Die Lobensteiner reisen nach Böhmen: Zwölf Novellen und Geschichten. Alfred Doblin. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Alfred Doblin
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066116811
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Fingern, hob den Daumen. Das junge Mädchen legte das Messer auf die Marmeladenschale.

      „Ein Wink,“ flüsterte er, schloß die faltige Portiere zur Bibliothek, „ein Wink: Grigor Papiu, Petru Kostin.“

      Dicht rückte er seinen Korbsessel an ihren: „Legen Sie die Serviette hin. Sie wissen nicht, was die gnädige Frau mit Ihnen vorhat. Ich bin nicht Fortunesku, wie sie sagte. Petru Kostin, heiße ich, Sekondeleutnant im zweiten Infanterieregiment zu Jassy, Freund Ihres Verlobten Papiu. Ich habe eine geheime Botschaft zu überbringen. Sie müssen schwören.“

      „Petru Kostin?“

      „Nicht sprechen, um Gottes willen nicht sprechen. Ich bin ohne Urlaub gefahren. Kommen Sie in die Ecke, auf die Loggia; Ihre Mutter erschrickt, wenn sie uns hört.“

      „Mein lieber Gott, was ist das! Was will Grigor?“

      Mit gefahrdrohenden Schritten ging er über den Teppich: „Sie haben Grund, sich zu ängstigen. Auf der Hut sein vor der gnädigen Frau. Ich warne Sie vor ihr.“

      Ein Stelzen um das Büfett, Sprung, schlangenhaftes Umschleichen der Stühle.

      „Sie kennen sie nicht. Niemand kennt Weiber. Sie hat sich mir anvertraut auf der Fahrt. Mit Galanterie, mit bestrickendem Wesen habe ich alles erreicht. Ich habe ihr entlockt, was sie für sich behalten wollte. Aus Mitleid für Sie, deren Photographie sie mir zeigte, aus Kameraderie für meinen Freund habe ich mich ins Zeug gelegt.“

      „Mama hat doch keine Photographie von mir.“

      Finster hielt er an der Anrichte und schwenkte ein Bein: „Dann war es eine Täuschung, der Sie dankbar sein müssen.“

      „Es war Olga.“

      „Mag sein. Ich verwechsele Olga mit Ihnen. Auch Olga wird es nicht gut haben. Sie sollen mit Ihrem Vetter verheiratet werden aus Bukarest; sie wird es Ihnen auf der Reise sagen.“

      „Nein, das ist nicht wahr.“ Sie war erst starr, dann schluchzte sie und krümmte sich über ihren Schoß.

      „Es ist kein Zufall, daß ich mit Ihrer Mutter zugleich hier eintraf. Ihr Verlobter Grigor hat es mir auf die Seele gebunden, vor Ihrer Heimreise mit Ihnen zu sprechen, Ihnen alles vorzustellen, was auf dem Spiele steht, seine Liebe, sein Leben, sein ganzes Dasein.“

      Er zog aus der Hosentasche ein zerbrochenes Bild: „Sie sehen den Namenszug Ihres Verlobten. Sie zweifeln nicht mehr an meiner Legitimation, mich Ihnen vertraulich zu nähern.“

      Matilda kniff ein böses Gesicht. Versunken stand sie auf, schleifte zwei Schritt um den Tisch, befahl Fortunesku: „Setzen Sie sich.“ Und dann das harte Gesicht gegen die Hängelampe hebend, deren grüner Perlenbehang ihr über die Nasenwurzel spielte: „Die letzten Briefe vom Vater klangen sehr fremd. Ich dachte, es wäre wegen der Krankheit Großpapas.“

      Fortunesku tobte durch das winklige verstellte Zimmer: „Weg von hier! Wie können Sie daran zweifeln? Diese Frau im Stich lassen. Ich verlange das von Ihnen im Namen meines Kameraden. Oh diese Frau will ich strafen für die schlechte nichtsachtende Gesinnung, die schlechte Gesinnung, die sie mir offenbart hat. Über Leichen geht sie, ein Ehrgefühl hat sie nicht.“

      Matilda bewahrte kühle Haltung zur Mutter. Sobald sie allein war und sich ausgeweint hatte, entschloß sie sich; sie stieg mit Fortunesku in den Zug nach Bukarest.

      „Ich bin jetzt wieder glücklich,“ sagte Matilda, „und ich bin Ihnen so dankbar.“

      Sie drang in ihn, warum er so still wäre. Er redete von Aufgaben, denen manche Menschen nicht gewachsen wären, ein liebes Wesen sei ihm vor einem Jahr gestorben, vor etwa einem Jahr. Plötzlich erklärte er, daß er schwitze. Sein breites Gesicht, — die grauen Augenlider, die faltigen Wangen mit den Narben am Kieferwinkel, die striemig rote Stirnhaut vibrierten. Er zog mit ihrer Erlaubnis den Cutaway aus, streichelte vorsichtig über ihre Ponys. Sie kicherte: „Sie sind doch nicht solch guter Freund, wie Sie sagten, zu Grigor.“

      „Es sind Wallungen, mein Fräulein, schmerzliche Wallungen. Ich glaube freilich, daß sich manches Gefühl aus Wallungen zusammensetzt.“

      Und dann nach einer Pause: „Der gute Grigor ist freilich etwas zahm.“

      Sie warf sich in die Brust, machte einen spitzen Mund: „Aber das ist so hübsch an einem jungen Mann, wenn er ernst und zahm ist. Und wenn er nicht so frech ist wie —“

      „Wie wer denn, meine Gnädige?“

      „Wie Sie.“

      Sie senkte umfaßt ihren lachenden Kopf an seine fleckige Samtweste: „Was glauben Sie, Fräulein Matilda, was mich Grigor beneidet um diesen Augenblick. Um meinen Schneid. Um meine Courage.“

      Während er sie herzog und sie folgsam ihren geschmeidigen Oberkörper wiegen ließ von ihm, sagte sie: „Aber viel Schneid hat Grigor doch auch. Und so lieb ist mein Grigor.“ Ihre Arme legten sich um seinen Gummikragen: „Und so froh bin ich, daß Sie mich zu ihm führen, Herr Petru, lieber Herr Petru.“

      Sie lachte und seufzte und lachte. —

      Bei der kleinen Umsteigestation Beneschau, eine Minute Aufenthalt, kroch aus dem letzten Waggon ein Mann, mit zerbeultem steifen Hut, gelbem Sommerpaletot, durchgestoßenen Hosen, in der Hand einen kleinen platten Koffer. Fortunesku schluckte auf dem Bahnsteig sein Glas Helles, rückte matt seinen Stuhl aus der Sonne und sah die blanken Geleise entlang: „Es ist nichts mit der Familie Barinianu.“ Sein Magen kam ihm leer und schwindlig vor; er bestellte einen Schnaps: „Strapazen, Strapazen; keinen Pfennig verdient. Es geht abwärts mit dir, Franz; lauter Gefühle. Mutter hat recht; aus mir wird nichts.“

      Er flegelte am Schanktisch, schmatzte, massierte seine Waden, seinen Arm, schlich in das Dorf.

      Eine blonde junge Dame verließ unter allgemeiner Aufmerksamkeit in Tabor ein Coupé erster Klasse. Sie schluchzte über den Perron; ein Bahnhofsbeamter führte sie am Arm, trug ihren Handkoffer und grauen Reisemantel. Sie schien betäubt oder wirr. Im Stationsgebäude erholte sich Matilda etwas, als die Frau des Bahnhofswirts ihr zusprach, heißen Kaffee brachte. Das Fräulein stieß mehrmals hervor, man möchte nach Dresden in das Hotel „Eintracht“ telephonieren, daß sie hier warte.

      Nach fünf Stunden kam die Mutter im Auto. Sie nahmen den nächsten Zug nach Bukarest. Im Coupé legte Frau Barinianu den Hut nicht ab; den Trauerschleier knautschte sie in die Höhe, riß Matilda an sich. Cesarines Gesicht war verschwollen; ihre kleine Nase dick und naß. Sie ließ von dem Kind nicht ab, zitterte, schrie leise: „Ich habe gedacht, du bist ermordet, ich hab gedacht, der Lump hat dich ermordet.“

      Matilda rutschte mit dem Kopf an ihre Brust, schwieg, streichelte ihren Rücken.

      „Nein, du lebst, Matilda, du bist ja wieder da.“

      „Sei gut zu mir, Mama. Sage nichts zu Hause. Bitte. Nichts zu Grigor. Sein Freund hat mir den Kopf verdreht. Ich habe mich rechtzeitig besonnen, sag Grigor so.“

      „Es war ja ein Lump, ein Strolch. Es war nicht Grigors Freund. Ich weiß gar nicht, wie er heißt.“

      Die Tochter drängte sich an das zerpresste Jabot Cesarines: „Er war solch Lügner, dieser Mann. Er war so flink mit Lügen und allem. So flink.“

      Das Mädchen schlug sich die Hände vors Gesicht und stöhnte, stöhnte.

      Frau Barinianu steckte die Haarnadeln Matildas zurecht, umarmte sie heftiger. Dann ließ sie das Kind los, atmete tief. Sie rieb sich die Stirn. Lange sprachen sie nicht.

      Der Zug schwebte über den Schienen. Von Zeit zu Zeit kam ein Stoß der Räder. Der Dampf der Lokomotive flog vorbei.

      Langsam löste nun Frau Barinianu ihren Hut, wischte sanft über den Schleier, während ihr Kopf zurück auf das Polster fiel. Sie lächelte mit weichem Mund, indem sie träumerisch vor sich in den Spiegel sah: „Er ist in die Welt verschwunden und kehrt nicht wieder. Oh, er konnte turnen, dieser Lump. Ich habe noch nie einen Menschen