazu gehört, damit ich den Mond sehe, diese Elemente bilden mit meinem Leibe ein System von gesetzlichen Beziehungen; ganz dieselben Elemente bilden ebenfalls ein System von gesetzlichen Beziehungen mit dem Leibe eines anderen Menschen, etwa meines Nachbars, das sich nur dadurch von dem ersten System unterscheidet, daß anstelle meines Leibes der des Nachbars getreten ist und somit einige Beziehungen andere geworden sind. Und so bilden jene Elemente Mond – Erde – Licht usw. mit jedem menschlichen Leibe neue Systeme, die aber alle jene ersten Elemente enthalten, nur insoweit verschieden, als die verschieden im Raume verteilten Leiber mit ihren individuellen Unterschieden es bedingen. Das allen diesen Systemen gemeinsame Element »Mond« ist dabei doch nur ein einziges, es bleibt der eine Mond; und insofern es auch ohne die Leiber der Menschen eine gesetzliche Beziehung zur Erde, Licht usw. hat, ist es der objektive Mond droben am Himmel. Insofern es aber in den tausendfältigen Beziehungen zu den einzelnen Leibern auftritt, ist es der wahrgenommene Mond, oder, wenn noch gewisse andere Beziehungen im Leibe, d. h. im Zustande des einzelnen Menschen, hinzutreten, ist es der bloß vorgestellte Mond. Wenn das letztere eintritt, so fallen z. B. alle die Bestimmungen fort, wodurch der Mond seine momentane Stellung im Raume hat, seine Beleuchtungsphase und Ähnliches. Lage und Beschaffenheit des vorgestellten Mondes wird jetzt allein durch die Zustände meines Ich bestimmt, und nur ein Teil der Elemente, die den objektiven Mond bilden, ist vorhanden. Zur Bestimmtheit, wie sie das Objekt besitzt, reichen diese nicht aus, dagegen vermitteln sie neue Beziehungen zu meinem Ich; in ihrem Wesen aber sind sie nicht andere geworden. Man hüte sich nur, den Unterschied zwischen objektiv und subjektiv in einer Art des Seins, als körperlich oder seelisch, finden zu wollen; denn gerade diesen Unterschied zwischen Gegenstand und Vorstellung erst aufzuklären, ist ja unsere Absicht.
Unsere Auffassung ist also diese. Es gibt nicht fertige, abgeschlossene Dinge, von denen nun mehr oder weniger zutreffende Abbilder in den ebenso abgeschlossenen individuellen Geistern entstehen, sondern es gibt nur gesetzmäßig bedingte Systeme von Beziehungen, zu denen auch unsere Leiber gehören. Diese Systeme sind sowohl die Objekte als auch zugleich die Subjekte; objektiv Sein und subjektiv Vorgestelltwerden sind nicht zwei verschiedene Arten der Existenz sondern nur verschiedene Arten des Inhalts an verbundenen Elementen. Objektiv ist dasjenige, was in allen Verbindungen als gleichartiger Inhalt wiederkehrt; subjektiv heißt dieser selbe Inhalt, wenn dazu noch jene Beziehungen treten, die durch die Verbindung mit dem menschlichen Organismus entstehen. Da ich selbst ein solcher Organismus bin, so kann es für mich keine Verbindung geben, an der nicht mein Leib beteiligt wäre. Die Realität, als welche diese Verbindung gegeben ist, nennen wir Bewußtsein. Weil diese und die Existenz unseres Leibes unabtrennbar sind, bezeichnen wir uns als bewußte Wesen und sind geneigt, dieses Bewußtsein als eine besondere Art der Existenz anzusehen, das in uns erst durch die Einwirkung von Dingen erzeugt werde, die wir im Gegensatz zu uns als eine andere Form des Seins betrachten.
Tatsächlich ist aber Bewußtsein die einzige Form der Existenz, die wir kennen; denn daß etwas erfahren wird, setzt voraus, daß es Zugehörigkeit zu einem Bewußtsein hat. Alles das, was die Existenz eines Dinges ausmacht, sind doch die Beziehungen seiner Eigenschaften zu einander und zu andern Dingen; diese Existenz ist also von derselben Art des Seins wie das, was wir speziell den Inhalt unseres individuellen Bewußtseins nennen. Denn auch mein Ich besteht aus lauter Beziehungen von Farben, Tönen, Größen, Gestalten, Strebungen usw., die wir unsere Vorstellungen nennen. Ohne einen solchen Inhalt kann von unserem Ich als einem individuellen Geist nicht die Rede sein. Die Unterscheidung von Körper und Geist ist ein Unterschied innerhalb des Bewußtseins. Wenn wir den Mond einen Körper nennen, der durch Lage, Größe, Gewicht, Bewegung definiert ist und lange existiert hat, ehe es Menschen und menschliches Bewußtsein gab, so besteht dadurch der Mond allerdings als ein selbständiges, gesetzliches System ganz unabhängig von der Existenz der Menschen. Aber die gesetzlichen Bestimmungen des Raumes, der Zeit, der Größe, des Gewichts usw., die das Ding »Mond« darstellen, sind darum doch genau dieselben, die wir eben auch jetzt, seitdem es Menschen und Astronomen gibt, im Bewußtsein vorfinden. Sie sind gleichartig mit dem, was den Inhalt unseres Ich ausmacht und als geistig bezeichnet wird. Die Form des Bewußtseins können wir ihnen weder nehmen noch geben. Es folgt daraus, daß diese Gesetze, die wir jetzt als Gesetze unseres menschlichen Bewußtseins entdecken, nichts anderes sind, als die allgemeinen Gesetze, unter denen die Entwickelung der Natur steht und immer gestanden hat, und unter denen auch wir als Menschen uns entwickelt haben. Mit anderen Worten, diejenigen Gesetze, unter denen die Natur allein gedacht werden kann, wenn wir unsere gegenwärtige Existenz in der Natur begreifen wollen, können ebensogut als Gesetze der Natur wie als Gesetze des Bewußtseins bezeichnet werden; beide sind identisch. Raum und Zeit als die Formen, darin alles Sinnliche gegeben ist, und die gesetzlichen Verbindungsarten dieses sinnlichen Inhalts, sie sind die Vorbedingungen, unter denen unsre Erfahrung steht, und gehören also dem Bewußtsein an.
In dem Entwicklungsprozesse des Bewußtseins vollzieht sich nun eine Scheidung des Inhalts, den wir als unser Erlebnis kennen. Der eine Teil erweist sich in der Hauptsache von dem, was wir unsern Leib nennen, unabhängig, und an ihm vornehmlich läßt sich das Geschehen als ein gesetzliches erkennen; er heißt daher objektiv. Der andere Teil, der hauptsächlich die Veränderungen unseres Leibes zum Inhalt hat, läßt sich nicht in gleicher Weise bestimmen, es sei denn mit Hilfe des Objektiven; er zeichnet sich aber insbesondere dadurch aus, daß die hierher gehörigen Veränderungen mit dem Gefühl der Luft oder Unlust verbunden sind; dadurch tritt dem übrigen Inhalt das Ich als eine Einheit eigener Art gegenüber, und dieser Teil des erlebten Bewußtseinsinhalts heißt daher subjektiv.
Beide Teile aber sind nicht vor der Erkenntnis gegeben, sondern scheiden sich durch die Erkenntnis. Für den Wilden ist die Natur keine objektive Gesetzmäßigkeit, sondern, soweit ihre Erscheinungen ihm nicht bereits vertraut sind, ebensogut ein unbestimmtes Erlebnis wie jedes andere. Die Natur, wie sie die moderne Wissenschaft als objektiv kennzeichnet, entsteht erst mit der Kultur.
Der Mond tritt zunächst in Beziehung mit unserm Leibe als ein System auf, in welchen wir ihn auf der kindlichen Entwicklungsstufe überhaupt nicht als etwas Objektives unterscheiden. Erst im Verlaufe der Erfahrung trennen sich die Systeme »Mond« und »Leib«, indem wir erkennen, daß wir über den Mond nicht so verfügen können wie etwa über unsere Hand. Die weiter fortschreitende Erkenntnis bildet in den regelmäßigen